Boris Becker ist wieder im Tennis-Geschäft, er soll das Toptalent Holger Rune in die richtige Spur bringen, dem 20-Jährigen vor allem mental helfen. Was zeichnet den Trainer Becker aus, dass der Däne auf ihn setzt?
Der Beweis für die gegenseitige Zuneigung kam schriftlich. Denn als Novak Djokovic im vergangenen Sommer mit seinem 23. Grand-Slam-Sieg in Paris Geschichte schrieb, gratulierte
Djokovics Antwort: "Danke dir, Schatzi". Das war kein übertriebener Kuschelkurs ob des Erfolgs des Serben, sondern echte Männerliebe. Ein Beleg dafür, dass
Natürlich ist "Schatzilein" – das Lieblingswort von Djokovic und seine Bezeichnung für Becker – nicht das einzige Überbleibsel der Zusammenarbeit von 2013 bis 2016. Insgesamt 25 Turniersiege feierte Djokovic mit dem Trainer Becker, darunter auch sechs Grand-Slam-Titel. Von Sommer 2015 bis Sommer 2016 dominierte Djokovic unter Anleitung des Leimeners das Herren-Tennis, gewann vier Grand Slams in Folge. Becker hatte als sogenannter "Supercoach" ganze Arbeit geleistet.
Becker geniesst als Betreuer einen exzellenten Ruf
Ende 2016 kam es zur Trennung, beide gingen im Guten auseinander. Und Becker hatte seinen zwischenzeitlich durch allerlei Skandale arg ramponierten Ruf wiederhergestellt. Von 2017 bis 2020 war Becker ehrenamtlich Head of Men's Tennis beim DTB, half auch da vor allem als Ratgeber, als Mentor, setzte "mit seinem grossen Fachwissen und seiner Persönlichkeit auf allen Ebenen im Leistungssport viele Impulse", wie der damalige DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard beim Abschied erklärte.
Trainer, Berater und Mentor, das kann Becker. Beim Tennis fühlt er sich immer noch am wohlsten, auf sicherem Terrain. Wie in seinem Wohnzimmer. Das beweist er auch als Experte bei Eurosport.
Bei den Fans hinterlässt er ob seiner pointierten Analysen bis heute Eindruck, und als Coach geniesst er einen exzellenten Ruf, auch wenn er nach Djokovic keine Aufgabe bei einem Profi mehr annahm. Bis jetzt. Denn Becker wird das dänische Toptalent Holger Rune als "Supercoach" auf ausgewählten Turnieren der Tour begleiten, Lars Christensen soll weiter Trainer bleiben.
Was erwartet den 20-Jährigen? Was zeichnet Becker als Trainer aus?
Novak Djokovic musste er damals das Spiel nicht mehr beibringen. Es ging vielmehr um Nuancen, um Details, die Becker akribisch anging, um Vorteile für seinen Schützling herauszuholen. Dabei standen zum Beispiel Aufschlag und Netzspiel im Fokus, aber auch Taktik und vor allem das Mentale.
Bei Djokovic veränderte sich die Körpersprache, der Serbe agierte strategischer, zielgerichteter. Dazu im Kopf fokussierter, wenn es darauf ankam, in den grossen Spielen also. Mit Becker reifte er, machte den nächsten Schritt als Spieler. "Vor allem in psychologischer Hinsicht hilft er mir, weil er diese Situationen bereits kennt", sagte Djokovic, der fortan auch hässlich siegen konnte. Becker versuchte, seinen Schützling auf alle erdenklichen Unwägbarkeiten vorzubereiten.
So gewinnt man grosse Spiele
Ein Beispiel: 2015 verlor Djokovic bei den French Open im Finale gegen Stan Wawrinka. Vor Wimbledon setzte Becker für Djokovic ein Training gegen den Schweizer an. Es ging darum, die noch immer schmerzende Niederlage zu überwinden, weshalb Djokovic sich ihr stellen musste, und das so schnell wie möglich.
