- Emilia Schüle verkörpert in "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen" eine Pflegerin, die ungewollt in einen tiefsitzenden Familienkonflikt hineingerät.
- Im Interview spricht sie darüber, warum der Film trotz seiner Thematik kein Statement zur Pflege in Deutschland ist und warum es in Deutschland noch immer an diversen Rollen mangelt.
Als Marija (
Doch an ihrer neuen Arbeitsstelle erwarten sie nicht nur die täglichen Herausforderungen einer Pflegekraft, sondern vor allem eine dysfunktionale Familie, deren Konflikte sich über Jahrzehnte angestaut haben. Schon nach kurzer Zeit sieht sich Marija zwischen den Fronten gefangen und wird von den einzelnen Familienmitgliedern in ihre Art der Traumabewältigung hineingezogen.
Auf den ersten Blick klingt die Geschichte, die in "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen" erzählt wird, nach einem düsteren Drama. Doch der Film, der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, will sich tonal nicht festlegen.
Statt einer durchgehend schwermütigen Erzählung, bei der bitterböse mit den Missständen im kaputten deutschen Pflegesystem abgerechnet wird, ist der Film von einer Leichtigkeit und viel Humor durchzogen. Trotzdem scheut er sich nicht, schwierige Themen aufzugreifen. Etwa ob ein Mensch von einer Schuld, die er auf sich geladen hat, entbunden wird, weil er sich nicht mehr daran erinnert.
Beim Gespräch zum Film mit Hauptdarstellerin Emilia Schüle, das unsere Redaktion knapp eine Woche vor dem Kinostart führen konnte, geht es hingegen um andere schwierige Fragen. Freundlich und reflektiert spricht Schüle über den Mangel an emanzipierten Frauenfiguren im deutschen Film, stereotype Rollen und sexuelle Belästigung am Set.
Frau Schüle, Sie stehen seit rund 15 Jahren vor der Kamera und haben in Dutzenden Filmen und Serien mitgespielt. Trotzdem werden Sie in den Medien oft noch als die "Newcomerin", die "das nächste grosse Ding" werden könnte, beschrieben. Geht es Ihnen nicht auf die Nerven, immer in diese Schublade gepackt anstatt einfach nur als Schauspielerin wahrgenommen zu werden?
Ja, das stimmt schon. Ich bin jetzt bald 30 und wahrscheinlich kommt es dann langsam, dass man mich als Schauspielerin bezeichnet (lacht). Ansonsten sind die Sachen, die Sie rezitiert haben, ja eigentlich positiv. So genau habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Ich glaube, andere Dinge beschäftigen mich einfach mehr.
Zum Beispiel?
Dass ich mir noch mehr Diversität in den Rollen wünschen würde und da keine Lust habe auf Schubladen.
Was genau meinen Sie, wenn Sie von noch diverseren Rollen sprechen?
Ich habe vor ein paar Jahren festgestellt, wie wenige Rollen ich gespielt habe, die nicht einer Liebesgeschichte oder dem Mann und seiner Funktion im Film dienen. Seitdem habe ich dafür ein Bewusstsein und halte einfach mehr Ausschau nach Frauenfiguren, die sich nicht über Männer definieren.
Dass es wenig gute, oder wie Sie es beschrieben haben, emanzipierte Rollen für Frauen gibt, wird seit Jahren angeprangert. Tut sich da etwas?
Da tut sich auf jeden Fall was, aber in meinen Augen nicht genug.
Sie haben zuletzt unter anderem eine junge Frau aus dem rechten Umfeld gespielt, eine Studentin, die zur Prostituierten wird, und jetzt in "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen" eine ukrainische Altenpflegerin. Schwingt bei Ihrer Rollenauswahl die Angst mit, zu sehr auf einen Figurentyp festgelegt zu werden?
Das hat etwas mit mir und meiner Lust am Spiel zu tun. Natürlich auch mit dem Wunsch, mich nicht wiederholen zu wollen, und dass ich mich selbst herausfordern will. Ich würde ja durchdrehen, wenn ich immer dasselbe spielen würde.
