Eine Frau wird vergewaltigt, und drei Männer weigern sich, eine Genprobe abzugeben. "Rebland" ist ein fesselnder Krimi mit hervorragenden Darstellern über die Macht des Verdachts.
In den Weinhängen gibt es ein Fest. Eine Winzerei feiert die Ernte, natürlich gibt es viel Wein, es wird getanzt und getrunken und geflirtet, es wird spät, und irgendwann torkeln ein paar Freundinnen zu einem Taxi.
Für eine von ihnen ist kein Platz. Sie will zu Fuss gehen. Sie wohne ja nicht weit, gleich unten am Hang, sagt Beate, und verschwindet im Dunkel. Da, im tiefen Schwarz, beginnt der "Tatort: Rebland".
Am nächsten Morgen sehen wir Beate Schmidbauer auf dem Polizeikommissariat sitzen, in der Kleidung vom Vorabend, und mit in sich gekehrtem Blick. Mehr müssen wir gar nicht sehen. Victoria Trauttmansdorff spielt sie so eindringlich wie zurückhaltend, die erste von mehreren Gastrollen, die allein schon diesen "Tatort" so sehenswert machen.
Schwarzwald-"Tatort": DNA-Analyse im Fall "Rebland" im Scheinwerferlicht
Kripochefin Cornelia Harms (Steffi Kühnert) ist Beates Freundin, sie war auf dem Winzerfest mit dabei. Ein Schlag auf den Hinterkopf, Abschürfungen am Rücken. Aber die eigentliche Verwundung ist natürlich nicht zu ermessen. "Ich brauch keinen Therapeuten", sagt sie trotzdem, als die Freundin ihr eine Beratungsstelle empfiehlt. Und lächelt freundlich. Und dann geht sie direkt zum Sender. Beate Schmidbauer ist Radiomoderatorin.
Sie fordert die Hörer auf, die Sonne zu geniessen, sie spielt "einen Song aus meiner Jugend" und singt, nachdem der Regler herruntergeschoben ist, laut mit.
Cornelia Harms setzt natürlich ihre besten Leute auf den Fall an: Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (
Aber um die Kommissare und die Vergewaltigung geht es in diesem Schwarzwälder "Tatort" nur am Rande. Das ist seine Stärke, und könnte eine Schwäche sein. Seine Stärke, weil Drehbuchautorin Nicole Armbruster den Fall benutzt, um Konsequenzen der in Deutschland umstrittenen erweiterten DNA-Analyse durchzuspielen.
Diese erlaubt es, anhand der am Tatort gefundenen DNA nicht nur in Datenbanken nach einem konkreten Täter zu suchen, sondern auch, mit Hilfe der genetischen Informationen Merkmale wie die wahrscheinliche Haut-, Haar- und Augenfarbe des Trägers zu bestimmen und für die Ermittlungen zu benutzen. So kann der Kreis der Verdächtigen eingeschränkt werden.
Zu der Zeit, in der "Rebland" gedreht wurde und spielt, war die erweiterte DNA-Analyse zwar in Frankreich, aber nicht in Deutschland erlaubt. Das entsprechende Bundesgesetz wurde erst im Dezember 2019 auch hierzulande erlassen.
Im "Tatort" besorgen sich Berg und Tobler die Informationen unter der Hand von den französischen Kollegen, als sie feststellen, dass ein Unbekannter im benachbarten Elsass schon einmal eine Frau bewusstlos geschlagen und vergewaltigt hat.
Auf den Rechtsbruch geht der "Tatort" aber nur oberflächlich ein. Da muss die pflichtgemässe Empörung von Cornelia Harms, die sich mitschuldig fühlt an der Vergewaltigung ihrer Freundin, über den Alleingang ihrer Beamten reichen.
Im Mittelpunkt steht dagegen, welche Auswirkungen das Wissen hat, über das Berg und Tobler dank der Daten aus Frankreich jetzt verfügen. Und damit auch über welche Macht.
Die Ermittlungen konzentrieren sich auf drei Hauptverdächtige. Alle drei weigern sich, freiwillig eine DNA-Probe abzugeben, und für alle drei hat der Verdacht ihrer Umgebung fatale Auswirkungen, die "Rebland" mit seinen hervorragenden Darstellern eindringlich zeigen kann.
