Seit 1987 bietet das Fantasy Filmfest Cineasten mit einem Hang zum Abseitigen ein Zuhause. Aktuell tourt das Festival wieder durch die Städte Deutschlands. Wir haben mit Frederike Dellert, Programmleiterin des Fantasy Filmfests, über die Suche nach fantastischen Genre-Filmen, die Konkurrenz durch Streaming-Dienste und das "Schmuddelkind" der Kinobranche gesprochen.

Ein Interview

Mehr Kino-News finden Sie hier

Mehr News über Filme & Serien

Frau Dellert, der Name des "Fantasy Filmfests" könnte manch einen irritieren. Schliesslich würden klassische Fantasy-Streifen wie "Der Herr der Ringe" oder "Narnia" es wohl kaum in dessen Programm schaffen. Wie würden sie das Programm ihres Festivals definieren?

Frederike Dellert: Es geht um Filme, die sich rund um das Fantastische drehen. Alle von ihnen haben etwas Besonderes und ein bisschen Durchgeknalltes an sich. In Genres gesprochen, gehören zum Fantasy Filmfest vor allem Werke aus dem Bereich Horror, Science-Fiction und Thriller. Wir haben aber auch viele Arthouse-Filme und schwarze Komödien, Animationsfilme finden ebenfalls immer wieder ihren Weg in unser Programm.

Und wie passt ein Film wie "Hotel Mumbai" da hinein? Der basiert auf wahren Begebenheiten und ist damit vom "Fantasy"-Aspekt des Festivals weit entfernt, oder nicht?

Das Stimmt. Natürlich mussten wir erst darüber diskutieren, ob wir so einen realen Stoff auch wirklich aufnehmen können. Aber auch wenn er auf wahren Begebenheiten beruht, ist der Film immer noch ein sehr starker Thriller von hervorragender Qualität.

Er ist auch einer der verstörendsten Filme, die wir im Programm haben. Das wahre Leben birgt schliesslich oft den grössten Horror. Wir sind im Saal alle fast gestorben, weil der Film so starke Gefühle hervorruft, und die Zuschauer haben sehr heftig auf "Hotel Mumbai" reagiert.

Für welche Art von Zuschauern ist das Festival denn dann interessant?

Unsere Zuschauer sind breit gestreut. Das geht von Jung bis Alt, und auch wenn der Männeranteil immer noch überwiegt, werden es auch jedes Jahr mehr Frauen, die sich für Genre-Filme interessieren. Aber in erster Linie ist das Fantasy Filmfest ganz klar etwas für Cineasten.

Menschen, denen Filme viel bedeuten und die sich einfach darauf freuen, einen Film zu sehen, den es so noch nicht gab und in Deutschland eventuell auch gar nicht geben wird. Ein Grossteil der Filme in unserem Programm ist nämlich noch nicht verkauft und könnte deshalb möglicherweise nie in die Kinos kommen.

Wofür sind Sie beim Fantasy Filmfest denn genau zuständig?

Ich gestalte seit mittlerweile 25 Jahren das Programm. Ich sorge zum Beispiel dafür, dass nicht zu viele ähnliche Filme gezeigt werden und führe die Verhandlungen mit den Verleihern und internationalen Firmen, damit wir die Filme auch zeigen dürfen.

Auf dem Festival laufen überwiegend Filme, von denen selbst Hardcore-Cineasten oft kaum etwas gehört haben dürften. Wie stossen sie auf diese doch recht unbekannten Produktionen?

Das ist ein ständiger Prozess. Ich bin mit so ziemlich allen Firmen, die dafür bekannt sind, Genre-Filme zu produzieren, durchgehend in Kontakt. Dadurch weiss ich, welche Filme angekündigt wurden, sich aktuell in Produktion befinden oder schon fertig sind.

