- Alle zwei Jahre kurbeln die Olympischen Spiele – ob Sommer oder Winter – die Musik-Industrie an, denn es gehen immer mehr offizielle und inoffizielle Hymnen an den Start.
- Auch die Fernsehsender setzen traditionell Musik ein, um die Übertragungen zu untermalen.
- Leider misslingt der Spagat meistens: Ein Grossteil der Olympia-Songs schafft es nicht einmal zu einem One-Hit-Wonder.
Nein, früher war nicht alles besser. Aber: Musik ist heute beliebig geworden, ein oft emotionsloser und einfallsloser Einheitsbrei. Das war früher mindestens anders.
Oder können Sie sich noch an die Songs erinnern, die uns bei der letzten Fussball-EM begleitet haben? Bei Olympia in Tokio? Nein? Nun, ist ja auch schon sieben beziehungsweise sechs Monate her. Was zeigt: Selbst wenn Lieder während der Grossereignisse in Dauerschleife laufen und nur wenig zurückhaltend in die Gehörgänge gehämmert werden, bringt ihnen das keine Langlebigkeit.
Kurz-Aufenthalt im Kopf und im Ohr
Und das ist wiederum einer der wenigen Vorteile der musikalischen Malaise der Neuzeit: Die Möchtegern-Melodien sorgen für ein gewaltiges Geschmacks-Gewitter, verschwinden aber aus dem Kurzzeit-Gedächtnis zum Glück so schnell in der Versenkung, wie sie aufgetaucht sind.
Während man über Geschmack streiten kann, gibt es bei den Zutaten, die eine Hymne für ein Event haben muss, keine zwei Meinungen. Beim Fussball gilt es, die Fans auf den einfachsten gemeinsamen Nenner zusammen zu bringen: Der Text sollte deshalb simpel sein, die Stimmung gigantisch, die Melodie eingängig. "Three Lions (Football’s Coming Home)" von den "Lightning Seeds" gilt als das beste und erfolgreichste Fussball-Lied – und begann seinen Siegeszug bereits 1996.
Three Lions (Football's Coming Home)
Ein Olympia-Song ist da schon anders gestrickt und hat es ungleich schwerer. Er sollte gewaltig, elegant, brachial, imposant und bewegend sein. Inspirierend. Träume weckend, den Geist der olympischen Idee transportierend. Der Song soll die Erwartungen und Erlebnisse der Spiele schultern, die Erfolge emotionalisieren, ohne ins Kitschige abzudriften – eine monumentale Aufgabe. An der viele dann auch krachend gescheitert sind.
Deshalb muss man auch hier lange kramen, wenn man sich eine qualitativ ansprechende Top-Ten-Playlist basteln möchte. Dabei haben vor allem Sommerspiele Standards gesetzt – und das gleich zu Beginn, als die Macher die Macht der Musik erkannt haben.
Olympische Sommerspiele setzen die Standards
Giorgio Moroder hat mit "Reach Out" 1984 in Los Angeles den Anfang gemacht, vier Jahre später legte er mit dem für die koreanische Pop-Gruppe Koreana komponierten "Hand in Hand" nach, wurde aber von
Das Lied der 2012 verstorbenen Soul-Legende wird heute immer noch als Hintergrundmusik genutzt, wenn es um grosse Sportmomente geht und gilt als Mutter aller Olympia-Hymnen.
Bei den älteren Generationen sorgt das sofort für faszinierende Flashbacks und nicht wie heute für einen (zum Glück) verlässlichen Verdrängungsmechanismus. Weit vorne taucht auch stets "Barcelona" auf, ein Song von Freddie Mercury und Montserrat Caballé für die Spiele 1992.
Die Winterspiele fallen sowohl im Vergleich zu den Sommerspielen als auch im Laufe der Zeit deutlich und schnell ab. Der kanadische Songwriter und Produzent David Foster sorgt 1988 mit dem Instrumental-Track "Winter Games" noch für eine besondere musikalische Note, danach wird es oft austauschbar. 2006 für die Spiele in Turin blieben die Macher zum Beispiel mit Flipsydes "Someday" in den späten 1990er Jahren hängen – ein Fehlgriff.
Selbst Nelly Furtado und Bryan Adams konnten sich 2010 in Vancouver mit ihrem "Bang the Drum" in der olympischen Musik-Parade nicht nachhaltig verewigen.
Und wie das so ist bei einem Milliarden-Geschäft, wurde der Markt mit den Jahren immer mehr geflutet, Quantität schlägt dabei die Qualität um Längen. Das gilt auch für das Fernsehen, denn seit einigen Jahren haben auch die übertragenden Fernsehsender ihre eigenen Olympia-Songs – ebenfalls mit überschaubarem Erfolg.
Auch die Fernsehsender setzen auf Musik
Deshalb auch hier die Nachfrage, die etwas weiter zurückreicht: Kennen Sie noch den offiziellen Olympia-Song 2018 "Let Everyone Shine" von der koreanischen R&B Diva Insooni?
"Nie zu Ende" von Jonas Monar, den die ARD als Wiedererkennungsmerkmal einsetzte? Oder den Song "Set It Alight" von der Firma German Wahnsinn, den das ZDF vor vier Jahren wählte?
Und 2022? Will sich der Gastgeber China weltoffen zeigen. Angesichts der fortwährenden Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen, Zensur oder Spionage bleibt es leider bei dem Versuch, und der offizielle Song mit dem Titel "Together For A Shared Future" wirkt dann auch genauso zynisch wie das olympische Motto, nach dem das Lied benannt ist.
Dafür sorgt das ZDF mit Thorsteinn Einarssons "Bridges Burn" für eine emotionale Untermalung der Übertragungen aus Peking, der Song trifft die Merkmale einer Olympia-Hymne nahezu punktgenau. Immerhin.
Die ARD hingegen setzt auf Superstar Helene Fischer und den Song "Jetzt oder nie", weil die Zeile "Jetzt oder nie, das hier wird unsere Zeit sein" den olympischen Geist perfekt beschreibe, so die ARD.
Schlager in der ARD
"Ich hoffe, dass mein Song unseren Athletinnen und Athleten in Peking genauso viel Glück bringt, wie ich selbst mit ihm verbinde", sagte die Sängerin. Denn sie erinnere sich an viele Momente ihrer Karriere, in denen es auch für sie 'jetzt oder nie' geheissen habe, erklärte sie: "Meist habe ich mich für 'jetzt' entschieden und bin damit gut gefahren."
Auch die ARD dürfte mit dem Song gut fahren, mit der Schlager-Königin kann man, was den Mainstream-Erfolg angeht, nicht viel falsch machen. Ob in einem halben Jahr noch jemand die Olympischen Winterspiele damit verbindet, ist die grosse Frage. Das Lied beweist daher: Auch heute lässt sich noch trefflich über Geschmack streiten. Dafür nicht darüber, ob Olympia-Songs früher nicht doch besser waren. Denn das waren sie ganz sicher.
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