Vor dem Tod noch schnell das Handy zum Wertstoffhof bringen: Ein Kieler "Tatort" über die Klimaangst junger Umweltschützer, der das Publikum spalten wird.
Dies wird eine ziemlich vage "Tatort"-Kritik. Weil hier nie gespoilert wird. Selbst wenn man als Leser das Gefühl hat, dass in der Rezension scheinbar alles schon erzählt wird: Leser können sich hier immer sicher sein, dass im Krimi noch mehr steckt. "Tatort"-Rezensentinnen sind schliesslich auch Krimifans, die es hassen, alles verraten zu bekommen.
Bei "Borowski und das ewige Meer" nun ist es so, dass man sich mit dem Kieler "Tatort" nicht detaillierter auseinandersetzen kann, ohne den Clou zu verraten. Die überraschende Wendung ist für aufmerksame Zuschauerinnen und Zuschauer zwar keine atemraubende Enthüllung – aber bis man anfängt zu ahnen, was da vor sich geht, dauert es schon seine Zeit, und das jetzt schon zu verraten, wäre nicht fair.
Auch nicht gegenüber den Machern dieses Films – Regie: Katharina Bischof, Buch: Katharina Adler und Rudi Gaul – die sich so eine Mühe gegeben haben, im Rahmen des traditionellen "Tatort" einen ungewöhnlichen, modernen Krimi zu erzählen.
Sie schreiten des Nachts ins Meer und ertrinken
Hochaktuell ist schon das Thema: Die globale Erderwärmung und die damit verbundene Klimaangst der jungen Generation. In "Borowski und das ewige Meer" sterben Klimaaktivisten vor den Augen von Kommissar Klaus Borowski und Kommissarin Mila Sahin fast reihenweise: Schreiten des Nachts ins Meer und ertrinken. Drei sind so bereits ums Leben gekommen – genug, um mindestens Anstiftung zum Selbstmord zu vermuten und davon auszugehen, dass es mehr werden könnten.
Eine Untersuchung ihrer vorher ordentlich auf dem Wertstoffhof abgegebenen Handys ergibt, dass alle drei über eine soziale Plattform intensiven Kontakt mit der charismatischen Influencerin Zenaida (Milena Tscharntke) pflegten. Der aber ist ihre Privatsphäre heilig.
Klimaaktivisten als Märtyrer für die grosse Sache?
Mila Sahin (Almila Bagriacik) macht sich mit Hilfe der neuen Forensikerin Paula Rinck (Thea Ehre) am Computer daran, der Frau auf die Spur zu kommen. Borowski (
Und die bringt es ganz lapidar auf den Punkt: Wer sich umbringe, entferne seinen Carbon Footprint, seinen umweltzerstörenden Fussabdruck: "Eine CO2-Schleuder weniger. Machen das viele, ist das eine Bewegung." Klimaaktivisten als Märtyrer für die grosse Sache also.
Klimaangst, climate anxiety, ist längst ein Forschungsgebiet. Einer internationalen Studie zufolge, für die 10.000 Kinder und Jugendliche weltweit befragt wurden, sind 84 Prozent über die Klimaveränderung zumindest "relativ besorgt", fast 65 Prozent "sehr oder extrem besorgt". Über die Hälfte gab dem Fachmagazin "The Lancet" zufolge an, "traurig" oder "verärgert" zu sein und sich "hilflos" oder "schuldig" zu fühlen.
Borowski, der Mörderflüsterer
"Borowski und das ewige Meer" führt den Konflikt zwischen der jungen Generation und ihrem übermächtigen Gegner, zwischen extrem verletzlichen "Opfern" und einem politischen, im herkömmlichen Sinn nicht greifbaren "Täter", auf die Spitze. Auch die althergebrachte Arbeitsteilung zwischen Sahin und Borowski wird wie ein Generationenkonflikt zuspitzt.
Hyperdigitalisiert kommt dieser "Tatort" daher, und das nicht nur mit den hektisch über den Computerbildschirm laufenden Codes, die immer dann herhalten müssen, wenn das grosse Genie und der wahnsinnige Stress von Hackern visualisiert werden sollen.
Aber Generationenunterschiede müssen nicht Konflikte bedeuten, im Gegenteil. Denn Kommissar Borowski wird seinem Ruf als Mörderflüsterer auch in diesem Hightech-Ambiente mehr denn je gerecht. Die Superpower dieses Helden bleibt, ganz stur und "old school": das Gespräch. Ob Serienkiller oder Klimaaktivisten, niemand ist ihm gewachsen. Wer von Klaus Borowskis prüfendem Blick und seinem mal verständnis-, mal vorwurfsvollen "Ja, aber..." nur lange genug becirct wird, gibt irgendwann auf.
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Ein "Tatort" zum Fremdschämen?
"Borowski und das ewige Meer" wird das Publikum garantiert spalten. Schon, weil Hypermodernisierungsbestrebungen im "Tatort" immer ein bisschen zum Fremdschämen führen. Im Kontext der Sonntagabendkrimireihe wirken sie oft so, wie wenn Eltern sich in "Jugendsprache" ausprobieren wollen: Man weiss die Bemühung zu schätzen und findet es liebenswert, dass sie versuchen, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, aber es ist gar nicht nötig.
Es reicht, wenn ein "Tatort" einfach nur ein guter "Tatort" ist. Vielleicht ein bisschen "old school", aber glaubwürdig. So wie Borowski. Es ist schon schade, dass Axel Milberg für 2025 seinen Ausstieg aus der Reihe angekündigt hat.
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