Wir fahren auch aktiv auf Messen, auf denen Filme angeboten werden, und andere Festivals wie beispielsweise Cannes. Mittlerweile bekommen wir aber auch zu sehr vielen Filmen einen Ansichtslink geschickt und können diese dann zu Hause sichten.

Wie genau gehen sie bei der Auswahl der Filme vor?

Unser Team besteht aus drei Leuten, die die Veranstaltung als Direktionstrio leiten. Bei der Auswahl vertrauen wir auf unsere unterschiedlichen Geschmäcker. Jeder von uns steht dabei in gewisser Weise für eine bestimmte Zuschauergruppe.

Ich gelte beispielsweise als die Splatter-Queen des Teams (lacht). Wir diskutieren dann über die gesehenen Filme und entscheiden, welche davon wir auf dem Festival zeigen wollen. Dogmatische Kriterien gibt es dabei nicht. Wir achten aber darauf, dass die Filme auch das Potenzial haben, die Zuschauer zu erreichen und ins Kino zu locken.

Die Vorlieben ihres potenziellen Publikums sind also das Kernkriterium bei der Entscheidung, ob ein Film gezeigt wird?

Weil wir keinerlei Förderung bekommen und Kinos noch dazu unglaublich teuer in der Anmietung sind, ist das sehr wichtig für uns. Wir können es uns schlicht nicht erlauben, nur das zu zeigen, was uns gefällt und zu riskieren, dass keiner kommt.

Trotzdem nehmen wir auch kleinere Filme ins Programm, bei denen wir wissen, dass der Saal wahrscheinlich nicht ausverkauft sein wird. Die wollen wir uns einfach trotzdem leisten. Auf die Art versuchen wir, eine gute Mischung zusammenzustellen und viele verschiedene Geschmäcker abzudecken.

Dass die Filmbranche aufgrund von Streaming-Diensten im Umbruch ist, merken die Kinos in Deutschland schon seit längerem. Spürt man das auch beim Fantasy Filmfest?

Es ist ganz klar so, dass das Streaming auch für uns ein grosser Konkurrent ist. Die Leute werden dadurch viel selektiver bei dem, was sie sich im Kino anschauen. Dass jemand sagt, "den Film muss ich unbedingt auf der Leinwand sehen", ist ja auch eher der Ausnahmefall. Seit dem Erfolg von Plattformen wie Netflix ist mein Job deshalb auf jeden Fall viel schwieriger geworden.

Inwiefern?

In Bezug auf die Filmauswahl. Wir merken, dass die Leute viel verwöhnter geworden sind, was die Produktionsqualität angeht. Wir alle sehen zuhause Hochglanzserien, die von bekannten Regisseuren inszeniert werden, ein Wahnsinns-Budget haben und auch noch mit Superstars besetzt sind. Wer hat da noch Lust, sich einen kleinen Independent-Film, der nur in zwei Räumen spielt und bei dem man keinen der Schauspieler kennt, zu sehen?

Und wie macht sich diese "Verwöhntheit" konkret bemerkbar?

Es ist einfach kein Platz mehr auf dem Festival für völlige No-Name-Filme. Das tut einem dann auch selber weh, wenn man einen Regisseur oder eine Filmfirma enttäuschen und erklären muss: "Ja, vor zehn Jahren hätte der Film super bei uns funktioniert. Aber jetzt nicht mehr." Kleinere Filme müssen inzwischen wesentlich origineller sein, um eine niedrigere Produktionsqualität wieder aufzuwiegen.

Ein Film wie die russische Produktion "Why Don't You Just Die" schafft es nur aufs Festival, weil seine Originalität das geringere Budget und den unbekannten Regisseur und Cast ausgleicht?

Genau. Trotzdem merken wir jetzt schon, dass er es nicht leicht haben wird auf dem Festival. Aber der Film ist ein richtiger Knaller und wir werden darum kämpfen, den Leuten das zu zeigen.

Wenn die Ansprüche des Publikums so gestiegen sind, wie kann sich dann ein Festival für doch eher abseitige Filme heutzutage noch halten?