Schüle: "Es geht ums Überleben und eine besondere Freundschaft"
Würden Sie sagen, Ihre Figur Marija ist eine dieser emanzipierten Charaktere, nach denen Sie Ausschau halten?
Nach solchen Geschichten und Frauenrollen wie in "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen" suche ich, und das meine ich mit mehr Diversität. Im Film geht es nicht darum, dass Marija sich in jemanden verliebt. Sondern es geht um die Liebe zu ihrem Kind, wegen der sie ihr Land verlässt und alles aufgibt. Es geht ums Überleben und eine besondere Freundschaft, die zwischen ihr und Curt entsteht. Mich hat gereizt, dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, das ist eine Art modernes Märchen. Ich mochte, dass dieser Film mit einem vermeintlich sehr schweren Thema eine sehr emotionale und berührende Tonalität hat. Und für mich ist das ein Film, in dem es vor allem um Menschlichkeit geht.
In einem Podcast-Interview haben Sie erzählt, dass Sie ziemlich froh waren, als Sie die Rolle wieder ablegen konnten. Woran lag das?
Es war ein wahnsinnig intensiver Dreh. Wir waren auf der Schwäbischen Alb und ich war abgeschnitten von meinem Leben. Fast der ganze Dreh hat sich auch in diesem Haus auf dem Land zwei Stunden von Stuttgart entfernt abgespielt. Da war ich dann froh, als alles im Kasten war.
Hat Ihnen der Umstand, dass Sie weitab von Ihrem normalen Umfeld arbeiten mussten, geholfen, sich in Marija hineinzuversetzen? Der geht es schliesslich genauso.
Durchaus. Ich liebe es zwar, in Berlin zu drehen, allerdings geht da das normale Leben auch irgendwie weiter. Wenn ein Familienmitglied Geburtstag hat, versucht man da halt hinzukommen und hat so seine Verpflichtungen. Es ist schon ein Vorteil, wenn man irgendwo anders und abgeschnitten ist von der Welt.
Haben Sie mit Pflegerinnen aus Osteuropa gesprochen, um sich auf die Rolle vorzubereiten?
Ja, habe ich. Wir haben mit den Regisseuren glücklicherweise Familien besuchen können, die Pflegekräfte beschäftigen, und mit denen Unterhaltungen geführt. Das war sehr hilfreich, vor allem um erleben zu können, dass da sehr schöne Bindungen entstehen zwischen der Pflegekraft und dem Pflegebedürftigen. Das war wichtig für unseren Film.
Inwiefern?
Es ist kein Film, in dem es hauptsächlich um Pflege geht, sondern um eine dysfunktionale deutsche Familie, die durch meine Figur durcheinander gerüttelt wird.
"Es ist kein Film, der moralisch sein möchte"
Ist "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen" ein Statement hinsichtlich der Situation von Pflegerinnen und Pflegern in Deutschland?
Das Thema der Pflege und meine Figur wurden benutzt, weil es wenige Verhältnisse gibt, in denen eine aussenstehende Person so nahe an eine Familie herankommt. Es geht auch weniger um die Demenz von Curt als vielmehr darum, dass sie für ihn eine Möglichkeit ist, in die Vergangenheit zu reisen und sich mit seiner Schuld auseinanderzusetzen. Das ganze Pflegesystem muss natürlich diskutiert werden, aber der Film versteht sich nicht als Gesellschaftskritik. Es ist kein Film, der ein Statement setzen oder mit erhobenem Zeigefinger moralisch sein möchte.
Marija ist eine junge Frau aus der Ukraine, die mit gebrochenem Akzent Deutsch spricht. Die Darstellung solcher stereotypen Rollen wird heute viel kritischer betrachtet als früher. Hatten Sie irgendwann einmal die Angst, dass manche Menschen es als unangebracht ansehen könnten, dass gerade Sie diese Figur spielen?
