Bollywood-Filme sind schön und kitschig, das Happy End ist fester Bestandteil jedes Films. Für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die nicht zu den grossen Stars gehören, sind die Bedingungen aber schwierig. Immer wieder wird von Vetternwirtschaft und Mobbing berichtet.

Mehr Panoramathemen finden Sie hier

Ein Bollywood-Film ohne durchchoreografierte Massentanzszenen, ohne riesige Hochzeiten, ohne Kämpfe, ohne Körperkontakt - eigentlich ist das unvorstellbar, aber im Moment Realität. Nach den USA wurde kein anderes Land weltweit so hart von der Corona-Pandemie getroffen wie Indien. Weit mehr als acht Millionen Menschen haben sich in Indien nachweislich mit SARS-CoV-2 infiziert, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Und natürlich hat dies auch Auswirkungen auf die Filmindustrie. In Mumbai, wo das Zentrum des Hindi-Films liegt und normalerweise Kinostreifen am Fliessband produziert werden, herrschen derzeit strenge Regeln. Am Set werden Masken getragen, Schauspielerinnen und Schauspieler, die älter als 60 Jahre sind, werden aktuell gar nicht erst besetzt. Stars müssen ihr Make-up selbst auftragen, Film-Produzent Jamnadas Majethia verpasste allen an den Dreharbeiten beteiligten Personen einen Regenschirm, der in den Drehpausen aufgespannt werden musste, um die Abstandsregeln einzuhalten. Es ist eine ganze Reihe an Vorschriften, die die "Producers Guild of India" erlassen hat. Sie geben einer Branche ein strenges Regelwerk, die ansonsten als unorganisiert gilt, wo es kein geltendes Arbeitsrecht gibt.

Traumfabrik Bollywood: Sobald die Kameras aus sind, sieht es anders aus

Bollywood - eine Wortschöpfung aus Bombay, wie Mumbai früher hiess, und Hollywood - ist eine Traumfabrik. Tapfere Helden und schöne Frauen, die zusammenfinden, finstere Schurken, die am Ende natürlich besiegt werden, wunderschöne Locations, bunte Farben und ein kitschiges Happy End. Das ist Bollywood.

Sobald die Kamera aus ist, sieht die Situation aber anders aus. Im Sommer erschütterte der Suizid von Sushant Singh Rajput die indische Filmszene, der berühmte Schauspieler wurde nur 34 Jahre alt. "Wir haben das Gefühl, dass er unter Druck von Bollywood stand", sagte dessen Cousin Niraj Kumar Bablu zu "India.com". Rajput litt unter Depressionen, die mit den Bedingungen in Mumbais Filmindustrie in Verbindung gebracht wurden.

Die Vetternwirtschaft in Bollywood habe ein "toxisches Level" erreicht, schrieb die Filmkritikerin Priyanka Sinha Jha in "The Print". Die Studiobosse vergeben Rollen an Familienmitglieder oder Günstlinge, unabhängig von deren Talent oder Eignung für die Rolle. Immer wieder gibt es auch Berichte von sexuellen Übergriffen auf junge Schauspielerinnen. Während in Hollywood die #MeeToo-Bewegung auf Belästigung und Übergriffe durch Produzenten aufmerksam machte, scheint in Bollywood der Weg zu Rollen teilweise immer noch über die Besetzungscouch zu führen.

Drehtage, die 18 Stunden dauern, sind nicht ungewöhnlich

Wer über diese Umstände spricht, verliert seine Chance auf grosse Rollen, von gezieltem Mobbing ist die Rede. Gerüchteweise litt der talentierte Rajput darunter, dass weniger geeignete Schauspieler mit besseren Beziehungen ihm vorgezogen wurden. Sein Suizid war nicht der einzige in den vergangenen Jahren in der Hindi-Filmindustrie.

