Schauspieler und Autor Jörg Hartmann spricht im Interview über seine Rolle im Dortmunder "Tatort", Fabers Parka, die Demenzerkrankung seines verstorbenen Vaters und sein Buch "Der Lärm des Lebens".

Ein Interview

Seit nunmehr zwölf Jahren ermittelt Jörg Hartmann als Hauptkommissar Peter Faber im Dortmunder "Tatort". Von Anfang an bis heute mit dabei: der braune Parka, ohne den der Darsteller den Faber nach eigenen Angaben "wahrscheinlich gar nicht spielen könnte".

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Unsere Redaktion hat den 54-jährigen Schauspieler und Autor im Rahmen der Buchmesse in Leipzig getroffen, um mit ihm über seine verschriftlichte Familiengeschichte "Der Lärm des Lebens" und die Rolle seines Lebens zu sprechen, die er noch bis mindestens 2026 verkörpern wird.

Herr Hartmann, wir haben uns zum Interview im Rahmen der Buchmesse im an diesem Tag recht verregneten Leipzig getroffen. Hatten Sie für den Fall der Fälle eigentlich den braunen Parka von Hauptkommissar Peter Faber aus dem Dortmunder "Tatort" im Gepäck?

Jörg Hartmann: Nein, das nicht. Ich konnte meinen Besuch auf der Buchmesse fein säuberlich vom Dortmunder "Tatort" trennen.

Wurde der Kult-Parka der ersten Stunde mittlerweile eigentlich mal ausgetauscht?

Tatsächlich wurde er nie ausgetauscht, der Kult-Parka ist also mittlerweile zwölf Jahre alt. Falls mal irgendetwas passieren sollte, haben wir zwar zwei Ersatz-Parka, die allerdings nicht die originalen sind. Wenn man genau hinschaut, sieht man auch den Unterschied. Ohne diesen Parka könnte ich den Faber wahrscheinlich gar nicht spielen (lacht).

Auf der Buchmesse haben Sie Ihr Werk "Der Lärm des Lebens" vorgestellt. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie als Schauspieler bis dato häufiger Filmpremieren als Buchmessen besucht haben?

Ich oute mich an dieser Stelle: Es war sogar mein allererster Besuch auf einer Buchmesse. Ich bin zwar eine Leseratte, war aber zuvor noch nie auf einer Buchmesse. Das wird sich ab sofort ändern. Dass ich das nun erleben durfte, war einfach grossartig. Die Menschen begegnen sich wieder und gehen zu einer Messe, um zu lesen und Bücher zu kaufen. Auch viele junge Leute habe ich gesehen. Ist das nicht toll?

Autor Jörg Hartmann: Im Vergleich zum Tod ist das Leben laut

Den "Lärm des Lebens", dem Sie sich in Ihrem Buch widmen, konnte man natürlich auch in den gut besuchten Messehallen hören. Kommen in Ihrer verschriftlichten Familiengeschichte denn auch die leisen Töne zum Vorschein?

Auf jeden Fall. Dieser "Lärm" bedeutet für mich übrigens nicht nur Krach oder unerträgliche Lautstärke, sondern auch Lebendigkeit. Es geht vielmehr um alle Farben des Lebens. Dazu gehört auch, dass man das Leben nicht planen kann. Es ist eine Baustelle. Im Vergleich zum Tod, wenn dann vermutlich die Stille eintritt, ist das Leben aber laut. Mit all diesen Assoziationen spielt dieser Titel.

Lärm des Lebens, Buch, Jörg Hartmann
Das Cover seines Buches "Der Lärm des Lebens". © Rowohlt Verlag

Der Tod Ihres Vaters, der an den Folgen einer Demenz gestorben ist, hat für Sie den Ausschlag gegeben, dieses Buch zu schreiben. Hatten Sie von vornherein so eine umfangreiche Familiengeschichte im Hinterkopf oder hat es sich nach und nach gefügt?

Zweiteres. Es war ein fliessender Prozess. Ich habe bereits in der Zeit, als ich meinen Vater im Zustand seiner Demenz erlebte, damit begonnen, Notizen zu sammeln. Ich wollte die besonderen Begegnungen unbedingt festhalten – insbesondere, weil ja allein durch die Demenz schon so viel verschwunden ist. In dieser Phase wurde mir bewusst, dass ich ihm noch viel mehr Fragen hätte stellen sollen – zu der Geschichte meines Vaters und zu der meiner Grosseltern, die gehörlos waren. Mit dem eigentlichen Schreiben habe ich erst rund zwei Jahre später angefangen. Meine reflektierende Reise durch die Geschichte hat aber schon früher, mit dem Sammeln der Notizen, begonnen.

Wie intensiv haben Sie recherchiert? Mit wem haben Sie sprechen können?