Ehrlich gesagt nicht. Wir reden hier nicht von einer sexistischen Frauenrolle. Eher das Gegenteil. Wir haben eine Hauptfigur, die sinnbildlich steht für Frauen, die in 300.000 Familien in Deutschland 24 Stunden am Tag aushelfen. Das sind Frauen, die sehr viel tun für dieses eigentlich reiche Land. Das Bild, das wir von Marija zeichnen, ist nicht das eines schwachen Menschen. Sie versucht, ihre Aufgabe gut zu machen, ist grossherzig und lässt sich ihre Würde nicht nehmen. Auf den Sexismus und die patriarchale Art des Sohns der Familie, der versucht, sie zu kaufen, reagiert sie mit Widerstand. Deswegen ist sie eine sehr fortschrittliche Figur und nur auf den ersten Blick lassen sich Stereotypen sehen.
Derzeit wird immer wieder gefordert, dass bestimmte Figuren nur von Personen gespielt werden sollten, die mit der Rolle auch eine Verbindung im echten Leben haben - weil sie derselben Minderheit, Kultur oder Community angehören. Das soll die Repräsentation dieser Gruppen in der Gesellschaft erhöhen. Ist das in Ihren Augen sinnvoll oder geht das am Beruf eines Schauspielers vorbei?
Ich kann da schon irgendwie andocken, bin mir aber nicht sicher. Diese Diskussion habe ich im Rahmen der LGBTQ-Community mitbekommen. Also dass dort kritisch beäugt wird, wenn eine Nicht-LGBTQ-Person jemanden aus dieser Community spielt. Einerseits verstehe ich, dass man sagt: Hey, wir haben innerhalb unserer unterdrückten Gesellschaftsgruppe so viel durchgemacht, und jetzt kommt da ein weisser privilegierter Mensch daher und spielt das. Den Wunsch dieser Community, repräsentiert zu werden, kann ich nachvollziehen. Aber andererseits ist das auch ein Trugschluss. Eine LGBTQ-Person oder jemand, der einer Minderheit angehört, möchte ja nicht sein Leben lang darauf reduziert und nur für solche Rollen besetzt werden. Ich glaube auch nicht, dass die Antwort dafür in der Filmbranche liegt.
Sondern?
Man muss das auf alle Lebensbereiche ausbreiten. Alle Minderheiten brauchen eine Repräsentation und Sichtbarkeit in Politik, Kultur und Sport. Ich glaube, das schafft eine grössere Selbstverständlichkeit als dass man sagt, jetzt besetzt man für diese Rollen diese Minderheit. Ich glaube, das ist nicht die Lösung.
"Die Gesellschaft ist nicht so offen, wie wie sie meint zu sein"
In der "Süddeutschen Zeitung" haben sich vor kurzem 185 Schauspielerinnen und Schauspieler öffentlich geoutet. Viele berichteten, dass ihnen nahegelegt wurde, ihre sexuelle Orientierung zu verschweigen, weil sie damit ihre Karriere gefährden könnten. Warum pocht die Filmbranche, die sich immer als weltoffen präsentiert, hinter den Kulissen darauf, dass Menschen ihre Persönlichkeit verbergen sollen?
Das hat nicht nur was mit der kleinen Blase der Filmwelt zu tun, sondern mit dem Zustand der Gesellschaft und dass wir nicht so offen sind, wie wir meinen zu sein. Das ist jetzt etwas um die Ecke gedacht, aber der Europäische Gerichtshof verklagt Deutschland wegen Verstössen gegen das Naturschutzrecht. Dabei schreiben wir uns eigentlich auf die Fahne, wahnsinnig weit vorne zu sein, was den Umweltschutz angeht. Die Realität sieht dann aber anders aus. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, wie wir als Gesellschaft nach aussen gerne sein wollen, und der Realität.
