Nach über 70 Jahren Regentschaft schien die britische Monarchie ohne Queen Elizabeth kaum vorstellbar. Nun ist König Charles etwas mehr als ein Jahr im Amt. Am 14. November feiert der Monarch seinen 75. Geburtstag. Wäre es nicht langsam an der Zeit, die britische Monarchie abzuschaffen? Pro und Contra.
Pro: Bye bye, Royals! Die britische Monarchie gehört abgeschafft
Von Viktoria Thissen
Die Zustimmung zur Krone bröckelt. Nur noch 62 Prozent aller Briten unterstützen die Monarchie, in der sie leben. 2012 waren es noch 73 Prozent. In der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren sind es sogar nur 37 Prozent, die der Monarchie etwas abgewinnen können. Das Ergebnis der Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov, die kurz vor dem ersten Todestag von
Auch in Staaten des Commonwealth – der Staatenbund, der hauptsächlich aus den früheren britischen Kolonien besteht – wird verstärkt über eine Abkehr von der Krone nachgedacht. Zuletzt trat Barbados 2021 aus.
Das Königshaus kostet den Steuerzahler viel Geld
In einer immer komplexer werdenden Welt, vor allem aber in einem mittlerweile demokratisierten Europa stellt sich mehr denn je die Frage, wofür ein Land einen Monarchen benötigt. Denn zu sagen hat
Befürworter der Krone argumentieren gerne, dass kein Geld der Welt die Wirkung eines Königshauses aufwiegen könne. Schliesslich biete ein Monarch oder eine Monarchin der Bevölkerung einen moralischen Kompass, eine Vorbildfunktion, und sei eine verlässliche Grösse in oft beunruhigenden Zeiten. Mit Verlaub: Das ist Quatsch. Nicht nur, weil sich vor allem junge Leute nicht mehr von einem Menschen etwas sagen lassen wollen, der ausschliesslich qua Geburt auf seinem Thron sitzt. Sondern vor allem, weil die britischen Monarchinnen und Monarchen in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll selbst unter Beweis gestellt haben, dass sie erstens nicht zum Vorbild taugen und zweitens nicht bereit sind, Fehlverhalten in der königlichen Familie aufzuarbeiten.
Queen Elizabeth hätte düstere Kapitel der Monarchie aufarbeiten müssen
Eigentlich wäre es Aufgabe von Queen Elizabeth gewesen, endlich all jene düsteren Kapitel aufzuarbeiten, die sich über die britische Krone in den Geschichtsbüchern finden lassen: die kolonialistische Vergangenheit des Königshauses, in der Sklaverei, Ausbeutung, Vertreibung und Ermordung auf der Tagesordnung standen.
Auch das royale Familienleben ist alles andere als vorbildlich: Die unter Depressionen und Essstörungen leidende
König Charles wird die britische Monarchie nicht modernisieren
Schon jetzt zeichnet sich ab: König Charles, immerhin jetzt 75 Jahre alt, wird die britische Monarchie nicht grundlegend modernisieren. Diese Aufgabe wird seinem Nachfolger zukommen.
Vielleicht hat
Contra: Dynastie mit Zukunft – die Monarchie muss bleiben
Von Patricia Kämpf
Als die Schauspielerin
Die Monarchie auf der Insel darf nicht abgeschafft werden. Denn sie liefert. Geschichten über Geschichten. Glanz und Gloria beim Guinness, Gesprächsstoff für die Menschen im Pub. Und überall auf der Welt.
Hat wirklich jemand aus dem engsten Kreis gefragt, welche Hautfarbe Harrys und Meghans Baby haben wird? Bei der Kolonialvergangenheit des britischen Empire, die bis heute nicht aufgearbeitet ist? Hat der Festzug vom Buckingham Palace zur Westminster Abbey am Tag von Charles’ Krönung wirklich 100 Millionen Pfund gekostet, finanziert aus Steuergeldern? Obwohl das Königshaus, glaubt man Recherchen des britischen "Guardian", 1,8 Milliarden Pfund (2,05 Milliarden Euro) besitzt?
