Tierschutz beim Pferdesport ist ein heiss diskutiertes Thema. Zuletzt hatte die Tierschutz-Organisation Peta vor allem die Disziplin Vielseitigkeit harsch kritisiert und dabei unter anderem gefordert, dass keine Turniere mehr ausgerichtet werden sollen. Im Interview spricht Jens Adolphsen, Vorsitzender des Ausschusses Vielseitigkeit im Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR), über die Peta-Vorwürfe, die Probleme des Reitsports beim Tierschutz und Olympia.
Die Tierschutz-Organisation Peta hat die Vielseitigkeit zuletzt mal wieder harsch kritisiert. Wie wird damit inzwischen umgegangen?
Jens Adolphsen: Es völlig legitim, einen anderen Standpunkt zu haben. Bei Peta speziell stelle ich mir inzwischen aber die Frage, ob die Organisation nur an einer Schlagzeile und an Effekthascherei interessiert ist, oder wirklich an einer Verbesserung. Ich weiss auch nicht, ob es da eine gemeinsame Basis für eine Diskussion gibt, wenn eine Organisation Leistungssport mit Tieren grundsätzlich ablehnt. Ansonsten muss man ganz klar sagen: Jedes tote Pferd im Reitsport ist ein totes Pferd zu viel. Aber man muss auch betonen, was alles geschieht, um gerade das zu vermeiden. Wir nehmen jeden Zwischenfall zum Anlass, um uns zu verbessern.
Nun wirken Forderungen nach einer Abschaffung der Turniere radikal, Peta betont aber, dass dies nur so wirke, weil man jahrzehntelang an Tierquälerei gewöhnt sei. Wie kompliziert sind die Gespräche? Finden die überhaupt noch statt?
Ich weiss nicht, ob Peta an einem kritischen Diskurs interessiert ist oder eine eigene Meinung forcieren will. Wenn man sich so verhält, scheidet man als Diskussionspartner irgendwann einfach aus. Deshalb finden keine Diskussionen statt.
Hilft die Peta-Kritik denn möglicherweise trotzdem?
Peta hilft sie, um Einnahmen zu generieren. Sie leben von Spenden. Und wenn sie Spenden generieren wollen, müssen sie eben auch sehr laut sein. Andererseits macht Peta auf anderen Ebenen durchaus Dinge, die ich anerkennenswert finde. Ich finde die Diskussion um den Status von Tieren als Rechtssubjekt total klasse. Da hat Peta Verfassungsbeschwerden unterstützt, was ich völlig legitim finde. Aber um im Verband selbst etwas anzustossen, hat Peta sich durch diverse Aktionen disqualifiziert. Ob es der Gesellschaft oder jemandem, der sich differenzierter damit auseinandersetzen will, hilft, glaube ich nicht. Denn es ist relativ offensichtlich, dass der Kritik die Substanz und die Seriosität fehlt. Aber es erhöht wahrscheinlich den Druck, dass etwas gemacht werden muss. Ich finde es aber viel besser - auch mit Druck -, dass ein Verband für sich selbst zu der Erkenntnis kommt, dass das Thema von grösster Wichtigkeit ist.
Wie ist man in den letzten Jahren im Reitsport generell beim Thema Tierschutz vorangekommen?
Die Verbände sind vorangekommen, das Wohl des Pferdes stand schon immer über allem. Aber sie haben auch gemerkt, dass sie aktiv werden müssen. Die Zahlen müssen besser werden. Sie werden bereits besser in den Disziplinen, die Zahl der Stürze geht linear deutlich zurück.
Wo sehen Sie den Tierschutz im Reitsport, falls man das anhand von Zahlen messbar machen kann?
