Der Tennissport steht in der Kritik. Erst gab es einen Doping-Fall um den Weltranglisten-Ersten Jannik Sinner, nun auch noch um die Weltranglisten-Zweite Iga Swiatek. Die Strafen? Milde. ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt erklärt die Hintergründe.
Radsport, Leichtathletik und Schwimmen sind Sportarten, die in der Vergangenheit schon häufiger von Doping-Skandalen betroffen waren. Tennis eher weniger – bis jetzt. In der jüngeren Vergangenheit häuften sich nämlich merkwürdige Doping-Vorfälle.
Bei Tennis-Star Swiatek wurde Trimetazidin nachgewiesen
Der neueste Fall: Wie die International Tennis Integrity Agency (ITIA) mitteilte, wurde bei Iga Swiatek Trimetazidin (TMZ) nachgewiesen. Die fünfmalige Grand-Slam-Turnier-Siegerin war sich allerdings keiner Schuld bewusst und gab an, ein – offenbar verunreinigtes – nicht verschreibungspflichtiges Medikament (Melatonin) eingenommen zu haben.
Ihre Begründung: Sie habe es gegen Jetlag und Schlafprobleme eingenommen und damit versehentlich gegen die Richtlinien verstossen, so
Die Bestrafung fiel milde aus: Sie wurde für 30 Tage gesperrt, weil laut der ITIA kein vorsätzliches Verschulden vorlag.
Milde Strafe auch für Sinner
Noch geringer fiel die Strafe für den italienischen Jannik Sinner aus. Die Nummer 1 der Weltrangliste wurde zweimal auf das verbotene Steroid Clostebol getestet – und in beiden Fällen freigesprochen. Der Grund: Fahrlässigkeit oder gar ein Verschulden konnten ihm nicht nachgewiesen werden.
Stattdessen soll durch ein in Italien frei verkäufliches Spray seines Physiotherapeuten Giacomo Naldi, welches dieser zur Behandlung von seiner Schnittwunde verwendete, das Doping-Mittel in
Nicht jeder im Tennissport hat Verständnis für diese Entscheidungen. Der australische Tennisprofi Nick Kyrgios schrieb auf X: "Die Ausrede, die wir alle benutzen können, ist, dass wir es nicht wussten. Einfach nicht wussten. Profisportler auf höchstem Niveau können jetzt einfach sagen: Wir wussten es nicht."
Ungerecht behandelt fühlt sich auch die zweimalige Grand-Slam-Turniergewinnerin Simona Halep, die von der ITIA wegen einer positiven Dopingprobe und Unregelmässigkeiten im Athletenpass zunächst für vier Jahre gesperrt worden war, ehe diese Strafe auf neun Monate reduziert wurde. "Ich stehe hier und frage mich: Warum gibt es so einen grossen Unterschied in Behandlung und Urteil?", schrieb die Rumänin auf Instagram.
Es liesse sich auch die Frage stellen: Ist der Tennissport nach diesen merkwürdigen Urteilen überhaupt noch glaubhaft?
Doping-Experte hat Zweifel im Fall Sinner
Grundsätzlich ist es möglich, dass Sportler ohne Absicht mit verbotenen Substanzen in Kontakt kommen. Die ARD-Doku "Schuldig - Wie Sportler ungewollt zu Dopern werden können", die unter anderem von dem ARD-Doping-Experten Hajo Seppelt realisiert wurde, hatte eindrucksvoll bewiesen: Ein flüchtiger Hautkontakt reicht, um einen positiven Dopingtest zu verursachen.
Seppelt hat dennoch Zweifel an der Geschichte von Sinner. "Die Geschehnisse in diesem Fall sind so mysteriös, dass ich diese nicht mehr glaube", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Dafür gäbe es mehrere Gründe. "Es ist nicht unbedingt wahrscheinlich, wie mir aus der Masseurs-Zunft gesagt wurde, dass jemand aus dieser Branche auf die Idee käme, mit einer Schnittwunde zu massieren."