Djokovic gewann Wimbledon. "Es ist nun mal so, dass grosse Matches nicht durch die Technik oder die Beinarbeit gewonnen werden. Sondern durch das Herz und die Seele. Und dass man im entscheidenden Moment tougher ist", erklärte Becker einmal in der SZ. Djokovic profitierte vom grossen Erfahrungsschatz Beckers, der als ehemaliger Champion weiss, wovon er spricht.
Der Erfolg gab Becker Recht, und auf einen ähnlichen Effekt hofft nun auch Rune. Becker verstehe ihn "als Spieler und als Mensch", sagte Rune vor dem ATP-Turnier in Basel, wo Becker erstmals an der Seite des Dänen arbeiten soll.
"Boris ist hier, um mich besser zu machen. Schon in der Trainingswoche in Monte Carlo habe ich eine Menge gelernt - ihr werdet es dann sehen", sagte Rune vor dem Start des Turniers laut "Eurosport". Viel mehr wollte er nicht verraten. "Es geht darum, einen guten Mix aus Matches und Regeneration zu finden. Boris kann mir da mit seiner Erfahrung weiterhelfen."
Der neue Schützling? Ein Rohdiamant
Nicht nur dabei, denn Rune ist ein 20 Jahre alter Rohdiamant, der geschliffen werden muss, der auf Weltranglistenplatz sechs mit seinen Anlagen ein ähnlicher Überflieger ist wie Becker früher. Auch hier wird Becker viel auf der mentalen Seite ansetzen. Denn Rune ist auf dem Platz ein Heisssporn, der aktuell zudem seine Form sucht. Eine gefährliche Mischung, die es zu kontrollieren gilt.
Emotionale Ausbrüche sind bei Rune immer möglich, in der Folge hat er sogar schon seine Mutter und Managerin Aneke, die ihn immer begleitet, des Stadionplatzes verwiesen. Er ist launisch, exzentrisch, dabei oft unberechenbar, gleichzeitig aber auch ambitioniert, ehrgeizig. Talent und Temperament - bekommt man das ideal kombiniert, können die Emotionen zu einer Stärke werden. Auch hier weiss Becker, wovon er spricht.
"Mir gefallen seine emotionalen Ausbrüche. Ich habe schon einmal einen Spieler gecoacht, Novak Djokovic, der auf dem Platz mitunter nicht ganz bei sich war", sagte Becker, der die Ausbrüche sogar bewusst zulassen will, im Eurosport-Podcast "Das Gelbe vom Ball". "Der Trainer und das Team bilden da eine Oase, in der der Spieler das rauslassen muss – wenn er sich danach entschuldigt, wieder konzentriert arbeitet. Ich habe das damals genauso gemacht als Profi", sagt Becker.
Lesen Sie auch:
Auch das Privatleben ist wichtig
Ein Schlüssel ist das Privatleben seines Spielers. Auch das sei seine Rolle, erklärte Becker, das sei bei Djokovic und dessen Frau genauso gewesen: "Wir brauchen einen engen Kontakt zueinander. Ich kann ihm nur helfen, wenn ich genau weiss, wie es ihm geht. Das gilt nicht nur auf dem Platz, sondern auch für sein Privatleben. Hat er Sorgen, hat er einen Höhenflug? Ich muss die Gründe wissen, warum er heute müde, morgen aber wieder fit ist", sagte Becker. Rune ist mit der Influencerin Caroline Donzella liiert. Seine Formprobleme wurden in der Heimat auch mit ihr in Verbindung gebracht.
Wichtigste Verbindung für Becker ist aber Mutter Aneke, verrät der 55-Jährige. Mit ihr telefoniert er regelmässig, um genau zu wissen, wie es Sohn Holger geht. "Das weiss die Mutter am besten", so Becker: "Es ist ein Puzzle, das zusammengesetzt werden muss, damit der Junge sein bestes Tennis spielt". Und Becker dann vielleicht eines Tages auch "Schatzi" nennt.
Verwendete Quellen:
- sueddeutsche.de: Alles im Repertoire
- Eurosport-Podcast: "Das Gelbe vom Ball"
- eurosport.de: Holger Rune über die Zusammenarbeit mit seinem neuen Trainer Boris Becker: "Versteht mich als Spieler und Mensch"
- wtv.de: DTB bedauert Rückzug von Boris Becker
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.