Das ist schwierig. Ein Politiker würde sagen: Wir befinden uns auf einem guten Weg. Aber das ist Quatsch. Ich muss mir bestimmte Statistiken ordentlich anschauen, kann meine Aktivitäten nachweisen und deren Seriosität. Und dann bin ich schon in einer ganz anderen Durchdringungstiefe als Peta es je versucht hat. Peta nimmt eine Zahl von neun toten Pferden weltweit und haut sie als Schlagzeile raus, ohne eine Relation mitzuermitteln wie zum Beispiel die Todesursache und die Zahl der Starts. Und das ist einfach erforderlich. Ob das alles schnell genug geht oder immer noch zu viel Luft nach oben bleibt, ist eine Wertungssache. Klar ist aber auch: Bilder aus den USA und Dänemark werfen uns bei der Arbeit wieder weiter zurück, als uns die positiven Entwicklungen nach vorne bringen.
Wie ist denn die Resonanz aus der Bevölkerung?
Die Reiterliche Vereinigung agiert im Moment mit dem Schlagwort "Social License". Das bedeutet, dass wir einen neuen Grundlagenvertrag mit der Gesellschaft brauchen, um weiter Pferdesport betreiben zu dürfen. Mir ist es dabei sogar ein bisschen egal, ob der öffentliche Druck da ist. Ich bin sehr froh, dass wir uns aus uns heraus mit dieser Frage befassen und endlich mal proaktiv tätig werden, um den Tierschutz zu verbessern. Wichtig ist auch: Wir sind schneller geworden, wenn etwas passiert. Aber insgesamt artikuliert sich die öffentliche Meinung aktuell relativ wenig. Ausser in den sozialen Medien, wo es immer noch ganz extrem ist.
Ein Grundlagenvertrag mit der Gesellschaft für mehr Akzeptanz: Wie kompliziert ist das?
Ein Grossteil ist Transparenz. Wir können nicht dafür garantieren, dass es nicht auch schlechte Bilder gibt. Das ist bei einem Sport mit einem Tier so. Wir müssen versuchen, den Spitzensport so zu erklären, dass die Gesellschaft es versteht und es "aushält“, wenn es dann doch mal ein Bild gibt, das nicht gut ist. Damit müssen wir transparent umgehen und erklären, dass wir wirklich alles tun, damit so etwas nicht passiert. Ein Problem dabei: Vielen Leuten fehlt der Zugang zu uns und zum Tier. Versuchen Sie mal, in den Städten für Ihr Kind eine Reitschule zu finden. Wenn wir zum Beispiel mehr Reitschulen hätten, würden wir wieder in Kontakt kommen mit Menschen, die vielleicht sonst weiter weg wären von Tieren. Und die würden merken, dass wir den Sport aus einer völligen Faszination heraus betreiben - und nicht, um die Tiere zu quälen.
Die Branche wolle sich nicht ändern, lautet ein Vorwurf von Peta. Wie beweglich ist denn die Disziplin Vielseitigkeit?
Die Vielseitigkeit ist insgesamt ein sehr bodenständiger, finanziell noch normaler Sport, der sehr reformwillig ist. In anderen Bereichen würde ich der Kritik durchaus zustimmen. Da geht es in der Spitze um wahnsinnig viel Geld. Und dass die Industrie weiterleben möchte, ist völlig klar. Doch dass sie deshalb nichts verändern will, stimmt nicht. Aber klar: Wenn man dann den Menschen in den sozialen Medien sieht, der in den USA offenbar systematisch Pferde quält, erhöht das meine Glaubwürdigkeit nicht unbedingt. Man sagt immer, dass es kein systemisches Problem sei, sondern Einzelfälle seien. Aber diese Einzelfälle kommen eben vor.
Wie anstrengend ist es in einer Disziplin, die ja fast alleine für die Bilder von toten Pferden verantwortlich ist?
Wir betreiben Hochleistungssport mit Tieren und dabei kann es zu Verletzungen kommen. Das ist so. Selbstverständlich läuft kein Pferd alleine über diese Kurse und möchte da vielleicht auch gar nicht drüber springen, sondern wird daran gewöhnt. Und wir versuchen wirklich mit ehrlichsten Mühen alles, damit es kein totes Pferd gibt.
Nehmen Sie es dann nicht trotzdem billigend in Kauf?
