Es ist das Duell schlechthin im aktuellen Männertennis: Carlos Alcaraz gegen Novak Djokovic. Vor den US Open sind beide in Bestform – und wären die logische Paarung im Endspiel.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Matthias Kohlmaier sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die langjährige Nummer eins der Tennis-Weltrangliste sagte nach der schmerzhaften Niederlage gegen das Top-Talent: "Der Grund, warum ich einmal aufhören werde zu spielen, wird nicht an meinen Fähigkeiten liegen, sondern weil ich es vielleicht nicht mehr tun möchte. Es gibt keinen Grund zur Panik oder daran zu denken, dass ich nicht zurückkommen und hier wieder gewinnen könnte." Für ihn, das wollte er die Welt wissen lassen, sollte diese Niederlage auf dem Centre Court von Wimbledon noch nicht das Ende bedeuten.

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Wer nun allerdings glaubt, das Zitat stamme von Novak Djokovic nach seiner Fünf-Satz-Niederlage gegen Carlos Alcaraz im Wimbledon-Finale vor wenigen Wochen, der irrt. Gesagt hat diese Worte ein Mann, der seinen Sport vor einer Weile dominiert hat: Pete Sampras. Das war 2001, Sampras hatte gerade im Achtelfinale von Wimbledon gegen den Mann verloren, der kurze Zeit später seine eigene Ära prägen sollte: Roger Federer.

Es hat ja ohnehin lange gedauert mit der anstehenden Wachablösung im Herrentennis. Immer wieder kamen in den letzten rund 15 Jahren junge Spieler nach, die das Dauersieger-Quartett bestehend aus Federer, Djokovic, Rafael Nadal und Andy Murray verdrängen wollten. Alexander Zverev war einer von ihnen, Dominic Thiem auch, ebenso Daniil Medvedev. Aber sie alle eint: Gelegentlich konnten sie die Top Four schlagen und auch das ein oder andere grosse Turnier für sich entscheiden. Aber nachhaltig vorbeiziehen, das haben sie alle nicht geschafft.

Djokovic ist als letzter der grossen Vier noch da

Damit das passieren konnte, musste erst einer in Rente gehen (Federer), einer kurz davor stehen (Nadal) und ein weiterer trotz künstlicher Hüfte zwar noch immer tapfer, aber längst jenseits seines Zenits über die Tennisplätze dieser Welt wuseln (Murray). Und, viel wichtiger: Carlos Alcaraz musste auf den Plan treten. Denn auch wenn drei der grossen Vier nicht mehr da sind, Novak Djokovic steht auch mit 36 Jahren noch mit der breiten Brust des 23-maligen Grand-Slam-Champions auf dem Platz.

Und dass Alcaraz ihn sportlich besiegen muss und nicht auf ein natürliches Ende von Djokovics Karriere warten darf, das hat der Serbe kurz vor den nun beginnenden US Open gesagt. "Ich weiss nicht, wie viele Slams ich noch spielen werde", sagte Djokovic, aber: "Im Moment habe ich noch kein Ende im Kopf." Er sehe mittlerweile jeden weiteren Grand Slam "als eine goldene Gelegenheit, weiter Geschichte zu schreiben. Das hat natürlich eine grosse Bedeutung."

Pete Sampras hat nach seiner Wimbledon-Niederlage gegen Federer 2001 übrigens tatsächlich noch ein Grand-Slam-Turnier gewonnen – und zwar die US Open, wenn auch erst im folgenden Jahr. Aber so charmant der Vergleich zwischen Sampras/Federer und Djokovic/Alcaraz auch ist, er hinkt ein Stück weit. Denn Sampras war 2001 schon im spielerischen Herbst seiner Karriere angekommen. Sein noch immer stark von Serve-and-Volley dominiertes Spiel konnte nicht mehr dauerhaft mithalten mit den deutlich kompletteren Spielern der jüngeren Generation um Federer, Lleyton Hewitt oder Andy Roddick.

