Angerer gegen Solo. Rapinoe gegen Maroszan. Sasic gegen Morgan. Das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und den USA (ab 01:00 Uhr live in der ARD) bietet Stoff für zahllose Geschichten - und ein Duell absolut auf Augenhöhe.

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Man stelle sich das mal vor: Da schlendert Lionel Messi ein paar Stunden vor einem WM-Halbfinale gegen Deutschland nichtsahnend und gedankenversunken durch sein Hotel - und steht plötzlich inmitten der kompletten gegnerischen Mannschaft. Den Neuers und Schweinsteigers, den Müllers und Götzes. Undenkbar eigentlich, zumindest bei den Männern. Aber genauso ist es der US-Amerikanerin Jill Ellis am Montag ergangen.

Der Weltverband FIFA hat es tatsächlich geschafft, die USA und Deutschland im Spielort Montreal in ein und demselben Hotel einzuquartieren. Und weil Jill Ellis seit einem Jahr die amerikanische Mannschaft trainiert und die deutschen Spielerinnen gerade zu Tisch waren, ergab sich diese merkwürdige Situation: Der erste Feindkontakt bereits Stunden vor dem Spiel.

Sie sei lediglich ein paar Schritte gegangen, sagte Ellis, "und dann stand ich fast im Essensraum der Deutschen. Man sollte die FIFA mal fragen, warum wir in einem Hotel wohnen. Ich weiss nicht, wie das bei den Männern wäre."

In den USA fiebert das Publikum dem WM-Halbfinale entgegen

Nun hat sich diese vergnügliche Episode in den Staaten ziemlich geschickt verkaufen lassen und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Vorberichterstattung. Denn wenn die Amerikaner eins können, dann ihr Produkt oder ihren Sport so fulminant wie möglich zu präsentieren.

Das Team USA ist mit einem Altersdurchschnitt von 29 Jahren und fünf Monaten die älteste Mannschaft des Turniers, Verteidigerin Christia Rampone feierte vor wenigen Tagen ihren 40. Geburtstag. Zehn Spielerinnen haben schon 100 oder mehr Länderspiele bestritten. Es sind die bekannten Gesichter des Soccer, die Deutschland in der Nacht zum Mittwoch herausfordern werden.

Hope Solo (33), Ali Krieger (31), Shannon Boxx (38), Megan Rapinoe (29) oder Abby Wambach (35). Und dazu die gar nicht mehr so jungen Jungstars Christen Press (26) oder natürlich Überfliegerin und Everybody’s Darling Alex Morgan (25).

Bisher hat die US-Auswahl von Trainerin Ellis in diesem Turnier allenfalls phasenweise überzeugen können. Es gibt Mannschaften mit besseren Einzelspielerinnen oder dem ausgefeilteren taktischen Grundmuster. Aber die USA sind fast jedem Gegner körperlich überlegen, trotz des fortgeschrittenen Alters ihrer Spielerinnen. Die Amerikanerinnen machen Dampf, von der ersten bis zur letzten Sekunde. Immer körperlich hart, immer schnell, immer mit letztem Einsatz und immer positiv im Umgang untereinander.

Die Stars im US-Team: Abby Wambach, Alex Morgan und Hope Solo

Stars gibt es einige im US-Team. Abby Wambach, ein kantige Mittelstürmerin mit einem überragend guten Kopfballspiel, war lange Zeit das verkappte Glamourgirl. Später folgten die wasserstoffblondierte Megan Rapinoe und natürlich Torhüterin Hope Solo, die eine Lebensgeschichte zu erzählen hatte mit einem alkoholsüchtigen und verurteilten Vater, mit Dopingvergehen und Anzeigen wegen häuslicher Gewalt. Und die es auf Grund ihres hübschen Aussehens auf die Titelseite der "Sports Illustrated" geschafft hat.

In Kanada zieht nun Torjägerin Alex Morgan die meiste Aufmerksamkeit von Fans und Medien auf sich in einer Art, die in Deutschland kaum vorstellbar ist. Sie ist so etwas wie das neue Cover-Girl, Spötter sprechen bereits von einem It-Girl. Angeblich sollen ihr mehrere Werbeverträge Einnahmen von rund drei Millionen US-Dollar pro Jahr bescheren.