Aber wäre der deutsche Film nicht eigentlich prädestiniert dafür, Themen wie Diversität und Akzeptanz in die Mitte der Gesellschaft zu tragen? Kein Film wird hierzulande ohne staatliche Fördergelder produziert, die an unzählige Regeln gekoppelt sind. Warum sollte man nicht festlegen, dass deutsche Produktionen sich die Repräsentation von Minderheiten zur Aufgabe machen muss?
Die EntscheidungsträgerInnen der Filmförderung sind einfach einige wenige. Das hat der Beitrag von Jan Böhmermann sehr schön aufgezeigt. Und ich glaube, dass die Menschen, die das entscheiden, vielleicht einfach nicht so ein Bewusstsein haben für Inklusion, Diversität oder gendergerechte Sprache, wie die junge Generation. Es ist ein Generationskonflikt. Deshalb glaube ich, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich hier etwas verändert.
Jan Böhmermann über das "Problem der deutschen Filmlandschaft"
Kritiker stören sich seit Jahren daran, dass durch die Filmförderung in Deutschland immer wieder die quasi gleichen Stoffe produziert werden, es kaum Innovation gibt und der deutsche Film sich im internationalen Vergleich nicht behaupten kann. Würden Sie das unterschreiben?
Ich würde nicht alles unterschreiben, was Böhmermann in seinem Beitrag gesagt hat. Vor allem weil es so wirkte, als würden sich die Inhalte der Filme den Bundesländern, in denen sie gefördert werden, anpassen. Und das stimmt einfach nicht. Das System, dass man das Fördergeld in dem Bundesland wieder ausgibt, aus dem es kommt, heisst nicht, dass die Geschichte dann darunter leidet.
Hat man als Schauspieler irgendeinen Einfluss darauf? Also dass man sich für andere Stoffe einsetzt?
Nein. Wenn mir ein Drehbuch vorliegt, dann kann ich es anmerken, aber es ist immer noch die Vision eines Regisseurs oder einer Regisseurin oder der ProduzentInnen. Die haben die Macht und entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten.
Im Film wird Marija zudem von Curts Sohn sexuell belästigt. Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt treibt die Filmbranche seit Jahren um. Hat sich hier wirklich etwas getan?
Ja. Ich finde schon, dass eine grosse Sensibilisierung stattgefunden hat. Wahrscheinlich nicht bei jedem Menschen, aber der Fokus auf das Thema ist da. Ich erlebe Männer fast schon etwas verunsichert.
"Regisseure haben gefragt, ob sie mich an der Schulter anfassen dürfen"
Inwiefern?
Ich hatte schon Regisseure, die mir nur mal kurz zeigen wollten, wo ich mich in der Szene hinstellen soll und die mich dann gefragt haben, ob sie mich an der Schulter anfassen dürfen.
Aber gibt es konkrete Massnahmen am Set, um Übergriffen und dergleichen vorzubeugen?
Bei amerikanischen wie bei deutschen Produktionen wird man zu Beginn darauf aufmerksam gemacht, dass es, für den Fall, dass irgendetwas passiert, AnsprechpartnerInnen gibt. Bei einem Netflix-Film, den ich gerade gemacht habe, wurde ausserdem mit einem Intimitätskoordinator gearbeitet. Das war für mich neu. Da merkt man, dass man dem jetzt sehr viel mehr Respekt zollt, wie man intime Szenen oder Nacktszenen vorher miteinander ausmacht. Also da passiert schon viel.
Ihre Rolle Marija wird zu Beginn des Films von Curts Tochter regelrecht entmenschlicht. Deren Regeln und Verhalten wirken teilweise schon fast übergriffig. In der Filmbranche sind solche toxischen Arbeitsverhältnisse schon seit Langem ein Thema. Haben Sie in Ihrer Karriere schon Erfahrungen in diese Richtung gemacht?
Ja. Ein, zwei Mal habe ich sowas am Filmset erlebt. Aber ich würde das gar nicht auf die Filmwelt schieben. Das gehört für mich zum menschlichen Miteinander dazu und passiert in der Branche auch nicht öfter als im "echten Leben".
Frau Schüle, vielen Dank für das Gespräch.
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