In ihrem 25. Fall jagen die Stuttgarter "Tatort"-Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) einen Sniper, der die Schwaben-Metropole in Atem hält. Fünf Fragen zum Stuttgarter Jubiläums-"Tatort".
Warum gibt es keinen Abschied von der Staatsanwältin?
"Du allein" war der letzte Auftritt Carolina Veras als Staatsanwältin Emilia Álvarez. Seit dem ersten Einsatz der Stuttgarter Kommissare 2008 war die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ermittlern und Staatsanwaltschaft ein Markenzeichen des Stuttgarter Teams, in der Folge wurde der Abschied jedoch mit keinem Wort erwähnt. Der Grund: Die Dreharbeiten (vom Juni 2019) waren längst abgeschlossen, als der produzierende SWR Mitte April dieses Jahres bekannt gab, die 1973 im chilenischen Valparaíso geborene deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin habe sich entschlossen, das Tatort-Ensemble zu verlassen
"Ich habe Emilia Alvarez 12 Jahre lang gern gespielt", erklärte uns Carolina Vera ihre Entscheidung am Wochenende, "nun ist für mich der Zeitpunkt gekommen diese Figur nach vielen erfolgreichen Filmen loszulassen." Über ihre Zukunftspläne könne sie derzeit nicht viel verraten: "Momentan geht’s mir wie den meisten Kollegen während dieser Pandemie, ich schaue gespannt darauf wie sich die Situation gerade normalisiert und hoffe, dass die Theater bald wieder öffnen und Filme wie bisher gedreht beziehungsweise synchronisiert werden können."
Carolina Vera ist unter anderem die deutsche Stimme von
Ob das Stuttgarter Team wieder eine durchgehende Staatsanwältin bekommen wird, ist laut SWR "noch offen".
Sind Lannert und Bootz jetzt die dienstältesten Stuttgarter Kommissare?
Fast: "Du allein" ist der 25. Fall für die Ermittler des Südwestrundfunks und damit haben sie seit ihrem Start 2008 genau so viele Verbrechen untersucht wie ihr Vorgänger, Ernst Bienzle. Der vom Schriftsteller Felix Huby erdachte Bienzle allerdings erreichte im Laufe seiner 25 Fälle von 1992 bis 2007 Kultstatus.
Anders als Lannert und Bootz, mit denen der SWR dem Stuttgarter "Tatort" einen moderneren, weltoffeneren Anstrich geben wollte, bezeichnete sich Bienzle selbst als "verhockten Schwaben", also als einen, der die Gegend nie verlassen hat. Schon allein deshalb war er Experte für die schwäbische Seele, was besonders im Ländle gut ankam.
Sein Vorgänger Georg Thomas Schreitle (Horst Michael Neutze) dagegen kam wie Lannert aus Hamburg und war also ein "Neigschmeckter", also ein Zugezogener, und ermittelte 1987/88 in nur drei Fällen.
Der erste Stuttgarter Kommissar war Eugen Lutz (Werner Schumacher), sein erster Fall 1971 der vierte "Tatort" überhaupt. Ein mürrischer Berliner mit schwäbischen Eltern, der bis 1986 in 16 Fällen ermittelte. Die Schwabenseele verkörperte damals wenig schmeichelhaft sein Assistent Richard Wagner (Frank Strecker) mit breitem Schwäbisch und gemächlichem Tempo.
Ist die in "Du allein" unterlassene Hilfeleistung wirklich nicht strafbar?
In der Essener Filiale der Deutschen Bank gab es 2016 einen Fall, der dem im "Tatort" skizzierten sehr ähnelt und von dem die Siegener Rechtsanwaltskanzlei Kotz auf ihrer Webseite berichtet: Ein 83-jähriger Rentner betrat ausserhalb der Geschäftszeiten den Vorraum, um sich Kontoauszüge zu drucken. Der Mann kippte um, schlug mit dem Kopf gegen einen Bankautomaten und fiel auf den Boden.
