Etwas mehr als vier Stunden lang kämpft Alexander Zverev gegen den Österreicher Dominic Thiem um seinen ersten Grand-Slam-Titel. Trotz 2:0-Satzführung verpasst er ihn. Anschliessend übermannen ihn die Emotionen.

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Nach der Niederlage im nervenaufreibenden US-Open-Finale und dem geplatzten Traum vom ersten Grand-Slam-Titel seiner Karriere kamen Alexander Zverev die Tränen.

Als der 23-Jährige nach dem anfangs skurrilen und am Ende spektakulären und hochklassigen Fünf-Satz-Krimi bei der Siegerehrung an seine Eltern zu Hause in Monte Carlo dachte, stockte ihm die Stimme.

Zverev vermisst seine Eltern und beginnt, zu weinen

"Es sind einige wichtige Leute, die heute fehlen. Ich möchte meinen Eltern danken", sagte Zverev, ehe er anfing zu weinen. Sein Vater und seine Mutter waren positiv auf Corona getestet worden und hatten die Reise nach New York deshalb nicht wie sonst mitgemacht.

Alexander Zverevs zehn Jahre älterer Bruder Mischa hatte bereits vor Beginn des Matches im Rahmen eines Interviews in der Sendung "Matchball Becker" bei Eurosport beim Gedanken an die Eltern seinen Tränen freien Lauf gelassen.

Mischa Zverev ehrt seinen Bruder

Nach dem für seinen Bruder so bitteren Spielausgang fand Mischa Zverev dann sehr persönliche Worte für seinen Bruder, die an eine Laudatio anlässlich eines hohen familiären Anlasses erinnerten: "Von dem Tag an, an dem du geboren wurdest", hob der ältere Zverev an, "wusste ich, dass du besonders bist. Und ich habe immer zu dir aufgeschaut, unabhängig von unserem Alter. Du warst derjenige, der mich immer an unsere Träume hat glauben lassen, und auch wenn es heute Nacht nicht hat sollen sein, weiss ich, dass unsere Träume wahr werden. Ich bin stolz, dein Bruder zu sein."

Trotz einer 2:0-Satzführung musste sich Zverev in New York seinem österreichischen Kumpel Dominic Thiem nach 4:01 Stunden 6:2, 6:4, 4:6, 3:6, 6:7 (6:8) geschlagen geben. "Ich war super nah dran, Grand-Slam-Champion zu sein. Ich war ein paar Spiele, vielleicht ein paar Punkte weg", sagte Zverev, als er mehr als zwei Stunden nach dem Matchball zur Video-Pressekonferenz erschien. "Ich hatte im fünften Satz viele Chancen und habe sie nicht genutzt. Aber ich bin 23 Jahre alt, ich denke nicht, dass es meine letzte Chance war. Ich glaube, dass ich eines Tages einen Grand Slam gewinnen werde", sagte Zverev.

Für den 27 Jahre alten Thiem war es im vierten Anlauf der erste Grand-Slam-Sieg. Er ist der erste Spieler seit 16 Jahren, der in einem Grand-Slam-Endspiel nach einem 0:2-Satzrückstand noch den Titel holte. Im Tiebreak nutzte der von Krämpfen geplagte Österreicher seinen dritten Matchball. "Ich wünschte, es könnte heute zwei Sieger geben", sagte Thiem.

Doch Zverev vergab trotz eines herausragenden Starts und enormer Kämpferqualitäten die grosse Chance auf den ersten deutschen Titel bei einem der vier wichtigsten Turniere seit Boris Becker 1996 bei den Australian Open. Lange Zeit war es kein hochklassiges Finale, zum Ende hin wurde das Geschehen dramatisch.

Boris Becker ist beeindruckt: "Habe sowas noch nie gesehen"

"Ich habe schon Tausende Matches gesehen. Aber sowas noch nie", sagte Becker bei Eurosport. Nachdem Thiem den Satzausgleich geschafft hatte, ging er im entscheidenden fünften Durchgang mit einem Break in Führung. Doch Zverev zeigte wie so oft ein grosses Kämpferherz und nahm Thiem postwendend ebenfalls den Aufschlag ab.

Lautstark pushte sich die deutsche Nummer eins nach vorne und ging wieder in Führung. Zum 5:3 schaffte er das Break, kassierte aber sofort wieder das Re-Break zum 5:4 - anstatt bei eigenem Aufschlag zum 6:3 und zum Titelgewinn zu vollenden. Es ging schliesslich in den Tiebreak. Beide Spieler hatten mit Krämpfen zu kämpfen. Beim dritten Matchball landete eine Rückhand von Zverev im Aus.

Am Ende der mehrstündigen Achterbahn-Fahrt liess sich Thiem rücklings auf den blauen Hartplatz fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Zverev ging auf die andere Seite des Netzes, gratulierte seinem Kontrahenten fair und umarmte ihn nicht ganz Corona-kompatibel.

Erstmals seit 2017 nicht Djokovic oder Nadal auf dem Thron

Thiem ist der erste Grand-Slam-Champion seit dem Schweizer Stan Wawrinka bei den US Open 2016, der nicht Novak Djokovic, Rafael Nadal oder Roger Federer heisst. Nadal und Federer hatten in diesem Jahr auf einen Start in Flushing Meadows verzichtet, Djokovic war im Achtelfinale disqualifiziert worden, weil er eine Linienrichterin im Frust mit dem Ball abgeschossen hatte.

Damit war der Weg frei für einen Sieger ausserhalb der Grossen Drei. Zverev vergab die grosse Gelegenheit, während Thiem sich seinen grossen Traum endlich erfüllte. Im zehnten Duell der beiden war es Zverevs achte Niederlage.

Dabei war er nach einem Traumstart mit 2:0 in Führung gegangen. "Da habe ich teilweise grottenschlecht gespielt", sagte Thiem über seine Nervosität zu Beginn der Partie. Doch nur noch einen Satz vom grossen Traum entfernt, wurde Zverev nun immer nervöser. Aggressivität und Selbstverständlichkeit gingen verloren, die Fehlerquote stieg.

Thiem profitierte und holte sich Satz drei und vier. Beide Spieler steigerten sich jetzt deutlich und lieferten sich einen packenden Schlagabtausch - mit dem besseren Ende für Thiem. (dpa/hau)

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