Der Ex-Präsident als Vergewaltiger, als Egomane, als Hochstapler: Kein Wunder, dass Donald Trump den Kinofilm "The Apprentice" verbieten lassen wollte. Umso besser für die Zuschauer, dass das nicht geklappt hat.
Das grösste Kompliment für "The Apprentice" ist, dass
Heute kennt die Welt ihn vor allem als Politiker, doch in den Vereinigten Staaten steht Trump schon seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit. Er spielte eine kleine Rolle im Weihnachtsklassiker "Kevin - Allein in New York", gab Fernseh-Interviews, trat sogar in den Wrestling-Ring, aktuell zu sehen in der Netflix-Doku "Mr. McMahon". Wo eine Kamera ist, da war Trump nicht weit. Seine grösste Bekanntheit erlangte er aber mit der Reality-Show "The Apprentice".
Zwischen 2004 und 2015 castete der spätere US-Präsident "Auszubildende", so die Übersetzung des Titels, für sein Unternehmen. Bis zu 20 Millionen Amerikaner sahen zu. Ein passender Titel für Regisseur Ali Abbasi, der zusammen mit dem politischen Journalisten Gabriel Sherman im gleichnamigen Film den Aufstieg des jungen Donald Trump skizziert, der noch heute oft wie ein Reality-Charakter wirkt.
"Ich bin kein Gauner"
Natürlich geht das nicht ohne Anspielungen auf die Gegenwart. Direkt zu Beginn spricht eine Stimme aus dem Off, ein amerikanischer Politiker, der erklärt, nie von seinen Ämtern profitiert zu haben. Richard Nixon erscheint auf der Leinwand, der bisher einzige US-Präsident, der zurücktreten musste. Er sagt: "Ich bin kein Gauner, ich habe mir alles verdient." In der Watergate-Affäre wurde ihm unter anderem nachgewiesen, dass in seinem Auftrag Einbrecher versuchten, im Hauptquartier der Demokratischen Partei Abhörwanzen zu installieren.
Es folgen hektische Bilder, Punkrock aus den Lautsprechern, Strassenschlägereien, Kokain, New York in den 70er-Jahren, eine heruntergekommene Metropole, pleite und mit vielen Problemen. Auftritt Donald Trump (Sebastian Stan): Anzug, breite Krawatte, die festgetackerten Haare, so wie wir ihn heute kennen, nur jünger, unsicherer. Er ist Sohn des Immobilien-Hais Fred Trump, der seine Familie mit harter Hand regiert, seine Söhne sollen "Killer" werden.
Roy Cohn wird zum Mentor von Donald Trump
Das ist Donald Trump noch nicht, doch er trifft auf genau so einen. Im New Yorker "Le Club", einem Restaurant, das nur reiche Mitglieder einlässt, nimmt ihn Roy Cohn ins Visier. Als rechte Hand von Joseph McCarthy brachte er es bei der Verfolgung vermeintlicher Kommunisten in den 50er-Jahren zu zweifelhafter Berühmtheit, in den 70ern ist er als Anwalt von Politikern, Medienmogulen, Millionären und Mafiosi einer der mächtigsten Männer New Yorks. Er wird zu einem Mentor, einem Ziehvater für Trump, den jungen Unternehmer.
Jeremy Strong, bekannt aus der Serie "Succession", spielt Roy Cohn mit eiskalter Präzision, abstossend, aber faszinierend. Ein Mann, der seine Geschäftsgespräche in knappen Unterhosen führt, während er Sit-ups macht, seine Homosexualität versteckt, aber andere mächtige schwule Männer erpresst, um das zu bekommen, was er will. Seine drei Grundsätze wird Donald Trump später in seinem Buch "The Art of the Deal" als die eigenen ausgeben: angreifen, angreifen, angreifen. Immer alles abstreiten. Und: Gib niemals eine Niederlage zu, behaupte immer zu gewinnen. Wer Trumps heutige Politik anschaut, merkt, dass sich daran nichts geändert hat.
Mit Cohns Unterstützung gründet Trump sein Hotel-Imperium, steigt gesellschaftlich auf und verdient sich den Respekt seines Vaters Fred. Er verliert auf dem Weg dorthin aber auch den unsicheren, den menschlichen Trump, wird zu der überlebensgrossen Inszenierung, dem Egomanen, den wir heute kennen. In der drastischsten Szene von "The Apprentice" wirft Trump seine erste Frau Ivana (Maria Bakalova) auf den Boden und vergewaltigt sie. Das sorgte nach den ersten Sichtungen des Films bereits für einen Skandal. Die Quelle für diese Szene ist Ivana Trump selbst, die das in einer eidesstattlichen Erklärung zu ihrer Scheidung 1990 ausgesagt hatte. Später, als Trump schon Präsident war, erklärte sie, sie habe die Vergewaltigung auf Anraten ihrer Anwälte erfunden.
Jeder schafft sich seine eigene Realität
Spätestens nach dieser Szene ist Trump der Mann, den wir heute kennen. Ein "Nein” existiert nicht für ihn. Er baut immer mehr Hotels und Casinos in Atlantic City – ohne das Geld dafür zu haben. Doch egal, nichts kann ihn stoppen. Es ist erstaunlich, wie Sebastian Stan, bekannt als "Winter Soldier" aus dem Marvel-Universum, es schafft, diesen Wandel darzustellen, die Manierismen Trumps im Verlauf von "The Apprentice” immer stärker in den Vordergrund treten zu lassen: das Gestikulieren mit der flachen Hand, das Spitzen der Lippen, der gelangweilte Dauermonolog, der keinen Gesprächspartner benötigt.
Der aus dem Iran stammende und in Dänemark lebende Regisseur Ali Abbasi inszeniert das alles in blassen Farben, wie eine VHS-Aufnahme alter TV-Shows. Zurückhaltend, ohne in eine grelle Satire abzugleiten, was bei einer überlebensgrossen Figur wie Trump nicht leicht ist. Wirklich in die Tiefe des Wesens von Donald Trump vorzudringen, gelingt "The Apprentice" aber nicht. Vielleicht auch, weil das schon lange nicht mehr möglich ist. In einer Szene erklärt Roy Cohn seinem Schützling, dass es "die Wahrheit" gar nicht gebe. Jeder habe eine. "Du schaffst deine Realität", erklärt er. Keiner hat das besser verstanden als Donald Trump.
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