Insgesamt vier Bankkunden überstiegen oder umgingen den Senioren und erledigten ihre Bankgeschäfte, bevor ein fünfter Essener den Notruf wählte. Der Verletzte verstarb später infolge seiner schweren Verletzungen an einem Schädel-Hirn-Trauma. Vor Gericht versuchten die Kunden ihr Verhalten damit zu entschuldigen, dass sie den Mann für einen betrunkenen Obdachlosen gehalten hatten.
Trotzdem wurden "drei der vier Angeklagten (39, 55 und 62 Jahre alt) wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen von 2.400 bis zu 3.600 Euro verurteilt." Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien dabei nur ins Rollen gebracht worden, weil die Tochter des Verstorbenen fürchtete, jemand habe die Bankkarte ihres Vaters gestohlen. Daraufhin sichtete die Polizei das Videoüberwachungsmaterial der Filiale und wurde auf die Bankkunden aufmerksam.
Warum gehen die Betroffenen im "Tatort" straffrei aus?
Auch hier begründeten die Angeklagten ihr Verhalten damit, dass sie den Bewusstlosen für einen Betrunkenen hielten, als Beweis diente im Krimi ein entsprechender Post eines der Bankkunden in den sozialen Medien. Strafbar aber macht sich nur, wer eine Notlage erkennt und trotzdem nichts tut.
Geregelt wird die "Pflicht zur Hilfeleistung" vom Strafgesetzbuch (StGB), §323c: "Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."
Die Formulierung enthält die so genannte Zumutbarkeitsklausel, die von der Pflicht befreit, wenn der Hilfeleistende sich selbst in Gefahr bringen würde, ist aber bewusst so formuliert, dass die Pflicht zur Hilfe im Vordergrund steht.
Entsprechend weist "Tatort"-Staatsanwältin Álvarez darauf hin, dass die konkreten Umstände durchaus eine Verurteilung der Betroffenen erlaubt hätten: Auch einem betrunken am Boden liegenden Obdachlosen steht Hilfe zu, zumal ein Anruf beim Rettungsdienst wahrscheinlich gereicht hätte, um dem Gesetz Genüge zu tun.
Die Fachzeitschrift für das Rettungsdienstwesen entkräftet auf ihrer Webseite rettungsdienst.de zudem die häufigsten Ausreden für unterlassene Hilfeleistung. So macht man sich zum Beispiel auch dann nicht strafbar, wenn sich der Zustand des Verletzten durch die Hilfe verschlechtert. Von grober Fahrlässigkeit gingen die Gerichte nur dann aus, wenn der Ersthelfer offensichtliche Dummheiten begeht, zum Beispiel "eine blutende Kopfplatzwunde dadurch zu behandeln, dass eine Abbindung am Hals angelegt wird."
Auch die Sorge, "draufzahlen" zu müssen, weil man sich etwa seine Kleidung ruiniere, sei unbegründet: "Wer in der Freizeit, zu Hause oder im Urlaub Erste Hilfe leistet, ist über die gesetzliche Unfallversicherung gegen alle Personen- und Sachschäden versichert. Also auch wer sich bei der Hilfeleistung selbst verletzt, erhält kostenlose Heilbehandlung, Verletztengeld oder sogar Verletztenrente."
Warum will der Zigarrenladenbesitzer nicht vor die Tür?
Peter Jentsch (Karl Markovics) leidet vermutlich an Agoraphobie. Entsprechend der Herkunft aus dem Griechischen (von "Agora" für "Marktplatz") wird sie in der Psychologie auch als Platzangst bezeichnet, während der Begriff Platzangst umgangssprachlich für die Angst vor engen und geschlossenen Räumen verwendet wird, also für Klaustrophobie.
Während Agoraphobie früher nur für die Furcht vor grossen öffentlichen Plätzen verwendet wurde, bezeichnet der Begriff laut der Berufsverbandseite "Neurologen und Psychiater im Netz" inzwischen eine ganze Gruppe von Phobien, die durch die "Angst vor bestimmten Situationen gekennzeichnet" ist.
"Betroffene haben beispielsweise Probleme, sich auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten, Supermärkte oder Geschäfte zu betreten" oder "sich alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen. In manchen Fällen erreicht die Agoraphobie ein Ausmass, dass die Personen nicht mehr in der Lage sind, das Haus zu verlassen."
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