In gewisser Weise ist das natürlich so, wenn man trotzdem weitermacht und nicht, wie von Peta gefordert, alles einstellt. Aber wie gesagt: Es wird alles dafür getan, damit es keine Todesfälle gibt, nicht nur bei uns, sondern weltweit. Das Thema Sicherheit ist tagesaktueller Gegenstand von weltweiten Diskussionen.
Wie werden diese Fälle aufgearbeitet, auch mit den Reitern?
Insgesamt ziemlich gut. Wir haben eine neue Regel, dass jeder Reiter, der auf der Strecke einen Sturz hat, anschliessend zum Rapport und den Sturz "aufarbeiten" muss. Hinzu kommt, dass die Reiter, wenn sie in bestimmten Kategorien zu oft stürzen, in diesen Kategorien nicht mehr starten dürfen. Es wird zudem jedes Pferd, das auf der Strecke stirbt, obduziert. Es wird transparent gemacht, wenn ein Pferd im Zusammenhang mit einer Sportausübung verletzt wird und dadurch stirbt. Ausserdem betreiben wir riesige Datenanalysen für ein aktives Risikomanagement.
Was für Massnahmen gibt es noch für die Pferde?
Wir haben inzwischen auch kurzfristige Massnahmen. Wir haben im vergangenen Jahr zum Beispiel festgestellt, dass wir trotz verkürzter Strecke wieder mehr müde Pferde haben. Und in solchen Fällen wird sofort angesetzt und der Fokus darauf gerichtet, um dann möglicherweise Veränderungen vorzunehmen. Wir versuchen zudem, bei dem Thema in die Breite zu kommen, in die Landesverbände, in die Vereine. Und eigentlich ist diese Diskussion die Erinnerung daran, dass wir in der Lage sein müssen, unser Verhalten transparent zu machen und rechtfertigen zu können. Und das ist wichtig.
Wie reflektiert sind die Sportler selbst?
Natürlich sind sie unterschiedlich. Sie sind wahrscheinlich auch unterschiedlich intelligent und leben auch in ganz unterschiedlichen Strukturen. Aber dass das Tierwohl an erster Stelle stehen muss, ist im Grunde durchgehend angekommen.
Die Pferdeszene war zuletzt gespalten und verunsichert. Ist das besser geworden?
Sie hat jedenfalls gemerkt, dass sie etwas tun muss, und sie ist sich darin einig, dass wenn negative Dinge passieren, sie sich auch durchaus laut und nicht versteckend dagegen auflehnen muss. Es ist spürbar, dass sich die Szene gegen diese inneren oder äusseren Feinde sehr deutlich wehrt.
Reitsport "einfach total teuer"
Ist Reitsport denn noch zeitgemäss?
Wir sind der einzige Sport derzeit bei Olympischen Spielen, der mit einem Tier betrieben wird. Es ist ein fantastischer Sport, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu bilden, und es macht so viel Freude, mit einem Tier sportliche Leistungen zu erzielen, dass ich das immer zeitgemäss finde. Denn nur weil etwas nicht ganz modern, also in der Mitte der Jugendgesellschaft, ist, kann es ja doch zeitgemäss sein.
Warum ist es dann so schwierig, die Leute in der Breite zu erreichen?
Es ist schwierig, Reiten als Schulsport zu etablieren. Dann haben wir ganz viele Schwierigkeiten, Reitschulen zu etablieren, weil es sich einfach nicht rechnet. Die Leute sind nur eingeschränkt dazu bereit, das zu zahlen, was man eigentlich zahlen müsste. Wir haben Schwierigkeiten, die Kinder abzuholen, weil sie weniger Zeit für den Sport haben. Wir sind noch immer der achtgrösste Sportverband in Deutschland. Aber klar: Das wäre die beste Möglichkeit, den Sport in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren und zu zeigen, dass Reiten eine schöne Freizeitbeschäftigung ist, und zwar für beide Seiten, für das Pferd und den Menschen.
