Eine rauschende Partynacht, drei Jahrzehnte alte Lügen – und ein brutaler Mordfall. In "Tatort: Colonius" holen Ballauf und Schenk die Schatten der Vergangenheit ans Licht. Ein atmosphärisch dichter Krimi über Schuld, Freundschaft und das Unausweichliche.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ekstase mitten in der Nacht, hoch oben über den Dächern der Stadt. Party, Sex und Drogen. Im Kölner Fernsehturm Colonius tobt eine Technoparty. Christian, Meike und René sind mittendrin in der Szene. Sie tanzen, berauschen sich an Alkohol, Ecstasy und ihrer Freundschaft. Zuckende Körper zwischen den neonfarbenen Stroboskopblitzen, Laserlichter im Takt der wummernden Bässe. Und darüber, auf der eigentlich gesperrten Aussenplattform, haben Gina und Alex leidenschaftlichen Sex. Ihre Körper schwitzen, ihr Lächeln ist von Glück und Drogen beseelt.

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Dreissig Jahre später steht der Colonius still und leer in der Kölner Landschaft herum. Gina ist spurlos verschwunden. Und Alex liegt erschlagen in seiner Wohnung. Um den Mord an ihm aufzuklären, müssen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) zurückgehen in jene Nacht, als die Clique um Gina auseinanderbrach. Denn Gina war die Sonne, um die sich alle drehten – oder vielleicht eher die Discokugel, die alles in Glitzerlicht tauchte.

Von der Freundschaft scheint nichts geblieben, die drei Erwachsenen sitzen missmutig auf dem Kommissariat und behaupten, sich ewig nicht mehr gesehen zu haben. Christian war damals Ginas Freund. Ein ziemlich eifersüchtiger Freund, wie es scheint: "Er will dauernd 'Mutter, Vater, Kind' spielen", stöhnt Gina in der Nacht, als sie drei Monate nach der Geburt ihrer Tochter endlich wieder tanzen kommt. Für ein paar Stunden wollte sie damals ihren Alltag als junge Mutter vergessen.

Alte Freunde, neue Leben – und ein Netz aus Lügen

Inzwischen ist Christian Bauingenieur bei der Stadt. Das passt. Ein ordentlicher Beruf für einen ordentlichen Mann. Tochter Svenja (Vanessa Loibl) hat er alleine gross gezogen. Meike ist Svenjas Patentante, aber vor allem eine unabhängige Galeristin, die im Kommissariat die Füsse auf den Bürotisch legt, die Drogen von damals gegen E-Zigaretten getauscht hat und nichts und niemanden an sich heranzulassen scheint. René schliesslich, der sie damals alle mit Pillen versorgte, ist berufsjugendlicher Besitzer einer veganen Deli-Kette: braungebrannt, dynamisch und immer bereit für den herabschauenden Hund – Yoga ist ja so gut gegen Stress. Svenja, die auch aufs Revier gebeten wird, arbeitet in einem von Renés Delis.

Dafür, dass die drei alten Partykumpane nichts mehr miteinander zu tun haben, sind sie also erstaunlich verbandelt. In jener Nacht muss irgendetwas passiert sein, was dazu führte, dass Christian, Maike und René für immer aneinander gekettet hat und sie zugleich wie Fremde auf dem Kommissariat sitzen lässt. Was, das versuchen Ballauf und Schenk aus ihnen herauszuholen.

Das Kommissariat wird zu einem Käfig, in dem die Verdächtigen einander nicht ausweichen können und unter der ständigen Beobachtung der Kommissare stehen. Die Anspannung wird immer grösser, und irgendwann liegen bei allen die Nerven blank – auch bei den Kommissaren. Svenja kann nicht fassen, was sich da vor ihren Augen abspielt.

Ein Psychodrama mit Symbolkraft

Wieder einmal nutzt das Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn eine dramatische Kölner Kulisse, um einen psychologisch fesselnden und in diesem Fall von Regisseurin Charlotte Rolfes (und der Kamera von Rainer Lipski) mitreissend in Szene gesetzten Kölner "Tatort" zu erzählen.

Die Zeitsprünge zwischen damals und heute, die engen Schächte und Gänge des Fernsehturms, die Bewegungen des Aufzugs hoch in die funkelnde Partywelt und runter auf den dunklen Boden der Tatsachen, dazu die ruhige, hochkonzentrierte, fast klaustrophobische Versuchsanordnung im Kommissariat – die Symbolik ist unübersehbar, aber nie wirkt sie platt und aufgesetzt, sondern sie intensiviert das Psychodrama, das sich im Laufe der Geschichte entfaltet. "In so einer Nacht trifft man eine falsche Entscheidung und dann noch eine und dann kann man nie mehr zurück", sagt eine der betroffenen Personen einmal – davon handelt "Colonius". Von Freundschaft als Katerstimmung.

Brillante Darsteller in einem intensiven Kammerspiel

Die groben Züge der drogenvernebelten Eifersuchtstragödie lassen sich bald zusammenpuzzeln. Trotzdem bleibt es spannend bis zur letzten Minute, der Dynamik und der Auflösung dieser Clique zuzusehen. Das liegt auch an den hervorragenden Darstellern – Joshua Hupfauer (Christian), Sinje Irslinger (Meike), Gustav Schmidt (Alex) und Sebastian Schneider (René) verkörpern die jungen Freunde im Colonius, mit all ihrer verschwitzten, in sich verliebten Euphorie und ihrer Lebenslust, die unter Druck schnell in Panik und Aggressivität umschlägt. Und auf dem Kommissariat lassen Karoline Eichhorn (Meike), Thomas Loibl (Christian) und Andreas Pietschmann (René) wie in einem Kammerspiel kunstvoll die Selbstsicherheit ihrer erwachsenen Figuren abblättern, bis sich die Lügen und Schuldgefühle darunter herausschälen und wenig mehr bleibt als armselige Feigheit.

Zum Abschluss von "Colonius" gibt es für Cineasten noch eine kleine Hommage an "Magnolia". In dem ebenfalls symbolträchtigen modernen Kinoklassiker werden ebenfalls immer mehr Verbindungen zwischen den Protagonistinnen und Protagonisten enthüllt. "Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen", heisst es dort gegen Ende, "aber die Vergangenheit nicht mit uns."