Wer hätte gedacht, dass das Kinojahr 2024 kurz vor seinem Ende noch mit einer faustdicken Überraschung aufwartet? Zwei Wochen vor Annahmeschluss für die jährlichen Top-und-Flop-Listen schickt sich "Kraven the Hunter" an, das Feld von hinten aufzurollen – und zum Kino-Quatsch des Jahres zu avancieren.
Ist der Film wirklich so schlecht, dass schmale 14 % positive Bewertungen in der Kritikerdatenbank Rotten Tomatoes (Stand 12. Dezember) gerechtfertigt sind? Ja, absolut. Ende der Rezension.
Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn vor allem gegen Ende zeigt "Kraven" seine durchaus unterhaltsame Seite. Erfreulich blutige Gewaltorgien, solide handgemachte Stunts und ein klassisch-überzeichneter Comic-Schurke machen Spass.
Doch bis dahin musste man sich anderthalb Stunden einer Origin-Story stellen, die von mystischen Symbolen so überladen wie belanglos und voller Löcher in der Erzählung ist; hat lächerlich animierte CGI-Tiere anschauen und nicht zuletzt Russell Crowes in der Originalversion ultrapeinlichen russischen Akzent ertragen müssen. Da ist der Film längst nicht mehr zu retten.
Worum geht's eigentlich in "Kraven the Hunter?"
Der russische Drogenboss und Waffenhändler Nikolai Kravinoff (Crowe) nimmt seine Söhne Sergei (Aaron Tayler-Johnson als Erwachsener) und Dmitri (Fred Hechinger, aktuell als herrlich durchgeknallter römischer Kaiser Caracalla in "Gladiator 2" in den Kinos) mit auf die Grosswildjagd. Schliesslich ist die Mutter der Teenager gerade gestorben; da kann Ablenkung nicht schaden. Sergei wird von einem übernatürlich starken alten Löwen angegriffen und verschleppt. Rechtzeitig zur Stelle ist Calypso (später Ariana DeBose), die mit Zaubertrank und Tarotkarte zur Lebensretterin wird. Was da in der Familie vor sich geht und warum die Oma so esoterisch unterwegs ist, erfährt man nicht. Aber irgendwie ist das auch egal.
Jahre später kreuzen sich die Wege der beiden wieder. Sergei hat längst seine übernatürlichen Fähigkeiten entdeckt und setzt sie bei der Jagd auf Schurken ein. Dabei kommt er einem gewissen Aleksei Sytsevich in die Quere. Der war bei der oben genannten Jagd dabei und wurde von Vater Kravinoff fies beleidigt. Das konnte er nie überwinden und hat sich von einem windigen Arzt seinen eigenen Zaubertrunk anrühren lassen. Fortan macht er als Rhino mit ultrastarkem Panzer die Gegend unsicher. Um seine menschliche Form behalten zu können, trägt er einen kleinen Rucksack und sieht aus wie der durchgeknallteste alle Zeugen Jehovas. Rhino ist definitiv das Highlight des Films – und irgendwie passt es zu diesem Gurkenprojekt, dass er nur einen kurzen Auftritt hat.
Calypso jedenfalls ist längst erfolgreiche Anwältin. Ihr Job bringt es mit sich, dass sie bisweilen auch fiesen Typen zur Freiheit verhilft. Welch Glück, dass Kraven auf seine unorthodoxen Methoden zurückgreifen kann. Bei der Jagd auf Sytsevich und dessen geheimnisvollen Helfer The Foreigner (Christopher Abbott) sind sie jedenfalls ein fast unschlagbares Team.
Warum funktioniert das alles nicht?
Wenn ein Kinostart oft verschoben wird, liegt es eher selten daran, dass der Film zu gut ist. Natürlich litt "Kraven" wie viele andere Filme unter dem grossen Streik der Filmschaffenden Hollywoods (er sollte bereits 2023 starten). Aber man merkt einfach, dass bis zuletzt zu viel daran gearbeitet und verschlimmbessert wurde.
Teilweise macht es den Eindruck, als würde man Ausschnitte aus mehreren Filmen sehen. Und was genau er will, scheint von Anfang an nicht klar gewesen zu sein. Die Brutalität der Comics jedenfalls blitzt nur kurz auf – "Kraven" ist ab 16 freigegeben –, auf lange Strecke dann dafür aber auch zu unblutig. Der Film-Kraven ist auch nicht wirklich ein Anti-Held, dafür macht
Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man beim sogenannten SSU – Sony's Spider-Man Universe – gar keine grosse Lust auf Kino hat. Magie? Faszination? Spass? Bei so tollen Comicvorlagen muss man sich schon ganz schön anstrengen, um alles so in den Sand zu setzen. Und so bleibt nach zwei Stunden und sieben Minuten das Gefühl, dass es nicht um Kino ging, sondern um ein Steuersparmodell.
Kann Aaron Taylor-Johnsons nach diesem Quatsch noch 007?
Ein Karriere-Killer ist "Kraven" für seinen Hauptdarsteller sicher nicht. Dennoch: Aaron Tayler-Johnson, der als aussichtsreicher Kandidat für die Rolle des James Bond gilt, hat sich keinen grossen Gefallen getan. Klar, er sieht gut aus, kann charmant schauen, macht in Action-Szenen eine ebenso gute Figur wie im Smoking. Aber das wussten wir ja auch vor dem Jäger-Fiasko. Ob man aber bei jeder Berichterstattung zum berühmtesten Spion der Welt an einen überdimensionierten Fellkragen und einen unterirdisch animierten Schneeleoparden aus dem Computer denken will?
"Kraven the Hunter" von Regisseur J.C. Chandor mit Aaron Taylor-Johnson, Ariana DeBose und Russell Crowe startet am 12. Dezember in den Kinos.
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