Seit einem Jahr sitzt Charles III. auf dem britischen Thron. Wie hat sich der neue König in den ersten zwölf Monaten seit dem Tod seiner Mutter, der Jahrhundertkönigin Elisabeth II., geschlagen? Unsere Redaktion hat den RTL-Adelsexperten Michael Begasse um ein erstes Zwischenfazit gebeten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Dennis Ebbecke sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am 8. September 2022 stand die Welt für einen Moment still: Die britische Königin Elisabeth II., die 70 Jahre lang das Zepter in den Händen gehalten hatte, starb an diesem historischen Tag im Alter von 96 Jahren auf ihrem schottischen Landsitz Balmoral. Mit dem Tod der Queen avancierte ihr ältester Sohn Charles dem Protokoll entsprechend zum neuen König.

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Dessen Thron-Übernahme jährt sich nun zum ersten Mal. Wie hat sich der einst als "ewiger Thronfolger" titulierte Monarch, der im November seinen 75. Geburtstag feiern wird, in den vergangenen zwölf Monaten präsentiert? Wir haben Michael Begasse um ein Zwischenfazit gebeten und ihn zudem mit der Frage konfrontiert, wie präsent die verstorbene Queen ein Jahr nach ihrem Ableben noch in den Köpfen der Menschen ist.

Charles führt Agenda der Queen weiter

Der RTL-Adelsexperte ist genau dieser Frage bei einem Besuch in der englischen Hauptstadt kürzlich selbst auf den Grund gegangen: "Als ich in London angekommen bin, habe ich sofort Geld abgehoben, weil ich unbedingt wissen wollte, wer auf den aktuellen Scheinen abgebildet ist: die Queen oder Charles." Als er dann tatsächlich die Banknoten mit dem Konterfei der Königin in den Händen halten durfte, habe er sich ehrlich gefreut und einen der Geldscheine nach seiner Rückkehr sogar als Erinnerungsstück eingerahmt.

Auch wenn der Austausch sukzessive umgesetzt wird: Elisabeth II. ist in Grossbritannien nach wie vor allgegenwärtig – ob auf Geldnoten, Briefmarken oder Münzen. Noch wichtiger ist aus Sicht von Begasse aber etwas anderes: "Die Queen ist nicht nur in jedem Portemonnaie zu finden, sondern vor allem in den Herzen der Bevölkerung verankert – und zwar liebevoll und ausdrücklich nicht im Vergleich mit Charles."

Die verstorbene Königin habe es posthum geschafft, innerhalb eines Jahres historisch zu werden. "Das konnte aber nur passieren, weil Charles nie versucht hat, seine Mutter zu imitieren, sondern ihre Agenda in ihrem Sinne weiterzuführen. Insofern können die beiden Monarchen sozusagen sehr gut nebeneinander existieren, ohne sich einander etwas wegzunehmen", führt der Experte aus.

Diese vier Entwicklungen sprechen für den neuen König

Ein direkter Vergleich zwischen der Jahrhundertkönigin und ihrem Nachfolger ist ohnehin nicht angebracht – alleine schon, weil die Grundvoraussetzungen unterschiedlicher kaum sein könnten. "Im Gegensatz zu seiner Mutter, die immer darunter gelitten hat, für die Rolle der Königin gar nicht ausgebildet gewesen zu sein, ist Charles bestens vorbereitet in den Job gegangen. Wir dürfen nicht vergessen, dass er der längste Thronfolger in dieser über tausendjährigen Geschichte der britischen Monarchie war", erklärt Begasse. Dementsprechend habe er in seinem ersten Jahr gut performt.

Konkret führt der Adelsexperte vier positive Entwicklungen an, die er in erster Linie Charles III. zuschreibt und die letztlich für den 74-Jährigen sprechen. Begasses Einschätzung nach ist es dem neuen König gelungen, erste eigene Themen zu setzen, den königlichen Apparat zu verschlanken, einen Schulterschluss mit Europa zu forcieren und die antimonarchischen Stimmen vorerst verstummen zu lassen.

Fleissig, nachhaltig und sparsamer

Charles konnte sich zwar noch nicht als grosser Reformer einen Namen machen, laut Begasse aber sehr wohl "als eigenständiger, authentischer König". Das bekomme er bei seinen England-Besuchen immer wieder gespiegelt. Mit erkennbarem Fleiss wurde er seinem Anspruch, seinem Volk jeden Tag zu dienen, bis dato gerecht. Wie die britische Nachrichtenagentur PA ermittelt hat, nahm Charles in seinem ersten Jahr als König deutlich mehr offizielle Termine (über 550 in 161 Tagen) wahr als die Queen während ihrer ersten zwölf Monate auf dem Thron (rund 400 in 157 Tagen).

Insbesondere in Sachen Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz konnte der König bereits Pluspunkte sammeln – also mit jenen Inhalten, mit denen sich die traditionsbewusste Queen in den letzten Jahren ihrer Regentschaft kaum auseinandersetzen wollte. Zudem habe er gezeigt, dass es nicht sein Ziel sei, das komplette königliche Besteck zu bewahren.

Anders ausgedrückt: "Charles spart, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Aber er lässt Arbeitsverträge auslaufen und reduziert so die Personalkosten." Natürlich wisse auch er um die enorme Wirtschaftskraft der Königsfamilie, wie Begasse deutlich macht: "Er wäre schlecht beraten, wenn er Buckingham Palace zuschliessen würde, weil der Palast genauso zu London gehört wie der Eiffelturm zu Paris. Insofern ist auch Vorsicht geboten."