Ihr "deutsches Pendant" Celia Sasic jedenfalls spielt verglichen dazu nicht nur räumlich in einer anderen Liga. Und trotzdem dürfte die Deutsche beim Gegner bislang mehr Angst und Schrecken verbreitet haben als Morgan bei den Deutschen.

Mit sechs Toren liegt Sasic derzeit auf Rang eins der Torschützenliste, gefolgt von ihrer Mannschaftkollegin Anja Mittag (fünf). Die besten Amerikanerinnen sind Rapinoe und Carli Lloyd, zwei Mittelfeldspielerinnen. Die Angreiferinnen Wambach, Press und eben Morgan haben bisher erst je ein Tor erzielt.

US-Team erzielt wenige Tore

Überhaupt kommen die USA bisher erst auf sieben erzielte Tore in fünf Spielen. Die deutsche Mannschaft stellt dagegen mit 20 Treffern die gefährlichste Offensive des gesamten Turniers. Trotzdem hat Nadine Angerer mächtigen Respekt vor der Offensivpower der US-Girls. "Wenn ich mir das mit Alex Morgan, Megan Rapinoe, Christen Press oder Abby Wambach so anschaue: Da kommt ein geballter ICE auf uns zugerast."

Und dazu sind die USA in der Defensive kaum zu überwinden. Seit dem bisher einzigen Gegentor im Auftaktspiel gegen Australien wurde Hope Solo in den folgenden 423 Minuten nicht mehr bezwungen.

Sie ist mit Nadine Angerer die beste Torhüterin der Welt, das Aufeinandertreffen der beiden nun im Halbfinale ist wie der Kampf der Titaninnen. "Hope ist seit Jahren eine der weltbesten Torhüterinnen der Welt, Nadine ist ein Wettkampftyp. Ich bin gespannt, wie das ausgeht", sagt Alex Morgan, die mit Angerer im Verein in Portland zusammenspielt.

Im Mittelfeld kommt es - hoffentlich - zum grossen Showdown zwischen Carli Lloyd und Dzsenifer Maroszan, zum Vergleich zwischen Kraft und Grazie. Maroszan hat sich im Viertelfinale gegen Frankreich verletzt, ihr Einsatz ist weiter offen. Immerhin kann sie wenige Stunden vor dem Spiel wieder etwas optimistischer sein. "Es hat sich bei Dzsenifer gebessert", sagt Bundestrainerin Silvia Neid. "Aber wir können noch nicht sagen, ob sie spielen kann."

Mit Lloyd erwartet die technisch beste deutsche Spielerin ein harter Wettkampftyp, gestählt nach 17 Profijahren und in 200 Länderspielen für die USA. Sie hat die USA im Viertelfinale gegen China weitergeköpft. Es wäre aber nicht das erste Mal im Fussball so, dass die entscheidenden Akzente am Ende gar nicht von den vermeintlichen Stars kommen.

Trumpfen die unscheinbaren Spielerinnen im WM-Halbfinale auf?

Die heimlichen Leader beider Mannschaften jedenfalls spielen ganz unscheinbar in der jeweiligen Innenverteidigung. Becky Sauerbrunn wurde zweimal in Folge zur Verteidigerin des Jahres in den USA gewählt. Die hält den Laden zusammen und die Gegner weit weg vom eigenen Tor. Und auf der anderen Seite hat Annike Krahn gegen Frankreich wohl das Spiel ihres Lebens gemacht. Sie war "einfach der Wahnsinn", wie ihre Trainerin danach sagte.

Vielleicht geht Deutschland nach dem Kraftakt gegen die fussballerisch überragenden Französinnen als moralischer Favorit ins Rennen. Das Duell der Supermächte des Frauen-Fussballs ist ansonsten völlig offen. Die Zuschauer dürfen sich auf die wohl spannendste Partie des gesamten Turniers freuen. Jill Ellis, die sich beinahe in die Arme des Gegners verirrt hatte, vermutet eine weitere "epische Schlacht".

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