In kaum einem anderen Umfeld weltweit wird ein derartiger Starkult wie in Bollywood betrieben, die Gagen von Stars wie Shah Rukh Khan, Amitabh Bachchan oder der ehemaligen Miss World Aishwarya Rai Bachchan verschlingen oft einen grossen Teil des Budgets der Filmproduktion, für junge und aufstrebende Schauspieler bleibt nicht viel übrig.

Aber nicht nur für Schauspielerinnen und Schauspieler sind die Bedingungen schwierig, sondern für alle Mitglieder des Drehteams. Ein normaler Drehtag dauert zwölf Stunden, aber Überstunden sind die Regel. "Wir müssen eine Stunde vor Drehbeginn am Set sein, wenn der Dreh sich in die Länge zieht, was ziemlich oft passiert, arbeiten wir am Ende 16 bis 18 Stunden", erzählte der Beleuchter Anil Kute im "Citizen". Nach einem so langen Arbeitstag muss dann noch der Heimweg bewältigt werden, was im täglichen Verkehrschaos Mumbais und bei den langen Wegen in der riesigen Stadt nicht zu unterschätzen ist.

Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen

Kranken- oder Rentenversicherungen gibt es nicht, der Mindestlohn ist bei einem Tagessatz von knapp 13 Euro angesetzt, aber auch dieser wird oft nicht gezahlt. "Wenn wir uns darüber bei den Gewerkschaften beschweren, informieren diese die Produktionsgesellschaften, die uns beschuldigen, Politik zu machen und uns nicht mehr einstellen", berichtete Beleuchter Kute.

Stuntmen riskieren am Set ihr Leben, da die Sicherheitsbedingungen niedrig sind, meistens ist kein medizinisches Personal vor Ort. Immer wieder wird von schweren und tödlichen Unfällen berichtet. Letztlich ist es aber ähnlich wie bei den Schauspielerinnen und Schauspielern: Der Verdrängungskampf ist hart, die Jobs in der Filmindustrie sind trotz allem begehrt. Weshalb die Stuntleute oft grössere Risiken eingehen, als eigentlich zu verantworten ist.

Kein Platz für Arme und Menschen dunkler Hautfarbe in Bollywood

Mit dem tatsächlichen Leben in Indien haben die Filme ohnehin nicht viel gemein. Die Handlungen drehen sich fast ausschliesslich um Menschen aus der Oberschicht, die Armen, von denen es in Indien viele gibt, kommen in Bollywood-Filmen nicht vor. Zudem haben es Inder dunklerer Hautfarbe schwer, eine Rolle vor der Kamera zu ergattern. Denn helle Haut gilt als Schönheitsideal in Indien.

Als wegen der Corona-Pandemie die Filmproduktion im Frühjahr aussetzen musste, rückten die Tagelöhner, die als Beleuchter, als Bühnenbildner oder Nebendarsteller arbeiten, in den Fokus. Denn sie standen plötzlich ohne Einkommen da. Eine Produktionsgesellschaft stellte 4.000 Essenspakete zur Verfügung, was aber auch nur kurzfristig half, die Not zu lindern.

Bereits mehrfach wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Bollywood gestreikt, regelmässige und bessere Bezahlung, eine Krankenversicherung oder medizinisches Personal am Set wurden gefordert. Geholfen hat es bislang nichts. Die Produktionsgesellschaften sind zu mächtig, die Filme zu lukrativ, der Druck, schnell Filme zu produzieren, ist zu gross. Die Bedingungen für Schauspielerinnen und Schauspieler sowie alle Filmschaffenden bleiben schwierig. Die heile Welt von Bollywood existiert tatsächlich nur in den fertigen Filmen.

Verwendete Quellen:

  • India Times: Gangs of Bollywood
  • thecitizen.in: Bollywood Artists and Workers in Labour Law Negotiation
  • theprint.in: Bollywoods Nepotism didn’t start with Karan Johar – But it must end with Sushant Sing Rajput
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.