Verdachtsmomente mit fatalen Auswirkungen
Da ist zum einen der Polizist Mario Lewandowsky (Marek Harloff). Den hat Beate Schmidbauer auf dem Weinfest abblitzen lassen, und es ist nur simple Krimilogik, die einen davon abhält, ihn umgehend für schuldig zu erklären. Als Franziska Tobler wegen eines Alibis von ihm wissen will, ob er allein lebe, bejaht Lewandowsky und fügt aggressiv hinzu: "Kriegen Sie jetzt gleich 'ne Zyklusverschiebung, weil hier jemand allein lebt?"
Der unsympathische Sonderling mit dem offensichtlichen Frauenproblem ist zu offensichtlich der Täter, um der Täter zu sein. Aber weil er so unbeliebt ist, und weil er sich "aus Prinzip" weigert, seine DNA abzugeben, wird er von den Kollegen bald wie einer behandelt.
Der Nächste ist der Friseur Victor Baumann (Roman Knizka). Der musste nach einer Anzeige wegen Belästigung schon einmal sein Leben umkrempeln und gerät in Panik, als die Kommissare bei ihm auftauchen. Für seine ohnehin angespannte Beziehung ist die Paranoia eine zusätzliche Belastung, und Baumann verwandelt sich in ein Nervenbündel, dessen Benehmen immer grösseres Misstrauen auslöst.
Ermittlungen haben dramatische Konsequenzen
Die dramatischsten Konsequenzen aber haben die Ermittlungen auf den alleinerziehenden Vater Klaus Kleinert (Fabian Busch): Weil der nach dem Unfalltod seiner Frau ein Alkoholproblem entwickelte, haben sowohl das Jugendamt als auch eine wohlmeinende Nachbarin ohnehin schon ein Auge auf ihn. Der Grat zwischen Engagement und Selbstjustiz ist schmal, und auch Franziska Tobler lässt sich aus Sorge um seine kleine Tochter zu einem Verhalten hinreissen, das einer Vorverurteilung unprofessionell nahe kommt.
Kritiker der erweiterten DNA-Analyse haben Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und befürchten die Diskriminierung von Minderheiten. Doch der "Tatort" verzichtet klug auf den Aspekt der Ausländerfeindlichkeit und verschafft der Gefahr, die in vorschnellen Rückschlüssen liegt, eine umso eindrücklichere Allgemeingültigkeit.
"Rebland" illustriert einen Stigmatisierungsprozess, unter dem Aussenseiter seit dem Mittelalter leiden müssen: Ein Teufelskreis aus Verdächtigungen und verdächtigem Benehmen, der sich zu einem Strudel entwickelt, aus dem keine Rettung mehr möglich scheint. Denn sobald die DNA das Untersuchungslabor verlässt, hat die wissenschaftliche Objektivität ein Ende.
DNA-Analysen schaffen Monster
Die DNA sagt nichts aus über die Vergangenheit ihrer Träger, weiss nichts von ihren Lebensumständen oder Nachbarn. Die analysierten Daten werden zu Informationen, die die Gesellschaft mit der ihr eigenen Subjektivität wiederkäut und als Gerücht, Beschuldigung oder Beweis weiterverarbeitet.
Die unbestechliche Genauigkeit wird so zum Problem: Ein Verdächtiger, der bis zum Beweis der Tat als unschuldig gelten sollte, wird vorschnell zum Verurteilten – nur, weil er dieselbe Augen- und Haarfarbe wie der wahrscheinliche Täter hat.
Sogar Kommissarin Tobler, berauscht von ihrem Herrschaftswissen, fühlt sich berufen, die Bekannte eines solchen Verdächtigen in der Restauranttoilette vor dem möglichen Monster zu warnen.
Was durch den Fokus der Handlung zu kurz kommen muss, ist die Perspektive des Opfers. Das könnte man diesem "Tatort" als Schwäche auslegen.
Aber "Rebland" zeichnet Beate Schmidbauer mutig als eine starke Frau, die fest entschlossen ist, sich von der Vergewaltigung nicht definieren zu lassen. Trotzdem sehen wir, wie ihr Schutzpanzer allmählich zerbröckelt. Und wie zentral die Täterfindung für ihren Heilungsprozess ist.
Was wir nicht sehen, ist ein Opfer, das die Verfolgung in die eigenen Hände nimmt – ein Klischee, das angesichts des Themas ebenso verführerisch nahe läge, wie Fremdenfeindlichkeit ins Spiel zu bringen. So aber ist "Rebland" eine viel universellere, fesselnde und quälende Gesellschaftsstudie über Gen, Gefühl und Gerechtigkeit.
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