Auch das Foto des Betreuers sei nicht unbedingt entlastend: "Es steht die Frage im Raum, ob Sinner und seine Entourage bereits vor der offiziellen Benachrichtigung des Doping-Befunds einen Tipp bekamen. Man kann sich fragen, ob dieses Bild auf der Tribüne vielleicht inszeniert gewesen ist. Die WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur, Anm.d.Red.) hat zurecht Einspruch eingelegt. Ich bin gespannt, ob sie der Unschuldsbeteuerung glaubt."
Der Fall Swiatek: Niedrige Konzentration ist kein Argument
Und wie schätzt er den Fall Swiatek ein? "Ich bin mit diesem Fall nicht vertraut und kann nicht einschätzen, ob das Medikament verunreinigt war oder nicht", stellt er zunächst einmal klar. Dass nur eine geringe Substanz nachgewiesen wurde, sei allerdings eher kein entlastendes Argument.
"Einen ähnlichen Fall gab es bei den 23 gedopten chinesischen Top-Schwimmern. Eine niedrige Konzentration ist nicht automatisch ein Beleg dafür, dass es sich um eine Verunreinigung handeln muss." Dies sei zwar möglich: "Es kann aber genauso gut sein, dass die Substanz zwei oder drei Wochen vorher eingenommen worden ist und die Halbwertszeit so kurz ist, dass nur noch eine niedrige Konzentration zum Zeitpunkt des Dopingtests gefunden worden ist." Seppelt würde nicht ausschliessen, dass die WADA auch hier Einspruch einlegt.
Doch genau genommen geht es um mehr. "Es stellt sich die übergeordnete Frage, warum die Tennis-Funktionäre so agieren und die Vorgaben des Welt-Anti-Doping-Codes sehr grosszügig zu interpretieren scheinen. Sie sind gefühlt sehr zurückhaltend mit ihren Sanktionen", sagt Seppelt. "Es ist grundsätzlich schlecht für die Glaubwürdigkeit eines jeden Sports, wenn ein Sport sich im Anti-Doping-Kampf quasi selbst kontrolliert."
Wie im Zivilrecht: Der Handlungsspielraum ist gross
Grundsätzlich ist zwar ein Sportverband, der den Code der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) unterzeichnet hat, dazu verpflichtet, sich an die WADA-Regeln zu halten. Doch ähnlich wie im Zivilrecht ist es auch hier: Viele prozessuale Streitigkeiten sind letztlich Auslegungssache und bieten einen grossen Handlungsspielraum. Einige Verbände haben sich in der Vergangenheit, so erklärt Seppelt, immer wieder ganz von allein schützend vor ihre Sportstars gestellt.
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Die Bestrafungen unterscheiden sich daher von Sportart zu Sportart sehr. "Es gibt zum Beispiel den internationalen Leichtathletikverband mit der Athletics Integrity Unit (dt. Unabhängige Integritätskommission), die nach meinem Eindruck einen sehr plausiblen, nachvollziehbaren und strikten Anti-Doping-Kurs fährt. Die internationalen Leichtathletik-Funktionäre haben nach unseren Enthüllungen zum russischen Staatsdoping, in das auch Vertreter des Weltverbandes verstrickt waren, die richtigen Konsequenzen gezogen. Das war ein Lernprozess", so Seppelt.
Warum der Tennissport nicht ähnlich verfährt? "Bislang war der mediale und politische Druck auf diesen Sport noch nicht sehr gross", sagt Seppelt. Im Tennis sei von Funktionärsseite auch deshalb "kein ausgeprägter Wille erkennbar, das Dopingproblem anzugehen. Natürlich trägt das nicht zur Glaubwürdigkeit dieses Sports bei."
Über den Gesprächspartner
- Hajo Seppelt ist Journalist und Autor, mit den Jahren wurde er zum Doping-Experten im nationalen und internationalen Sport. Seine Dokumentationen deckten in der Vergangenheit bereits mehrere Doping-Skandale auf.
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