Schon lange wurden die Regeln in Sachen Anzüge beim Skispringen ausgereizt, jetzt aber haben die Norweger für einen handfesten Betrugsskandal gesorgt. Dabei nutzten sie die Schwächen eines neuen Regelwerks aus und verschafften sich wohl mit nur kleinen Detailänderungen einen Vorteil.
Es ist der Skandal des Jahres im Wintersport: Der norwegische Sportdirektor Jan Erik Aalbu hat nach dem letzten Springen bei der WM im eigenen Land zugegeben, dass sein Team bei den Anzügen bewusst betrogen hat. Zuvor war ein heimlich gefilmtes Video veröffentlicht worden, in dem zu sehen war, wie in einem Raum mit teilweise zugeklebten Fenstern jemand an einem Anzug arbeitet, während Bundestrainer Magnus Brevig sichtbar daneben sass. Aber wie funktionierte die Schummelei genau?
Dass Springer wegen ihrer Anzugmasse noch während oder nach dem Wettbewerb disqualifiziert werden, war im Skispringen schliesslich nie eine Seltenheit. Denn der internationale Skiverband Fis hat für die Anzüge klare Regeln aufgestellt, um zu verhindern, dass alleine das Material am Ende den Vorteil ausmacht. Meistens geht es dabei um die Anzugfläche: Je grösser diese ist, desto mehr Auftrieb haben die Springer im Flug von der Schanze.
Seit Beginn dieser Saison arbeitet die Fis deshalb mit einer Begrenzung der Anzüge für die Wettbewerbe. Nur noch zehn Anzüge dürfen die Athleten pro Saison nutzen, an einem Wochenende dürfen maximal zwei verschiedene verwendet werden. Der erhoffte Vorteil dieser Regelung: Die Teams sollten durch die Begrenzung nicht mehr in der Lage sein, bei jedem einzelnen Wettbewerb die Grenzen des Erlaubten bei den Anzügen auszureizen.
Um das zu kontrollieren, sind an der Innenseite der Anzüge an sieben Stellen mehrere NFC-Chips verschweisst und einem Springer zugewiesen. Damit soll verhindert werden, dass der Anzug teilweise oder komplett nach der Kontrolle ausgetauscht werden kann. Doch in Detailfragen zeigten sich die Mängel des Systems.
Warum ein Versehen nicht möglich ist
Der Betrug der Norweger war nämlich deshalb nicht aufgefallen, weil sie nicht ganze Anzugteile ersetzten oder veränderten, sondern sich wohl mit einer kleineren Änderung einen Vorteil verschafften. "Anscheinend haben sie vom Knie weg bis zum Schritt auf der Innenseite ein steifes Band eingenäht", erklärte Österreichs Bundestrainer Andreas Widhölzl das unerlaubte Vorgehen der Norweger. Die neue, steifere Naht im Anzug ist nur ein kleiner Unterschied, der dem jeweiligen Springer im Flug aber mehr Stabilität verleiht.
Mit vorherigen Disqualifikationen, etwa der von Katharina Althaus (heute Schmid) bei den Olympischen Spielen 2022 in Beijing, ist der Betrug nicht vergleichbar. Damals fielen die unerlaubten Anzüge erst bei der offiziellen Kontrolle auf. Die Norweger wussten aber bereits, dass die Anzüge bereits kontrolliert worden waren und nicht mehr verändert werden durften - deshalb ist hier nicht von einem reinen Versehen oder einer Ausreizung des Regelwerks auszugehen.
Welche Konsequenzen hat der Skandal im Skispringen?
Auch personelle Konsequenzen gibt es bereits: Trainer Brevig wurde vom norwegischen Verband ebenso suspendiert wie der ebenfalls involvierte Mitarbeiter Adrian Livelten. Die beteiligten Springer, darunter Marius Lindvik und Johann Andre Forfang, behaupten wiederum, von der nachträglichen Manipulation der Anzüge nichts gewusst zu haben. Die Silbermedaille von der Grossschanze musste Lindvik bereits abgeben - anders ist es bei der Goldmedaille von der Normalschanze, wo ein Betrug noch nicht nachgewiesen werden konnte.
Dass es dabei aber wirklich mit rechten Dingen zuging, ist fraglich: Schliesslich ergibt es nach einem regelkonform gewonnenen Weltmeistertitel eigentlich wenig Sinn, für den zweiten Wettbewerb plötzlich auf unlautere Mittel zurückzugreifen. Und auch allgemein gibt die Leistungssteigerung der Norweger im Vergleich zum Beginn des Jahres, als noch deutsche und österreichische Springer im Wettbewerb dominierten, Rätsel auf. Noch. Denn die Aufarbeitung des Skandals steht erst ganz am Anfang.
Verwendete Quellen
- SID und DPA
- sportschau.de: So funktioniert die Anzugsvermessung im Skispringen
- bild.de: Hannawald: „In meinen schlimmsten Alpträumen nicht gedacht!“