Es gibt eine kurze Unterbrechung in der Reihe der Advents-"Tatorte" dieses Monats: Nachdem es letzte Woche um einen Toten am Weihnachtsabend ging und die Schweizerinnen nächste Woche im weihnachtlichen Zürich ermitteln, könnte es dieses Mal kaum unweihnachtlicher sein: Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ermitteln im frühlingshaften Münster unter exotischen Kriegermasken und Skulpturen.
Das Wohnhaus von Doreen Prätorius (Cordelia Wege) ist voll davon. Und eine davon wurde ihrem Anwalt zum Verhängnis: Oskar Weintraub (Nils Brunkhorst) muss übers Geländer der Galerie im ersten Stock direkt in den Speer einer riesigen Kriegerskulptur im Wohnzimmer gestürzt sein.
Gemeinsam haben die beiden jahrelang darum gekämpft, dass die Versicherung die drei Millionen auszahlt, die Doreen Prätorius nach dem Tod ihres forschungsreisenden Mannes zustehen. Am Tag des Urteilsspruches zu ihren Gunsten aber scheint es zu einem Kampf gekommen sein: Doreen Prätorius hat Würgemale und Wunden im Gesicht. Zwar kann sie sich an nichts erinnern, aber es sieht ganz nach Notwehr aus.
Das Fernsehpublikum weiss von Anfang an: alles Blödsinn
Das ist zwar die einzig logische Erklärung. Sie ergibt aber wenig Sinn, da sind sich Thiel und Boerne schnell einig. Nur hegt Thiel bald zarte Gefühle für die arme Witwe, die trotz ihrer Lügen milde stimmen. Wie ein wundes Reh im Scheinwerferlicht guckt sie die ganze Zeit aus der Wäsche, und am liebsten würde man Doreen Prätorius einmal ordentlich wachrütteln – und ihren edlen Retter und Ritter Thiel am besten gleich mit. Denn das Fernsehpublikum weiss von Anfang an: alles Blödsinn.
Das Drehbuch für "Man stirbt nur zweimal" hat Sascha Arango geschrieben – der, von dem die berühmten Borowski-"Tatorte" um den Kieler Kommissar Klaus Borowski und den Serienmörder Kai Korthals stammen. Da kann man gar nicht anders als vergleichen. Auch in Arangos erstem Nicht-Kieler "Tatort" kennt das Publikum den Täter früher als die Ermittler. Und in gewisser Weise geht es auch hier um einen stillen Gast.
Zweieinhalb Jahre nämlich hat der angeblich verschollene Ehemann Jonas Karl Prätorius (Christian Erdmann) im Bunker unterm Haus gehaust. Immer allein, nur nachts mal raus in den Garten.
Endlich war das Ziel, das Geld, die Freiheit so nah – und dann kommt dieser treuherzige Anwalt ins Haus marschiert und sieht nicht nur seine Mandantin mit dem tot geglaubten Ehemann den Versicherungsbetrug feiern, sondern ist auch noch fest entschlossen, diesen Betrug zu melden.
Kommt nicht in Frage. Dann schon lieber dem Anwalt die Champagnerflasche über den Schädel hauen und die Ehefrau übel zurichten, damit ihre Geschichte der Polizei gegenüber glaubhafter wirkt.
Aber für die ihm sonst so treu ergebene Doreen ist das jetzt doch etwas anderes als ein Versicherungsbetrug, bei dem es nur um das Geld eines grossen Konzerns und eine gemeinsame sorgenfreie Zukunft irgendwo unter Palmen ging. Das hier ist ein Mord, und Doreen Prätorius erkennt ihren Mann nicht wieder. Der Schock ist echt – das kann man in den Augen von Darstellerin Cordelia Wege beeindruckend deutlich sehen. Nur ist der Grund dafür ein anderer als der, den Thiel und Boerne glauben sollen.
Sascha Arango macht aus Münsteraner "Tatort" einen psychologischen Krimi
Im Mittelpunkt von "Man stirbt nur zweimal" geht es weniger um die Suche nach dem Mörder, sondern vielmehr um das, was ein Mord aus einem macht. Und aus einer ohnehin schon ziemlich zweifelhaften Ehe. Jonas Karl Prätorius war einer, der die Welt bereiste – und dann zweieinhalb Jahre im Keller steckte. Ist da auch in ihm etwas kaputtgegangen? Am Anfang sieht alles nach einem liebenden Ehepaar aus, das gemeinsam eine glückliche Zukunft plant. Aber dann vergehen die Tage im Haus, und Doreen und Jonas erscheinen mit den Ermittlungen im Kommissariat in einem anderen Licht.
Sascha Arango hat aus dem Münsteraner "Tatort" einen psychologischen Krimi gemacht, und auch Janis Rebecca Rattennis Regie fährt den Klamauk-Faktor deutlich herunter. Im Mittelpunkt steht das Paar Prätorius, nicht das Polizei-Duo Ernie und Bert. Ein Fremdkörper in der Reihe ist "Man stirbt nur zweimal" deshalb noch lange nicht. Sondern ein gewohnt unterhaltsamer Münster-"Tatort". Auch wenn er an die "Stille-Gast"-Fälle nicht herankommt und man sich aus feministischer Sicht eine etwas tatkräftigere Heldin und ein anderes Ende gewünscht hätte.
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