Mental scheint Djokovic Alcaraz überlegen zu sein

Dieses Problem hat Novak Djokovic nicht, er ist spielerisch noch immer einer der absolut besten Tennisprofis der Welt. Das zeigt auch der statistische Vergleich mit Carlos Alcaraz. Denn auch wenn der Spanier beim Return etwas besser dasteht, also mehr erste Aufschläge des Gegners erfolgreich zurückspielt und mehr Breaks schafft, sieht das beim Aufschlag völlig anders aus. Da gehört Djokovic zu den Top-Spielern auf der ATP-Tour, gibt mit die wenigsten Aufschlagspiele ab – während Alcaraz in dieser Statistik nur auf Rang 19 zu finden ist. Der 20-Jährige, so kann man es auch sehen, hat also beim eigenen Service noch grosses Entwicklungspotenzial.

Noch spannender ist aber eine andere Statistik, die weniger mit der Leistung von Armen und Beinen zu tun hat, sondern mehr mit der des Kopfes. In engen Matches zwischen den Top-Spielern gehen viele Sätze in den Tiebreak. Dort geht es oft weniger darum, wer gerade der bessere Mann auf dem Platz ist. Es geht darum, wer im richtigen Moment kluge Entscheidungen trifft. In dieser Disziplin ist Djokovic derzeit im Profitennis unübertroffen. Im vergangenen Jahr hat er mehr als 80 Prozent seiner gespielten Tiebreaks gewonnen; bei Alcaraz sind es nur gut 60 Prozent.

Die mentale Stärke von Djokovic hat Alcaraz vor etwas mehr als einer Woche erst zu spüren bekommen. Im Endspiel des Masters-Turniers von Cincinnati schlugen sich die beiden vor etwas mehr als einer Woche die Bälle mehr als drei Stunden lang gegenseitig um die Ohren. Alcaraz hatte im zweiten Durchgang sogar einen Matchball, konnte diesen aber nicht nutzen. Am Ende triumphierte der Serbe, weil er beide gespielten Tiebreaks für sich entscheiden konnte.

Alcaraz gibt sich vor der Mission Titelverteidigung locker

Doch auch wenn das bisher einzige Duell der beiden auf Hartplatz damit an Djokovic gegangen ist, geht Alcaraz mit demonstrativer Lockerheit in die US Open. Auf einer Pressekonferenz vor dem Turnier erklärte der Titelverteidiger, er fühle sich nun reifer auf dem Platz: "Ich glaube, dass ich ein besserer Spieler bin, als ich es vor einem Jahr war." Er konzentriere sich darauf, sein bestes Niveau zu erreichen und sich in jeder Trainingseinheit zu verbessern. "Dann werden wir sehen, wie das Turnier läuft."

Aufgrund ihrer Positionen im Ranking können die beiden Topgesetzen erst im Endspiel der US Open aufeinandertreffen. Überraschend wäre es nicht, wenn es genauso kommen würde. Für Djokovic aber ist sein Erstrundenmatch derweil so etwas wie ein vorgezogenes Finale. Da der 36-Jährige im vergangenen Jahr nicht bei den US Open am Start war, hat er bei dem Turnier auch keine Ranglistenpunkte zu verteidigen. Falls Djokovic also sein Auftaktmatch gegen den Franzosen Alexandre Muller gewinnt, wird er nach dem Turnier in jedem Fall wieder Weltranglistenerster sein – egal, wie Alcaraz sich schlägt.

Verwendete Quellen:

  • tennisnet.com: "Die Wachablösung – Als Pete Sampras von Roger Federer entthront wurde"
  • atptour.com: Djokovic über Alcaraz: "Er treibt mich immer an die Grenze"
  • atptour.com: Alcaraz warnt das Umfeld: "Ich bin ein besserer Spieler als vor einem Jahr"
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