• Tatjana Maria schreibt deutsche Tennisgeschichte und zieht als zweifache Mutter erstmals ins Halbfinale von Wimbledon ein.
  • Internationale als auch nationale Medien feiern sie für ihre Doppelrolle.
  • Doch wie weit sind Sportlerinnen, wenn es darum geht, selbstbestimmt zu handeln?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfliessen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Schon seit 2018 hat sich im professionellen Damentennis einiges ins Positive verändert. Seitdem macht die WTA Spielerinnen die Rückkehr auf die Tour deutlich einfacher. Der Status des "Special Rankings" greift bis zu drei Jahre nach der Geburt des Kindes. Bei Turnieren, bei denen die Athletinnen vor der Schwangerschaft gesetzt waren, treffen sie in der ersten Runde ausserdem auf eine ungesetzte Gegnerin.

Doch trotzdem grenzt ein Auftritt wie der von Tatjana Maria in Wimbledon immer noch an ein kleines Wunder. Zwei Kinder und Tennis auf Top-Niveau? Geht das überhaupt?

Experte: Frauen "müssen sich in vielen Sportarten ihre Teilnahmeberechtigung erkämpfen"

Christoph Bertling, Lehrender an der Sporthochschule Köln, erklärt dieses Phänomen der weiblichen Emanzipation so: "Sicherlich müssen Frauen gegen ein tradiertes Frauenbild stärker ankämpfen. Aus passiven, angepassten Verhaltenserwartungen herauswachsen. Während Männer einfach ihre Sportarten schon immer ausleben können, ohne etwas zu hinterfragen, ist dies bei Frauen ganz anders. Sie müssen sich in vielen Sportarten ihre Teilnahmeberechtigung erkämpfen, sich rechtfertigen und stossen dabei bis heute auch auf viel Unverständnis."

Anstatt also zu beklatschen, dass die 34-Jährige Familie und Beruf unter einen Hut bekommt, sollte man vielmehr die Rahmenbedingungen schaffen, dass Mütter im Profisport die Norm werden. Mit gutem Beispiel sticht Wimbledon durch eine entsprechende Kinderbetreuung hervor.

Schwanger beim Bouldern: Kritik für Shauna Coxsey

Shauna Coxsey gehört im Bouldern zur absoluten Weltklasse, startete unter anderem bei den Olympischen Spielen in Tokio. Als sie ein Foto von sich im neunten Monat schwanger an der Kletterwand postete, dachte sie sich weiter nichts.

In den sozialen Netzwerken folgten zahlreiche negative Kommentare, viele sprachen der 29-Jährigen ihr Urteilsvermögen ab, ob der Sport für Mutter und Kind sicher sei. Reaktionen wie diese sind nichts Ungewöhnliches, weiss auch Christoph Bertling: "Ein Shitstorm bindet nicht nur emotional, sondern auch die Gegenreaktionen bedürfen vieler Überlegungen und damit Zeit. Der eigentliche Wettkampf kann dann aus dem Fokus geraten."

Von ihren Followern bevormunden lassen hat sich Coxsey trotzdem nicht, denn wenn nicht sie, wer kann das Risiko ihres Sports besser einschätzen?

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Wenn Mode zum Statement wird

Für viele schwer vorstellbar, aber das Thema Kleiderwahl ist für viele Sportlerinnen immer noch mit einem harten Kampf verbunden. Da gab es beispielsweise den Fall von Fechterin Ibtihaj Muhammad, die mit Kopftuch bei den Olympischen Spielen erschien und deshalb viel Gegenwind einstecken musste. Oder die Diskussion bei den Beach-Volleyballerinnen: Der Weltverband gibt eine gewisse Kleiderordnung bei Turnieren vor. Karla Borger und Julia Sude boykottierten 2021 einen Wettkampf in Katar, wo Sport-Bikinis als anstössig galten.

Experte Christoph Bertling beobachtet den Trend, dass Sportlerinnen inzwischen zunehmend für sich eintreten: "Überraschenderweise nehmen zahlreiche Akteurinnen vermehrt in Kauf, dass ihre Meinung zu negativen Konsequenzen führen kann. Immer stärker und lauter vertreten sie ihre Meinung." Egal, ob Kopftuch, Burkini, lange Hose oder knapper Bikini, jede Frau sollte doch selbst entscheiden dürfen, was sie trägt. Auch im Sport.

Wie selbstbestimmt können Sportlerinnen tatsächlich agieren?

Schlussendlich müssen Sponsoren, Medien, Trainer, Verbände und Vereine zufrieden gestellt werden. Ein enorm grosses Spannungsfeld, das hier zwischen den Athletinnen und ihrem beruflichen Umfeld entstehen kann. "Da ist eine absolute Selbstbestimmung so gut wie ausgeschlossen", weiss auch Christoph Bertling.

Doch immerhin entwickelt sich, egal ob im Tennis, Fechten oder Klettern, ein gewisses Selbstbewusstsein hin zu mehr Selbst- und weniger Fremdbestimmung. Nun gilt es dieses auch von offizieller Seite zu fördern.

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Zur Person:
Dr. Christoph Bertling ist Lehrbeauftragter an der Deutschen Sporthochschule am Institut für Kommunikations- und Medienforschung. Bertling hat neben einigen Buchveröffentlichungen in vielen verschiedenen Fachzeitschriften im Forschungsbereich Kommunikation, Marketing, Massenmedien und Sport publiziert.
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