Solange "Bauernsterben" die sarkastischen Wiener Ermittler Eisner und Fellner aufs Land schickt, geht alles gut. Dann mischt sich Brüssel ein.
Es sollte viel mehr "Tatorte" mit Schweinen geben. Wie jene vom Schoberhof an diesem frühen Morgen vor den Toren Wiens. Diesen Äuglein kann man kaum widerstehen. Diesem Trippeln und Grunzen. Eine heitere Zupfgeigenmelodie unterstreicht die ländliche Idylle. Neugierig erkunden die Tiere den Hof, schaffen es bis ins Schlafzimmer vom Obermeier Sepp, schnüffeln aufgeregt am Bett und können ihr Abenteuer kaum fassen, schliesslich dürfen sie sonst nie raus aus ihrem Stall.
In dem liegt unterdessen Max Winkler. Der Besitzer des Schweinemastbetriebs wurde erschlagen. Zehen und Gesicht sind schon leicht angeknabbert. Schweine fressen bekanntlich alles, und wenn Menschen Koteletts essen, warum sollten die Tiere nicht zurückknabbern? Immerhin scheinen die melancholischen Schweinsäuglein ein wenig schuldbewusst in die Kamera zu gucken.
Ein Kontrast zwischen bäuerlicher Pragmatik und kriminalistischen Komplikationen
Der Beginn von "Bauersterben" ist vielleicht nichts für schwache Mägen, aber ein starker Einstieg in den neuen "Tatort" aus Wien. Ein Mordfall auf dem Lande, den Regisseurin Sabine Derflinger mit Gespür fürs Absurde erzählt. "Bauernsterben" gewinnt aus dem Kontrast zwischen bäuerlicher Pragmatik und kriminalistischen Komplikationen viel Komik, und
Als die beiden auf dem Schoberhof eintreffen, hat Betriebsleiter Sepp Obermeier (Martin Leutgeb) die Leiche mit der ihm eigenen Effizienz und der Hilfe seines grüngesichtigen rumänischen Gehilfen Darius (Marko Kerezovic) schon zur Seite geräumt, damit ihr toter Chef nicht noch länger als Frühstücksbuffet dient. Darius verliert dabei sein eigenes Frühstück. Und dann geht auch noch die defekte Stallwaschanlage an – so viel zur Spurensicherung.
Max Winkler war in einiges verwickelt
Der naheliegende Verdächtige ist erst einmal der vorbestrafte Darius. Zumal er sich den Anweisungen der Polizei widersetzt und nachts mit seinen Cousins und fünf Ferkeln nach Rumänien abhauen will – angeblich nur vorübergehend, zu einer Familienhochzeit, auf der er einfach nicht fehlen dürfe.
Aber als Eisner und Fellner ihre Ermittlungen ausweiten, bekommt der Mord an dem offenbar allseits beliebten Max Winkler noch ganz andere Dimensionen: Zum einen stellt sich heraus, dass auf dem Schoberhof nicht nur die Waschanlage nicht mehr richtig funktionierte. Zum Entsetzen seines Schwiegervaters wollte Max den Traditionsbetrieb an den bulgarischen Futtermittelgiganten Agrar Nuovo verkaufen. Dessen Besitzer allerdings ist eine zwielichtige Gestalt, gegen den das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung schon seit längerem Beweise wegen Fördermittelbetruges sammelt. Hoffnungsfroh schaltet Brüssel sich in die Mordermittlung ein.
Zum anderen stand Max Winklers Schweinemastbetrieb im Visier einer Tierschutzorganisation. Deren grauhaarige Anführerin Maria Vogler (Claudia Martini) lehnt Gewalt zwar ab, aber ihre Anhängerinnen sind von der Folgenlosigkeit ihrer Bemühungen enttäuscht und Martina Voglers junger Schützling Mina Truschner (Julia Wozek), die sich an Kundgebungen immer mit Schweinsmaske beteiligt, scheint auf den Schoberhof einen ganz besonders grossen Hass zu haben.
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EU-Recht und Hacker-Ehre statt Hackfleisch
"Bauernsterben" ist richtig gut – bis es in die oberen Etagen von Agrar Nuovo geht, um Zugang zu deren Computern, um Tierschützer, die praktischerweise ausserdem Computergenies sind. Jetzt geht es um EU-Recht und Hacker-Ehre statt Hackfleisch, deshalb müssen lauter Erklärdialoge her. Oder aber Streitgespräche wie jenes zwischen einer weinerlichen Aktivistin und einer emeritierten Professorin, die mit mässigem schauspielerischem Enthusiasmus den Generationenkonflikt austragen. Eine Gemüsepfanne brutzelt dazu.
Der tote Bauer ist in Lukas Sturms Drehbuch nur der Auslöser, um die Bedrohung eines Berufsstandes und die Problematik europäischer Landwirtschafts- und Ernährungspolitik zu beleuchten. Und das bekommt dem Krimi nicht, schon, weil die Anhäufung zu unbefriedigender Oberflächlichkeit führt und jeder Erkenntnisgewinn ausbleibt. Der "Tatort" schafft es, dass das Thema EU-Fördermittelverschwendung das Publikum kaltlassen dürfte – das ist ja fast schon wieder eine Leistung.
Da wünscht man sich die ausdrucksstarken Schweinsäuglein herbei. Und die kommen tatsächlich wieder. Ganz traurig schauen sie.
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