Noch sei es zu früh, um die ersten Sparmassnahmen des Königs seriös einzuordnen. Doch dass sich etwas tut, macht Begasse unter anderem an folgendem Beispiel fest: "Balmoral soll in den kommenden Jahren in ein Museum umgewandelt werden. Auf diese Weise können Eintrittsgelder generiert werden – so wie in diesem Jahr bereits einmal geschehen."

Klares politisches Bekenntnis zu Europa

Besonders auffällig im ersten Jahr der Ära König Charles III. war das klare politische Bekenntnis zu Europa, wie Begasse bestätigt: "Er hat quasi als erste Amtshandlung die enge Freundschaft Englands zu Deutschland und Frankreich betont und mit seiner ersten Auslandsreise im Frühjahr gezeigt, dass Grossbritannien auch ohne EU-Zugehörigkeit ein Motor für Frieden und Wohlstand sein möchte." Der geplante Frankreich-Besuch, der aufgrund von Unruhen in dem Land verschoben werden musste, wird vom 20. bis 22. September nachgeholt.

Neben diesem europäischen Schulterschluss waren die ersten zwölf Monate des Regenten von einer erstaunlichen Schottland-Präsenz geprägt – laut Begasse vor folgendem Hintergrund: "Dieses Vereinigte Königreich muss die Schotten bei der Krone halten. Denn würde Schottland wegbrechen, würde das einen Dominoeffekt auslösen – insbesondere mit Blick auf die 14 weiteren, als Commonwealth Realms bezeichneten Staaten, darunter Australien, Neuseeland und Kanada."

Charles unter Beobachtung

Sowohl in diesen entfernten Ländern als auch in der Heimat des Königs blieb es, anders als von einigen Beobachtern erwartet,g vonseiten der Monarchiekritiker überraschend ruhig. Grosse Bestrebungen, ein Referendum für eine Republik in Angriff zu nehmen, gab es bislang nicht.

Begasse geht sogar noch einen Schritt weiter: "Diese antimonarchischen Proteste, die bei der Krönung noch zu hören waren, sind quasi zum Stillstand gekommen. Ich hatte erwartet, dass die Gegner der Monarchie die Gunst der Stunde, dieses Vakuum von der Queen zu Charles, mehr für sich nutzen würden. Daraus schliesse ich: Die Menschen schauen sich Charles interessiert und erwartungsvoll an."

Nachholbedarf: Australien und Co. warten auf ein Zeichen

Um diesen Vertrauensvorschuss nicht zu verspielen, ist Charles laut des Adelsexperten in seinem zweiten Jahr jedoch gefordert: "Die Menschen in den 14 Ländern kann er nur mit Präsenz von der Krone überzeugen. Dass Charles Australien, Neuseeland, Kanada und Co. bisher noch keinen einzigen Besuch abgestattet hat, werte ich als einzige Irritation seiner insgesamt verheissungsvollen ersten zwölf Monate als König. Man könnte es auf sein Alter schieben, aber meines Erachtens muss er da durch."

Es sei die Aufgabe des 74-Jährigen, diese wegweisenden Reisen in seinem zweiten Regierungsjahr nachzuholen. "Macht er das nicht, riskiert Charles eine gewisse Monarchiemüdigkeit. Das Staatsoberhaupt muss sichtbar sein", argumentiert der Experte und fügt hinzu: "Wenn er nicht selbst reisen möchte, dann muss er eben William und Kate schicken."

Das Thronfolger-Paar erfreut sich in England nach wie vor einer grossen Beliebtheit. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge bewerten 74 Prozent der Menschen im Vereinigten Königreich den Prinzen von Wales positiv. Auch dessen Vater und die Institution kommen bei der Erhebung alles in allem gut weg: So sind 59 Prozent der Briten der Ansicht, dass der König gute Arbeit leistet.

Und etwa sechs von zehn Briten (62 Prozent) sind der Meinung, dass die Monarchie erhalten bleiben sollte, während sich 26 Prozent ein gewähltes Staatsoberhaupt für ihr Land wünschen.

Charles III.: Der zufriedene König

Abgesehen von diesem Nachholbedarf sowie dem kleinen Kugelschreiber-Fettnäpfchen zu Beginn der Regentschaft fällt Begasses Zwischenbilanz nach einem Jahr Charles III. "im wahrsten Sinne des Wortes königlich aus". Daran habe auch Camilla einen grossen Anteil, die einen mindestens genauso guten Job mache wie ihr Ehemann. "Sie ist wirklich open-minded und vor allem im Umgang mit Kindern sehr liebevoll. Camilla ist eine zweite Queen, weil sie eben nicht versucht, die Erinnerungen an DIE Queen beiseitezuschieben."

Dass die beiden Spass am Leben haben und diese Freude zu transportieren versuchen, wurde kürzlich bei den Highland Games deutlich. Der König zeigte sich stilecht im Schottenrock und gab sich volksnah, ohne dabei seinen Status als Respektsperson aufs Spiel zu setzen.

"Vielleicht wird Charles einmal als der zufriedene König in die Geschichte eingehen. Seine Mutter hat vorgelegt und er wird seine Zeit auf dem Thron nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen", blickt der Adelsexperte einerseits optimistisch in die Zukunft und andererseits in Erinnerungen schwelgend auf die Wand in seinem Büro, die inzwischen von einem eingerahmten Geldschein mit dem Konterfei der Jahrhundertkönigin geziert wird.

Zur Person: Michael Begasse ist Adelsexperte und berichtet unter anderem für RTL über die Royals.
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