- Im neuen Mainzer "Tatort" wird die blinde Studentin Rosa Zeugin eines Überfalls und gerät in den Bann der reichen Täterin Sophie.
- Leidet Sophie an Affluenza?
- Und ist die Darstellerin der Rosa wirklich blind?
- Hintergründe zum neuen "Tatort" mit Heike Makatsch.
Was ist Affluenza?
In "Blind Date" empört sich Kommissar Martin Rascher (Sebastian Blomberg) über die verwöhnte Gleichgültigkeit von Sophie und Moritz, Kinder reicher Eltern: Aus Langeweile würden sie Tankstellen überfallen und dächten nicht an die Konsequenzen, selbst wenn dabei ein Mensch getötet wurde.
"Affluenza" nennt er ihren Zustand, ein Wortspiel aus den englischen Wörtern für Überfluss (affluence) und Grippe (influenza). Es handelt sich dabei nicht um eine medizinisch anerkannte Krankheit, sondern einen soziokulturellen Begriff, der eng mit Konsumkritik zusammenhängt.
Bekanntheit erlangte der Begriff 1997 nach der US-Fernsehdokumentation "Affluenza" über die sozialen und ökologischen Kosten von Materialismus und Überkonsum in den USA. Laut dem amerikanischen Merriam-Webster-Lexikon hat Affluenza zwei Bedeutungen: Zum einen "Schuldgefühle, Motivationslosigkeit und soziale Isolation wohlhabender Menschen", zum anderen "extremer Materialismus und Konsumismus", der mit dem Streben nach Reichtum und Erfolg zusammenhänge, und ein daraus resultierender "Zustand chronischer Unzufriedenheit, Schulden, Überarbeitung, Stress".
Gibt es Ethan Couch wirklich?
2013 kehrte der Begriff prominent in die Medien zurück, als ein Anwalt erfolgreich Affluenza als Entschuldigung für einen Klienten anführte: Bei einem Verkehrsunfall im amerikanischen Bundesstaat Texas kamen im Sommer 2013 vier Menschen ums Leben. Am Steuer sass der damals 16-jährige Ethan Couch, stark angetrunken und unter Drogen. Kommissar Rascher vergleicht die Täter im "Tatort" mit ihm.
Während die Staatsanwaltschaft 20 Jahre Gefängnis forderte, verurteilte eine Richterin ihn, zur Empörung der Öffentlichkeit, zu einer Bewährungsstrafe von zehn Jahren und einer Therapie. Sein Anwalt hatte argumentiert, Ethan Couch leide an Affluenza: Weil seine wohlhabenden Eltern ihm nie Vorschriften gemacht hätten, habe er kein Gefühl für Grenzen und Konsequenzen – er brauche eine Therapie und kein Gefängnis. Weil Ethan – mit Unterstützung seiner Mutter – später die Auflagen seiner Bewährung verletzte, kam er 2016 für zwei Jahre ins Gefängnis.
Ist die Darstellerin der Rosa tatsächlich blind?
Nein, Regisseurin Ute Wieland besetzte die Rolle der blinden Studentin Rosa mit einer alten Bekannten: Henriette Nagel hatte ihre erste Rolle als 15-Jährige 2007 in der Teenagerkomödie "Freche Mädchen", bei der ebenfalls Ute Wieland Regie führte. Danach war die Berlinerin in einzelnen Episoden in vielen Fernsehserien zu sehen und zwei Jahre lang Ensemblemitglied am Theater Bielefeld – zur gleichen Zeit übrigens wie Anica Happich, die im "Tatort" die verführerische Sophie spielt.
Um sich in die Rolle einer Blinden hineinversetzen zu können, traf sich Henriette Nagel laut dem Donaukurier mit Kathrin Schreck, die selbst sehen kann und als Reha-Lehrerin für den bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund vor allem älteren Menschen mit schwindender Sehkraft hilft. Schreck zeigte der Schauspielerin zum Beispiel den Umgang mit dem Stock und das "fachgerechte Pendeln" damit, damit er "immer einen Schritt voraus" ist. Zur Übung ging Nagel als Blinde durch die Fussgängerzone und allein in ein Café: "Die E-Roller sind unsere grössten Feinde", sagt sie über ihre Erfahrungen als blinde Passantin.
Was läuft im Fernseher der Täter?
Zum Thema Affluenza passt auch der Film, den Sophie und Moritz gegen Ende des "Tatort" in ihrer Wohnung laufen lassen: Die Ausschnitte, die zu sehen sind, stammen aus "Kamikaze 89", einem Film von 1982 nach einem Krimi des schwedischen Schriftstellers Per Wahlöö.
Der Regisseur und Schauspieler Rainer Werner Fassbinder spielt darin in seiner letzten Rolle einen Polizeileutnant in einem utopischen Deutschland 1989: Die Bundesrepublik ist das reichste Land der Erde, es gibt nur zufriedene Bürger, und sowohl die Nachrichten als auch das Unterhaltungsprogramm werden von einem einzigen Konzern bestimmt. Ein Science-Fiction-Krimi, urteilte das Lexikon des internationalen Films, "der den Medientotalitarismus und Konsumwahn einer nahen Zukunft anprangert."
Wie geht es mit Kommissarin Berlinger weiter?
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