Wir locken immer noch die Cineasten an, die Filme nicht nur bei sich zuhause erleben wollen. Deswegen ist es auch wichtig, den Leuten eine Location zu bieten, in der sie sich wohlfühlen.

Das ist manchmal aber schwierig, weil in manchen Städten bestimmte Kinos eine solche Monopolstellung haben, dass es teilweise keine Alternative zu ihnen gibt. Aber abseits davon macht es auch einfach Spass, einen Film beim Festival in einem vollen Saal anzuschauen, indem gemeinsam gelacht, geschrien, geweint und applaudiert wird. Dass man beim Fantasy Filmfest auf ein Publikum von Gleichgesinnten trifft, ist schon ein wichtiger Faktor.

Neben Cineasten geniesst das Festival auch bei Horror-Fans grosse Beliebtheit. Das Genre wird aber oft wie das Schmuddelkind der Kino-Branche behandelt. Woher kommt denn dieser schlechte Ruf?

Horrorfilme werden besonders in Deutschland und vor allem seit den Achtzigern oft pauschal verurteilt. Die Filme, die damals erschienen, waren oft sehr heftig und haben bewusst viele Tabus gebrochen. Man hatte damals die Befürchtung, dass die Filme zu einer kompletten Verrohung führen und dass selbst kleine Kinder nichts mehr ausser Zombie-Filmen zu sehen bekommen.

Daraufhin ist die FSK sehr hellhörig geworden. Es wurde viel gegen Horrorfilme gewettert und viele Werke wurden beschlagnahmt, selbst einige, bei denen die Brutalität überwiegend nur angedeutet oder suggeriert wird. Das hängt dem Genre auch heute noch nach.

Und was sagen Sie zu diesem Schmuddel-Image des Horror-Genres?

Ich finde, es ist ein Affront so zu denken. Es ist schon immer grosse Kunst im Bereich des Horrorfilms entstanden. Ein prominentes Beispiel dafür ist "Nosferatu" von Friedrich Murnau. Auch einige der aktuell interessantesten Filmemacher, wie Ari Aster oder Jordan Peele, kommen aus dem Horror-Bereich. Das sind junge Leute, die über das Genre Statements über die Welt transportieren. Das sind anspruchsvolle und stilistisch wunderbare Werke und überhaupt nicht "schmuddelig".

Was reizt Leute an dem Genre?

Es geht beim Horror schon ein bisschen um eine Art von Katharsis. Man fiebert ja mit den Protagonisten mit und erlebt, welche Grauen sie durchleben müssen – immer in der Hoffnung, dass es positiv für sie ausgeht. Viele sagen auch, dass der Reiz von Horrorfilmen darin liegt, Leute beobachten zu können, denen es schlecht geht, ohne dass es einen selber betrifft. Zu der Frage gibt es ganze Abhandlungen.

Ich persönlich finde, dass Horrorfilme meist auch etwas über unsere Ängste und darüber, was in der Welt und in Gesellschaften so passiert, erzählen. Zwar oft mithilfe von Stilmitteln oder Metaphern, aber dennoch regt es einen an, über Dinge nachzudenken. Für mich hat das eine Art therapeutischen Effekt. Ich glaube, ich würde die Schlechtigkeit der Welt nicht aushalten, wenn ich nicht regelmässig Horrorfilme schauen dürfte.

Mit welchem Argument würden Sie denn jemanden, der mit ausufernder Gewalt in Filmen nicht viel anfangen kann, zu einem Besuch des Fantasy Filmfests überreden?

Unser Programm bietet ziemlich viel Auswahl. Da sind auch einige Stoffe dabei, die nicht so blutig sind. Aber meiner Erfahrung nach ist es tatsächlich so, dass einige Zuschauer irgendwann doch neugierig werden. So manch einer testet sich dann durch das Programm durch und merkt, dass ihm auch Horror Spass machen kann.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.