Allerdings ist ja der Sport sehr teuer…
Es ist wirklich aufwändig geworden, sich ein Pferd zu halten und auch mal im Kleinen am Turniersport teilzunehmen. Für alle Beteiligten. Für die Veranstalter, für die Reiter. Es ist einfach total teuer. Und das ist natürlich eine ganz gefährliche Entwicklung, weil irgendwann die Eltern sagen, dass das Kind Fussball spielen soll, mit dem gelegentlichen neuen Ball und einem Paar Schuhe.
Was wären da Möglichkeiten?
Man kann sich als Reiter nicht von einer insgesamt allgemeinen Preisentwicklung abkoppeln. Wir haben eine ganz starke Konzentration auf grosse Turnierveranstaltungen zulasten von kleineren Turnierveranstaltungen. Die FN versucht zu helfen, aber das ist wirklich ein dickes Brett, das man da bohrt.
Im Sommer wartet Olympia. Dann wird wieder über die Medaillen gejubelt, der Reitsport aber verteufelt, wenn etwas passiert. Wie erklären Sie sich das?
Das ist sehr deutsch. Wir neigen in Deutschland zu einem sehr starken Schwarz-Weiss-Denken. In dem einen Moment wird geklatscht, im anderen Moment will man es komplett verbieten lassen. Das ist das Ziel des Verbandes über die Social-License-Diskussion: dass der Reitsport als graues Bild gesehen wird und nicht nur als schwarz-weisses Bild.
Wie bereiten Sie sich auf die "Kämpfe“ ausserhalb des Sports vor?
Die genannten Aktionen sind bereits die Vorbereitung darauf. Und wenn ich offensiv sage, dass es zu Verletzungen kommen kann, ich sie aber verhindern will, dann ist ja auch schon mal was geschehen. Ich kann nicht sagen, dass wir zu Olympia gehen, wir garantiert Goldmedaillen gewinnen und alles zu 100 Prozent schön wird. Das weiss man bei einem Sport mit Tieren nicht.
Wie sehen Sie die Zukunft der Vielseitigkeit?
Wir haben nach wie vor die Diskussion mit dem IOC, dass der Sport bei Olympia teurer ist als die anderen Reitdisziplinen. Wir haben immer die Diskussion, dass die Jugend sich auch für andere Sachen interessiert. Wir leben mit der Befürchtung, dass wir entweder irgendwann aus dem olympischen Programm fliegen oder wir so verändert werden, dass wir uns kaum noch wiedererkennen. Und das möchten wir natürlich nicht. Ansonsten sind wir uns in Europa einigermassen einig, wie wir uns die Zukunft der Vielseitigkeit vorstellen. Die Diskussionen laufen dahin, dass wir wohl noch mehr Möglichkeiten bekommen werden für Fehler im Gelände, und zwar Fehler, die ohne Risiko sind.
Und wie sehen Sie die Zukunft des Reitsports allgemein?
Wir haben inzwischen eine sehr grosse Spaltung in allen Disziplinen zwischen Spitze und Basis. Das kann nicht gut sein. So etwas erleben wir ja auch im Fussball, wo der Bezug zur Basis einigermassen verloren gegangen ist. Wenn wir im Springsport zum Beispiel die Global Champions Tour sehen – das finde ich merkwürdig. Trotzdem kann und will ich natürlich keinem Reiter verbieten, mit ganz viel Unterstützung von Sponsoren an so einem Wettkampf teilzunehmen. Aber ich finde es seltsam, einen Sport zu betreiben, wo bereits der Start Millionen Euro kostet. Das entfernt den Sport eben wahnsinnig weit von der Basis. Diese Spreizung haben wir derzeit in der Vielseitigkeit noch nicht, weil wir doch sehr basisorientiert sind. Es ist aber wichtig, dass wir den ganzen Sport an der Basis anknüpfen.
Über den Gesprächspartner:
- Dr. Jens Adolphsen ist Vorsitzender des Ausschusses Vielseitigkeit im Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR). Daneben ist der 57-Jährige Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht, nationales und internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Giessen.
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