Menschen lieben Geschichten, ohne sie können wir nicht überleben. Sie wühlen auf, regen an, wir reden, interpretieren, analysieren, stigmatisieren. Oder machen unser Leben spannender, falls gerade nicht so viel passiert. Kurz: Wir sind unterhalten. Seit Jahrhunderten.
Der europäische Adel ist für viele Menschen Vorbild und Feindbild zugleich – und das schon lange: Bereits im Mittelalter hatten Adlige besondere Rechte, waren für die Kriegsführung und den Schutz der einfachen Bevölkerung zuständig. Die einfache Bevölkerung wiederum forderte daher ein adäquates Verhalten ein, zum Beispiel ein ritterliches. Wurde der Ritter dieser Forderung nicht gerecht, was sicher nicht selten vorkam, sorgte das schon vor 700 Jahren für Unmut.
Die britischen Royals inszenieren sich selbst
Diese Widersprüchlichkeit zwischen Vorbild und Feindbild fasziniert und liegt uns vielleicht immer noch im Blut. Überhaupt, Blut: Das der Adligen soll ja blau sein. Und zwar deswegen, weil sie früher nicht wie der Pöbel auf dem Feld schuften mussten. Sie residierten in ihren Palästen fernab der Sonne und waren deswegen so blass, dass ihre Adern blau durchschienen. Auch so eine Geschichte, die Menschen sich erzählen.
Die blassen Briten schaffen es heutzutage, anachronistisch und postmodern zugleich zu sein. In London kann man im St. James' Park martialische Militärparaden bei "Trooping the Colour" verfolgen, inklusive Kanonenschüssen und Aufmärschen der Foot Guards, die die berühmten Bärenfellmützen tragen. Auf Instagram wünscht der Prince of Wales, Thronfolger Prinz William, den Lionesses viel Glück im Finale der Fussball-WM der Frauen gegen Spanien. Seine Tochter Charlotte sitzt mit einem Fussball auf dem Schoss neben ihm. Über 15 Millionen Menschen folgen "The Prince and Princess of Wales".
Die britischen Royals lieben ihre Traditionen, inszenieren sich selbst und halten so die Monarchie aufrecht. Auf Schloss Windsor feiern noch immer echte Prinzessinnen echte Traumhochzeiten, Charles lässt sich in seiner Krönungszeremonie im 21. Jahrhundert den 1,3 Kilogramm schweren Reichsapfel überreichen – und dann wohnen die auch noch in einem echten Schloss!
Aber nicht alles ist Pomp und Prunk. Nach wie vor eröffnet der Regent die neue Sitzungsperiode von House of Commons und House of Lords im britischen Parlament. Bei seinem Staatsbesuch in Deutschland im März 2023 sprach Charles III. über den Krieg in der Ukraine – eine politische Äusserung, die bei seiner Mutter, Queen Elizabeth II., wohl undenkbar gewesen wäre. Bereits in seinem ersten Jahr als König deutet sich an, dass Charles die Monarchie langsam modernisiert.
Skandale nahezu unbeschadet überstanden
Tradition und Aufbruch sind in perfekter Balance, und das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Windsors selbst ihre Skandale bislang nahezu unbeschadet überstanden haben – Prinzessin Dianas Sensationsinterview mit der BBC, Prinz Harrys Nazi-Uniform, die Scheidung von Prinzessin Margaret.
Zu Harrys Autobiografie "Reserve" hatten viele Menschen eine Meinung, die normalerweise nichts vom Adel wissen wollen. "Wie kann er das nur alles ausplaudern?", fragten die einen, war doch das Motto der Queen zeit ihres Lebens "Never complain, never explain" ("Nie beschweren, nie erklären"). "Muss er wirklich von seinem ersten Mal hinter einem Pub berichten?", fragten die anderen. Natürlich, will ja jeder wissen, wie das bei einem Prinzen abläuft. Wird sich nun was ändern im Königshaus?
Nein, natürlich wird sich nichts ändern. Ohne die Geschichten, die Inszenierungen und Skandale, die politischen Äusserungen, ohne die neuesten Fotos von Herzogin Kates Mantelkleid, das sie vor zwei Jahren schon mal getragen hat, und Königin Camillas pompösem Hut beim "Royal Ascot"-Pferderennen wäre unser aller Leben doch nur halb so spannend.
Verwendete Quellen:
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