Basiert der Pädophilen-"Tatort: Schweigen" auf einem wahren Fall?

Im "Tatort: Schweigen" hat sich Auszeit-Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring, l.) mit Pfarrer Otto (Hannes Hellmann) angefreundet. Der trainiert nebenbei das örtliche Jungs-Fussballteam. Er stellt sich als Priester mit langjähriger Tätergeschichte in Sachen pädophilem Missbrauch heraus. Welcher konkrete Fall inspirierte den Krimi?

Seit 2010 weiss man, dass Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche systematisch und im grossen Umfang stattfand. Täter wurden von der Kirche selten der Justiz übergeben, sondern intern durch Versetzung aus der Schusslinie genommen. An ihrer neuen Position ging der Missbrauch oft weiter, was zahllose Beispiele belegen.

Wie verbreitet waren Missbrauchs-Praktiken in der katholischen Kirche? Die Zahlen sprechen für sich: 2018 wurde eine grosse Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht, nach der zwischen 1946 und 2014 in Deutschland rund 3.700 Kinder und Jugendliche von 1.670 Tätern sexuell missbraucht worden sind.

Florian Lukas spielt einen Mann, der als Kind von Kirchenangehörigen missbraucht wurde - und deshalb nie einen gesunden Platz im Leben fand. In Deutschland soll die katholische Kirche zwischen 2010 und 2021 etwa 270 Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt haben. In den USA geht man etwa für den gleichen Zeitraum von vier Milliarden Dollar aus.

Thorsten Falke spricht mit Lukas Pötter (Jakob Kraume), einem der jungen Spieler des vom Kloster trainierten Fussball-Teams - und Objekt pädophiler Begierden. Seit Offenlegung der Dimensionen des Missbrauchs gab es viele Reformen in der Kirche, um Übergriffe in Zukunft zu verhindern. Was hat die Kirche bisher konkret getan?

Missbrauch soll verhindert werden durch eine Zero-Tolerance-Politik der Kirche, durch eine enge Zusammenarbeit mit strafverfolgenden Behörden, der Sensibilität und Schulung von Mitarbeitenden bei Auswahl und Ausbildung des kirchlichen Personals und insgesamt einer neuen Transparenz des Themas innerhalb der Institution Kirche.

Domvikar Billing (Sebastian Blomberg, r.) ist im "Tatort" eine Figur, die für Aufklärung und Reformen ist - aber auch an der Starrheit des Systems Kirche und unbelehrbaren Vorgesetzten scheitert. Tatsächlich reicht vielen Kritikern der Wille zur Aufklärung seitens der Kirche noch nicht aus.

Die katholische Kirche hat einen hohen Preis für die Missbräuche gezahlt. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg mit dem Bekanntwerden des Skandals 2010 sprunghaft an. Damals waren es etwa 180.000, was bereits ein grosser Anstieg gegenüber den Vorjahren war. 2022 und 2023 geht man von jeweils 360.000 bis 380.000 Austritten in Deutschland aus.

In seinem ersten Fall seit dem Tod seiner langjährigen Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) ermittelt Falke zunächst als Privatmann an der Seite der lokalen Gast-Kommissarin Eve Pötter (Lena Lauzemis, l.). Doch gibt es ein konkretes Vorbild für den Fall aus "Tatort: Schweigen", das Autor Stefan Dähnert inspirierte?

Autor Dähnert recherchierte in einem konkreten Fall der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Ein Polizeibeamter hatte im Haus seines verstorbenen Onkels, Priester im Bistum Trier, tausende Fotos und Dias mit kinderpornografischem Material gefunden. Vermutlich wurden diese Fotos in bestimmten Kreisen herumgereicht und Kinder unter Priestern "geteilt".

Arbeitete die Kirche am "Tatort" mit? Zumindest kooperierte sie. Wotan Wilke Möhring, selbst nicht gläubig, verrät: "Ich habe grossen Respekt für das Bistum, in dessen Kloster wir drehen durften. Die Verantwortlichen haben das Buch ja vorher gelesen. Mit diesem Einverständnis hat das Bistum versucht, einen wichtigen Beitrag zu leisten."

Wo steht jenes Kloster, in dem Kommissar Falke seine Auszeit zwischen einfachen handwerklichen Tätigkeiten und karger Mönchskammer verbringt? Gedreht wurde der "Tatort: Schweigen" in der Abtei Mariawald, die bis 2018 vom Orden der Trappisten betrieben wurde. Die Anlage im Film liegt nahe Heimbach in der Eifel im Kreis Düren (Nordrhein-Westfalen).

1486 wurde die Abtei Nemus Mariae (Mariawald) gegründet. 2016 fiel die für eine eigenständige Abtei nötige Zahl an Mönchen auf unter zwölf Personen, daher wurde das Kloster 2018 aufgelöst. Danach betrieben ein Verein und anschliessend eine GmbH Mariawald.

Im ehemaligen Eifel-Kloster Mariawald werden aktuell noch Gastronomie, eine Buchhandlung sowie die Likörproduktion weitergeführt. Der Drehort des "Tatort" kann also besucht werden. So ist zum Beispiel die Gaststätte von Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Normalerweise von 11 bis 17 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr.

Wie geht es mit Wotan Wilke Möhring (r.) weiter? Gerade wird die Doppelfolge "Tatort: Ein guter Tag / Schwarzer Schnee" gedreht, eine Koproduktion mit dem niederländischen Fernsehen, die im Grenzbereich beider Länder spielt. Gaite Jansen (l.) verkörpert eine niederländische Ermittlerin, Hans Steinbichler führt Regie.