Thomas Röhler hat 2016 im Speerwurf olympisches Gold gewonnen. Ein Kunststück, das er gerne in Tokio 2020 wiederholt hätte. Nun werden die Olympischen Spiele aufgrund der Coronavirus-Krise auf nächstes Jahr verschoben. Das ist allerdings kein Grund zur Trauer, befindet Röhler, sondern sieht in der Verschiebung sogar einen "Sieg der Athleten" über das IOC.
Herr
Thomas Röhler: Für mich ist es wirklich eine sehr, sehr vernünftige Entscheidung.
Ich habe mich auch gefreut, dass die am Wochenbeginn vom IOC genannte Vier-Wochen-Frist stark unterboten wurde.
Das ist für viele Sportler ein kleiner Sieg. Sehr viele Athleten haben weltweit mitgewirkt und ihre Meinung an das IOC und an die Fachverbände herangetragen. Das hat gezeigt, wenn viele gemeinsam an etwas arbeiten, dann kann man auch etwas erreichen.
So ein Grossevent wie die Olympischen Spiele verlegt man nicht von heute auf morgen, dementsprechend freuen wir uns sehr, weil es den Sportler jetzt wirklich ermöglicht wird, sich ein Stück weit mehr um Gesundheit, Familie und Gesellschaft zu kümmern.
Glauben Sie, dass die Sportler nach diesem kleinen Sieg schneller und öfter Gehör finden?
Die Diskussion um die Partizipation der Athleten in Verbands- oder Events-Entscheidungen des internationalen Spitzensports ist definitiv nicht neu.
Ich bin vorsichtig optimistisch, dass dieses Beispiel wieder einmal gezeigt hat, dass Grossevents eben nur mit den Athleten funktionieren.
Sind Sie denn zufrieden mit dem Krisenmanagement des IOC?
Die Frage ist immer, wie wird intern gehandelt und was wird nach aussen kommuniziert. In der Kommunikation klang es lange Zeit sehr eintönig, fast starrköpfig. Man wollte an einem Event unbedingt festhalten, obwohl schon 90 Prozent der Athletinnen und Athleten und Verbände gesagt haben "Hey, wir müssen zumindest darüber nachdenken, die Spiele zu verschieben". Da hätte ich mir ein Stück weit mehr Offenheit in der Kommunikation gewünscht.
Andererseits wünsche ich mir, dass die Olympischen Spiele, solange es sie gibt, von ihrem Ur-Gedanken leben, vom fairen Wettbewerb, vom respektvollen Miteinander, von den besten Sportlern der Welt. Und dass die Diskussionen ein Stück weit weggehen von den handelnden Personen und diesem schwebenden Begriff IOC.
"Gesellschaftliche Herausforderung steht über Einzelschicksalen"
Sie stehen auch mit anderen Athleten in Kontakt. Wie ist die Stimmung bei den anderen Sportlern? Einige haben mit der Verschiebung ja vielleicht auch ein Problem, sind zum Beispiel nächstes Jahr zu alt für die Spiele …
Da steht es wahrscheinlich fifty-fifty zwischen denen, die an ihrem Karriere-Ende stehen und denen, die sich gerade heimlich zu Hause freuen, weil sie dieses Jahr noch zu jung sind und im nächsten Jahr vielleicht die Chance wittern, dabei zu sein. Hier hat einfach das Corona-Schicksal zugeschlagen. Die gesellschaftliche Herausforderung steht über diesen Einzel-Schicksalen.
Aber auch finanziell ist es definitiv für viele Klubs und Sportler eine grosse Belastung. Das hängt aber nicht nur an Olympischen Spielen. Wir leben alle noch mit der Ungewissheit, ob es im Sommer 2020 oder im Spätsommer überhaupt eine Sport-Saison geben wird. Deswegen stehen wir da definitiv vor Herausforderungen. Sportlich muss umgeplant werden. Administrativ muss man viele Gespräche führen. Man muss seine Budgets für die neue Olympia-Vorbereitung natürlich auch zeitnah sichern.
Die Politik bietet ja schon finanzielle Hilfe für Firmen und Selbstständige an. Kommt da auch was bei den olympischen Sportlern an? Es sind ja zwar viele Profis, verdienen aber nicht in denselben Sphären wie beispielsweise die Fussballer.
Sehr viele der betroffenen olympischen Athleten sind auf Unterstützung angewiesen, und da war es ein sehr schönes Signal, dass die Deutsche Sporthilfe, aber auch regionale Sporthilfen schon versichert haben, ihre Förderung, soweit es machbar ist, aufrechtzuerhalten. Das hat viele Sportler da draussen auch ein Stück weit entspannt.
Ob wir Sportler von den staatlichen Hilfen in irgendeiner Weise profitieren können, ist unklar, weil der Berufsstand des Sportlers in unserem Land definitiv eine Grauzone ist.
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Deutschland steht still und das gilt auch für die meisten Trainingsstätten. Wie halten Sie sich fit? Homeoffice im eigentlichen Sinne ist ja sehr wahrscheinlich nicht möglich.
Das muss aber möglich sein. Homeworkouts werden ganz gross geschrieben.
Ich formuliere es gerne so, dass sich gerade viele fitnessbegeisterte Normalbürger im Training von Olympiasiegern und richtigen Champions wiederfinden.
Wir brechen auch unser Training auf Basisbewegung herunter, versuchen uns fit zu halten. Zugang zu Sportflächen haben die meisten Top-Athleten aktuell auch nicht mehr.
Thomas Röhler: "Sport auch nur ein Teil der Gesellschaft"
Wie ist denn Ihre Hoffnung für die nächsten Monate? Was wäre denn der bestmögliche Ausgang der Coronavirus-Krise - für Sie persönlich und für den Spitzensport?
Ich kann da nicht nur für den Sport oder mich persönlich sprechen. Ich glaube, jeder wünscht sich, dass wir diese Krise mit möglichst wenigen Opfern und möglichst wenig finanziellen Schäden der Wirtschaft überstehen. Ich setze ein Stück weit Hoffnung in wärmere Temperaturen und höhere UV-Strahlung im Kampf gegen Corona.
Aber wenn wir über das Virus sprechen, ist der Sport wirklich auch nur ein Teil der Gesellschaft.
Haben Sie denn trotzdem vielleicht einen Tipp für Fans, die sich jetzt schon auf ein aufregendes Sportjahr gefreut haben? Wie bringt man denn die sportfreie Zeit am besten über die Runden?
Mentale Gesundheit ist gerade noch viel wichtiger als die körperliche Fitness, obwohl das natürlich auch zusammenhängt.
Sport treiben, wie es einem guttut, sich gesund ernähren. Und die sozialen Kontakte, die uns natürlich körperlich gerade nicht ermöglicht werden, weiter führen über die modernen Kommunikationswege.
Einfach das Positive aus der Situation ziehen. Das machen wir Sportler aktuell auch. Wir versuchen, Dinge zu erledigen, für die wir aktuell mehr Zeit haben als in den normalen, turbulenten Alltagssituationen.
Stichwort Social Media ...
Social Media beispielsweise, das ist ein Teil. Es ist aber auch einfach mal das komplette Gegenteil: In den Garten gehen, mit der Familie zusammen sein und Dinge tun, von denen die Welt sonst eigentlich selten etwas erfährt.
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