"Sie sind wahnsinnig!" So schlicht beschreibt Kommissar Murot den Täter des gestrigen "Tatort". Die Vermutung ist naheliegend, schliesslich hat der Mann mehrere Menschen umgebracht. Doch der Mann hatte einen Hirntumor, der ihn zu seinen Taten trieb. Aber kann so etwas sein?
Im gestrigen "Tatort: Es lebe der Tod" bringt ein Mann mehrere Menschen um, um sie von ihrem vermeintlich leidvollen Dasein zu erlösen. Der Grund für diesen wahnhaften Eifer, so suggeriert es der "Tatort", ist der Hirntumor, an dem der Mörder erkrankt ist. Kann so etwas sein? Was ist ein Tumor überhaupt und wie realistisch wurde es gestern Abend? Wir haben mit Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, gesprochen.
Frau Dr. Weg-Remers, was genau ist ein Tumor?
Weg-Remers: Ein Tumor ist im Grunde erst einmal ein unkontrolliertes Wachstum von Zellen im Körper. Unsere Zellen bekommen Signale, wenn sie wachsen sollen und auch ein Stopp-Signal, wann sie wieder aufhören sollen. Zellen, die nicht mehr gebraucht werden, bekommen ein Signal, dass sie sterben sollen. Das ist der sogenannte programmierte Zelltod. Bei Tumoren sind diese ganzen Prozesse der Wachstumskontrolle aber gestört. Die Zellen erwerben dadurch darüber hinaus auch noch neue Eigenschaften, die dafür sorgen, dass Tumorzellen dann zum Beispiel in benachbartes Gewebe eindringen und es zerstören oder im Körper auf Wanderschaft gehen.
Was ist der Unterschied zwischen einem gutartigen und einem bösartigen Tumor?
Der gutartige Tumor wächst lokal verdrängend, drückt also Nachbargewebe nur beiseite, infiltriert es aber nicht. Der bösartige Tumor hingegen macht genau das und bildet unter Umständen Metastasen.
Was ist das Besondere bei Hirntumoren?
Bei Hirntumoren ist das Spezielle, dass das Gehirn ja in der Schädelhöhle liegt. Hier können auch gutartige Tumore, die nur verdrängend wachsen, mitunter einen schlechten Verlauf für den Patienten nehmen, weil einfach der Wachstumsraum begrenzt ist. Hinzu kommt, dass das Gehirn einfach sehr viele Vitalfunktionen hat, weshalb ein Tumor hier häufig gefährlicher ist als in anderen Organen.
Im "Tatort" verändert sich das Verhalten des Täters durch seinen Tumor ins Wahnhafte, er will andere Menschen von ihrem Leid erlösen. Ist so eine Wesensveränderung möglich?
Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Hirntumoren, die auch unterschiedliche Symptome hervorrufen. Ganz pauschal kann man diese Frage also nicht beantworten, man müsste wissen, um welche Tumorart es sich bei dem Mann handelt. Wenn das offen gelassen wird, kann man sich natürlich alles Mögliche ausdenken, aber eigentlich sind diese extremen Wesensveränderungen nicht besonders typisch.
Im "Tatort" bekommt der Mann plötzliches Nasenbluten – ist das realistisch?
Eher nicht. In der Nasenschleimhaut gibt es eine besonders empfindliche Region, die stark durchblutet ist. Nasenbluten kann dann zum Beispiel bei einem zu hohen Blutdruck entstehen, was aber nicht mit einem erhöhten Hirndruck zu verwechseln ist. Dass ein erhöhter Hirndruck Nasenbluten auslöst, gehört eigentlich nicht zu den üblichen typischen Symptomen. Völlig ausschliessen kann man das zwar nicht, es ist aber hier wohl eher der Dramaturgie geschuldet.
Häufige Symptome eines Hirntumors sind dagegen Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, weil der Druck im Gehirn ansteigt. Je nachdem, wo der Tumor sitzt, kann es zu neurologischen Ausfällen kommen. Sitzt ein Tumor beispielsweise am Stirnlappen, also dem Ort im Gehirn, der für Impulskontrolle und ähnliche Funktionen verantwortlich ist, kann es auch zu Wesensveränderungen kommen. Sitzt der Tumor an anderer Stelle, kann das auch zu Sehstörungen, Lähmungserscheinungen oder auch Sensibilitätsstörungen führen.
Gibt es auch psychische Wesensveränderungen bei einer Tumorerkrankung?
Bei einem Hirntumor sind die Wesensveränderungen meist organischer Natur, je nachdem, wo der Tumor im Gehirn sitzt. Bei 20 bis 30 Prozent der Erkrankten, und zwar bei allen Tumorerkrankungen, kommt es aber auch zu psychischen Belastungen. Das kann zu Depressionen führen, aber auch zu weniger auffälligen Symptomen wie Schlaflosigkeit. Dass aber jemand aufgrund solcher psychischen Belastungen andere Menschen umbringt, ist eher an den Haaren herbeigezogen.
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