Im 25. "Tatort" aus Stuttgart bekommen es die Kommissare Lannert und Bootz mit einem Heckenschützen zu tun, der es auf die ganze Stadt abgesehen hat. Oder?
Stuttgart befindet sich in einem Talkessel. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich die Innenstadt ziemlich aufheizen kann, dass sich an den Hängen stadtnah Wein anbauen lässt und dass man als Scharfschütze besonders günstige Verhältnisse antrifft, um eine Zielpersonen zu eliminieren.
So ein Sniper hält im 25. Stuttgarter "Tatort" die Kommissare Thorsten Lannert (
Kurz darauf ist eine Journalistin tot. Und ein zweiter Brief enthält genaue Anweisungen für eine Geldübergabe, die natürlich schief geht. Dann stirbt ein Student. Beide Opfer wurden erschossen - mit Präzisionsschüssen aus relativ grosser Entfernung. Beide Male findet sich am Abschussort eine Patronenhülse mit einer eingravierten Zahl, passend zu den Briefen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die "3" im Postkasten liegt.
Im Kommissariat liegen die Nerven blank. Alle werden eingespannt, Videokameras ausgewertet, die Spurensicherung untersucht Briefpapier und mögliche Waffen, die Staatsanwältin (Carolina Vera in ihrem letzten Auftritt als Emilia Álvarez) muss die Staatssekretärin im Innenministerium beruhigen.
Die bleibt hart: "Stuttgart ist nicht erpressbar." Ganz Stuttgart warnen will sie allerdings auch nicht, so eine Massenpanik sieht keine Politikerin gern. Deshalb gibt es auch ein kurzes Wiedersehen mit Julia Bootz (
"Tatort: Stuttgart": Als hätte jeder Brezelbäcker das Zeug zum Elitesoldat
"Du allein" ist einer dieser Krimis, die man nicht kritisieren kann, ohne zu viel zu verraten. Auch wenn den Zuschauern die mordende Person bereits nach der Hälfte der Sendezeit gezeigt wird. Also heben wir uns das Plausibilitätsgemecker für ein virtuelles Kollektivseufzen nach der Ausstrahlung auf.
Die Diskrepanz zwischen den ausserordentlichen Fähigkeiten der Tatperson und ihrer Einführung in die Geschichte ist jedenfalls schwer zu schlucken – ungefähr so, als sei es selbstverständlich, dass jeder Brezelbäcker vom Stuttgarter Wochenmarkt das Zeug zum Elitesoldaten in Afghanistan hat. Als müsse man da gar nicht viel erklären (Keine Sorge: Es kommt kein einziger Brezelbäcker in der Folge vor).
Von dieser Isch'-halt-so-Gleichgültigkeit abgesehen, ist "Du allein" ein spannend erzählter und gefilmter Kriminalfall. Dazu gehören auch die Zeitsprünge, die Drehbuchautor Wolfgang Stauch bereits in seinem für den Grimme-Preis nominierten Stuttgarter "Tatort: Anne und der Tod" einsetzte.
Gekonnt werden hier - falsche oder heisse - Fährten gelegt. Zum einen, weiss man nicht genau weiss, wann etwas passiert. Zum anderen könnte man sich auch fragen, ob es überhaupt passiert – vielleicht sind das ja wieder einmal Hirngespinste einer kranken Psyche?
"Tatort: Du allein" - Trauma entschuldigt keine Gewalt
Apropos: Einmal stehen die beiden Kommissare vor einer Wand voller Satzfetzen, die Sebastian Bootz fragen lassen, ob man das ein Bekennerschreiben nennen solle. Thorsten Lannerts wütende Antwort: "Das nennt man narzisstischen, selbstgerechten Dünnschiss!" Angesichts des Trends zum Trauma, der sich im "Tatort" derzeit beobachten lässt, ist das eine erfrischend unkonventionelle Weigerung, Gewalt mit Seelenpein zu entschuldigen.
Schön auch, dass hier Hinterbliebene einmal nicht als stoische Helden oder tapfere Häufchen Elend gezeigt werden: Der Ehemann der ermordeten Journalistin verfällt zusehends, aus dem arroganten Schnösel wird ein arroganter Säufer, der in seinem Saustall von Wohnung die Kommissare anpöbelt – aber doch noch ein paar sachdienliche Hinweise lallen kann.
Die Zuschauer dürfen sowohl emotional als auch rational die Ermittlungen Schritt für Schritt begleiten – das Gefühl der Bedrohung fängt Regisseurin Friederike Jehn nicht nur durch beklemmende Aufnahmen von Strassenschluchten, offenen Plätzen und Häuserwänden ein, die die schwäbische Hauptstadt als Heckenschützenparadies erschienen lassen. Auch die Kommissare können kaum noch vor die Türe treten, ohne einen nervösen Blick nach oben zu richten.
In einem steten Tempo verengt sich die Tätersuche, die der Zielscheibe eines Schützen gleich: Erst scheint ganz Stuttgart in Gefahr, die Opfer scheinen zufällig ausgesucht. Dann schält sich ein Muster heraus. Dann ein Motiv. Manchmal wird die Suche unscharf. Doch die Kreise werden immer enger, und in der Mitte liegt schliesslich der rote Punkt. Aber rot ist ja nicht nur die Farbe von Blut.
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