Zum einen habe ich meine eigenen Erinnerungen aufgeschrieben, zum anderen habe ich meine Mutter mit Fragen gelöchert. Ich habe sie gebeten, wirklich alles aufzuschreiben, was sie im Gedächtnis hat. Natürlich habe ich auch mit meiner Schwester, meinen Cousins und Cousinen gesprochen. Was meine gehörlosen Grosseltern angeht, habe ich sogar in Archiven recherchiert – leider ohne Erfolg. Ich wollte herausfinden, wie sie das Dritte Reich überleben konnten. Laut meinem Vater sollen sie "bei Adolf auf der Liste" gestanden haben.

Warum der Schauspieler die Angst vor Demenz zum Teil verdrängt

Haben Sie Angst, eines Tages – so wie Ihr Vater – an Demenz zu erkranken?

Ehrlich gesagt verdränge ich diese Angst zum Teil. Mir hat kürzlich jemand erzählt, dass es einen griechischen Bergtee gibt, der wohl erwiesenermassen eine vorbeugende Wirkung hat. Den muss ich mir mal besorgen. Sicherlich habe ich mich beim Schreiben des Buches und rund um die Veröffentlichung immer mal wieder mit dem Thema "Demenz" beschäftigt. Im Alltag gibt es immer wieder Situationen, in denen ich mich – nicht ganz ernst gemeint – frage, ob es vielleicht schon so weit ist.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Ich habe zum Beispiel kürzlich eine gefühlte Ewigkeit nach meinem Handy gesucht – bis mir endlich eingefallen ist, dass es in der Steckdose lädt (lacht). So etwas kennt vermutlich jeder. Mit der Geschichte meines Vaters im Hinterkopf wird einem in solchen Momenten aber mitunter schon etwas anders. Doch diese Gedanken muss man verdrängen. Denn was ist die Alternative?

Der Pott ist seine Heimat, Potsdam sein Zuhause

Ihr Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Kraft der Familie, sondern auch an Ihre Heimat, den Ruhrpott. Wie viel Pott steckt noch in dem Wahl-Potsdamer Jörg Hartmann?

Der Pott hat mich natürlich geprägt. Ich bin dort aufgewachsen und habe ihn mitgeschleppt. So wie ich bin, hat garantiert etwas mit meiner Herkunft zu tun. Zwischendurch merke ich schon manchmal, dass ich den Pott vermisse. Heimat kann man nicht einfach einpacken und woanders wieder auspacken. Potsdam ist die Heimat meiner Kinder, die zwar in Berlin geboren, aber hier aufgewachsen sind. Ich persönlich fühle mich in Potsdam auch sehr wohl. Die Stadt ist zu meinem Zuhause geworden, wird aber niemals meine Heimat werden.

Ihre Mutter betrieb eine Pommesbude im Ruhrgebiet

Eigentlich sogar meine Eltern gemeinsam. Mein Vater war gelernter Dreher. Nach Dienstschluss ist er immer mit dem Bus zur Pommesbude gefahren, um die Schicht meiner Mutter zu übernehmen. Vor 22 Uhr ist er in der Regel nicht nach Hause gekommen.

Essen Sie heute noch gerne Pommes?

Sie meinen, ob es für mich zum Trauma geworden ist (lacht)?

Genau.

Nein, es ist kein Trauma. Es ist aber auch nicht so, dass ich ständig Pommes essen muss. Aber wenn ich so etwas esse, dann geniesse ich es sehr. Und so albern es auch klingen mag: Dadurch kommt ein Heimatgefühl auf.

Faber und Hartmann befruchten sich mittlerweile gegenseitig

"Der Lärm des Lebens" widmet sich sowohl familiären Schicksalen als auch den fröhlichen Momenten, die das Leben schreibt. Im "Tatort" spielen sie auch eine Figur mit Geschichte, die beide Seiten abdeckt. Wie viel Peter Faber steckt in Ihnen – und umgekehrt?

Eigentlich ist Faber eine extreme Fremdfigur, wie wir Schauspieler das nennen. Also eine Figur, die von einem selbst weit weg geht. Ich musste mir den Faber damals erst einmal richtig draufschaffen. Nun bin ich ja schon eine ganze Weile dabei, sodass sich Faber und Hartmann mittlerweile gegenseitig befruchten. Ich komme aus der Ecke, versuche die Sprache und den Humor ein Stück weit zu transportieren – wobei Fabers Humor etwas sarkastischer daherkommt als meiner. Letztendlich geht es aber so weit, dass ich eine Folge unseres "Tatorts" entwickelt habe, in dem Fabers Vater vorkommt.

Sie sprechen von der Episode "Du bleibst hier", die Anfang 2023 ausgestrahlt wurde. Es war die erste Folge nach dem Serientod von Martina Bönisch (gespielt von Anna Schudt). Haben Sie darin die Geschichte und den Tod Ihres eigenen Vaters verarbeitet?

Ursprünglich hatte ich eine ganz andere Idee. Das Drehbuch sollte eher in die Richtung eines Thrillers gehen. Doch nach dem Tod meines Vaters wollte ich die Geschichte mehr an mich heranziehen, persönlicher gestalten. Zudem wollte ich immer schon erzählen, was in Fabers Kindheit eigentlich los war. Ich hatte immer das Gefühl, dass er nicht nur traumatisiert ist, weil seine Frau und seine Tochter ermordet wurden, sondern dass dieses Verlustthema schon auf seine eigene Kindheit zurückgeht. Zum Glück hatte ich ein ganz anderes Verhältnis zu meinem Vater als Faber, der mit seinem Vater gebrochen hat. Und trotzdem gibt es eine ganz entscheidende Parallele: Auch Fabers Vater hat Demenz. Insofern war diese "Tatort"-Episode der erste Versuch, meine Geschichte künstlerisch zu verarbeiten.

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Sie werden dem "Tatort" bis mindestens Ende 2026 treu bleiben. War das eine Entscheidung aus tiefstem Herzen oder konnten Sie es dem "Dortmund-Tatort" nicht antun, dass ein weiterer Hauptcharakter in kürzester Zeit geht? Mit Jan Pawlak (gespielt von Rick Okon) hat sich kürzlich ein weiterer Publikumsliebling verabschiedet.

Das wäre in der Tat ziemlich hart gewesen. Der Dortmunder "Tatort" muss momentan einiges erleiden. Da kann ich nicht auch noch abhauen. Das bin es sicherlich auch den vielen Fans schuldig, die sich sehr über die Neuigkeit gefreut haben, dass ich dabei bleiben werde. Vor allem habe ich aber das Gefühl, dass die Geschichte des Kriminalhauptkommissars Faber noch nicht auserzählt ist. Ich entdecke in der Figur nach wie vor Kammern, die ich bis dato noch nicht geöffnet habe.

Was steht aktuell auf Ihrem Drehplan?

Die Folge, die im Herbst ausgestrahlt wird, haben wir bereits im vergangenen Jahr abgedreht. Im Juni werden die Dreharbeiten für eine weitere Episode beginnen, die vermutlich erst im nächsten Jahr im TV laufen wird. Bei uns ist es so, dass wir pro Jahr immer zwei Folgen des Dortmunder "Tatorts" zeigen dürfen. Wir, die seriell erzählen wollen, kommen mit dem Format manchmal an unsere Grenzen, weil die Zeiträume zwischen den einzelnen Ausstrahlungsterminen mitunter ziemlich lang sind. Jeder Teil muss daher für sich funktionieren. Dennoch zeigt dieser "Tatort" vermutlich erst dann seine ganzen Qualitäten, wenn man ihn "bingewatcht". Man könnte auch "Dauerglotzen" sagen (lacht) …

Den bereits angesprochenen Tod von Fabers Kollegin Bönisch werden die "Tatort"-Fans nicht so schnell vergessen. Hat auch Sie ihr Abschied ein Stück weit betroffen gemacht?

Der Dreh war wirklich sehr traurig. Es war eine Verabschiedung – auch von Anna nach dieser langen, gemeinsamen Zeit. Der Moment selbst war schlimm, ihr letzter Drehtag war ebenso schlimm. Was es wirklich bedeutet, dass die Figur der Martina Bönisch fehlt, wurde mir erst in der zweiten Folge nach ihrem Ausstieg klar. Schliesslich hat sie in "meinem", bereits erwähnten, Teil noch eine grosse Rolle gespielt – mit Blick auf Fabers Trauerbewältigung.

Jörg Hartmann (im braunen Parka) und Anna Schudt (die Martina Bönisch spielte) im Jahr 2019. © imago images / Future Image/Christoph Hardt

Haben Sie aus den diversen Abschieden Ihrer "Tatort"-Kollegen Erkenntnisse sammeln können, welchen Ausstieg Sie sich eines Tages für Peter Faber wünschen?

Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Ich habe also noch keinen Plot über den Ausstieg von Faber vorliegen. Ich hatte aber mal eine ziemlich bekloppte Idee im Kopf …

Nämlich?

Das ging in die Richtung Fantasy – völlig abstrus, so eine Art Zombie-Geschichte. Diese Idee spielte auf irgendwelche alten Bergleute an, die vor Jahrzehnten verschüttgegangen waren und nun zurückkehren, um sich an den damaligen Schuldigen zu rächen. Faber wäre in diesem Fall der Einzige, der sie erlösen kann, weil er mit ihnen hinunter in die Erde geht. Das ist natürlich völliger Schwachsinn (lacht).

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