- Im zweiten Teil der Doppelfolge "In der Familie" wird in München ermittelt.
- Die 17-jährige Sofia soll beim Morden helfen, aber sie leistet der kalabrischen Mafia entschlossenen Widerstand.
- Das aufwühlende Drama zum 50. Geburtstag der Krimireihe ist der "Tatort" des Jahres
Kommissar Faber hat es vermasselt. Der Einzelgänger, Besserwisser, leidenschaftliche Fällelöser hat sich einen epischen Fehlgriff geleistet. Er hat falsch kalkuliert, er war nicht vorsichtig und nicht einsichtig genug – und jetzt ist eine Familie kaputt und die Verbrecher sind weiterhin auf freiem Fuss.
Seit dem ersten Teil des Jubiläums-"Tatort" "In der Familie" ist in Fernsehzeit eine Woche vergangen. Die Handlung spielt ein halbes Jahr später. Aber in gefühlter Zeit befinden wir uns Lichtjahre entfernt von der Welt der Familie Modica, die wir im ersten Teil kennengelernt haben: Luca und Juliane, die in Dortmund ein Restaurant besassen und einen unbeschwerten Teenager zur Tochter hatten, die 17-jährige Sofia mit der roten Mähne und dem Faible für coole Klamotten.
Dann brauchte der widerwärtige Brutalo Pippo von der 'Ndrangheta einen Unterschlupf, und Fabers Team witterte die Chance zum grossen Schlag gegen die kalabrische Mafia. Und die mühsam aufrechterhaltene Normalität, in der die Modicas trotz ihrer Verbindung zur 'Ndrangheta zu leben versuchten, und die mühsam aufrecht gehaltene Normalität, in der Fabers unkonventionelles Team immer zu arbeiten versucht, zerbarst.
"Tatort": Sofia will Schicksal ihrer Mutter aufklären
Der zweite Teil der Crossover-Folge, in der zwei "Tatort"-Teams zusammen ermitteln, spielt in München. Dort sind Luca (Beniamino Brogi) und Sofia untergetaucht und helfen dem Mafia-Schergen Pippo (Emiliano De Martino) beim Morden. Eigentlich sollte Pippo dem neuen Baudezernatsleiter nur Angst einjagen, weil der anders als sein Vorgänger nicht an der guten Zusammenarbeit mit der 'Ndrangheta interessiert schien. Stattdessen erleben wir eine Kostprobe von Pippos Foltermethoden und Pippos kopfloser Grausamkeit.
Damit wird direkt an Teil 1 angeknüpft, der mit einer dramatischen Tat endete. So wie Regisseur Dominik Graf die Handlung auf eine Tragödie hin zuspitzen liess, so erzählt Regisseurin Pia Strietmann jetzt den Abstieg von diesem Gipfel als einen tragischen Niedergang, der weitere Opfer fordert. Luca Modica hofft, mit Unterstützung des ortsansässigen 'Ndrangheta-Bosses Domenico Palladio (Paolo Sassanelli) zusammen mit Sofia in seine kalabrische Heimat zurückkehren zu können.
In seine Ersatzfamilie. "Wir müssen funktionieren", warnt der Vater seine Tochter. Die aber sagt: "Wir sind nicht die." Und sie ist fest entschlossen, das Schicksal ihrer Mutter aufzuklären. Sofia, bislang nur Nebenfigur, steht jetzt im Zentrum des Geschehens. Aus der Mähne sind straffe Zöpfe geworden, aus den coolen Klamotten ein zweckmässiger Parka, der warm halten muss angesichts der Kälte in Sofias neuem Leben. Aber unter der Schale steckt eben doch noch der weiche Kern, wird dank Emma Preisendanz' Talent die verletzliche und verletzte Tochter sichtbar.
"Tatort: In der Familie": Kommissare zurück auf der Spur von Pippo
Sofia weigert sich, die neuen Familienverhältnisse zu akzeptieren. So wie im ersten Teil Fabers Team zuschlagen konnte, weil Juliane Modica Zweifel kamen, so bringt jetzt Sofia die Kommissare zurück auf die Spur von Pippo, dem gesuchten Mörder. Aber
Mehr noch als vergangene Woche konzentriert sich Bernd Langes Drehbuch auf die Familie Luca - beziehungsweise das, was von ihr übrig geblieben ist - und auf die pseudo-familiären Strukturen, mit der sich die Mafia ihre Macht sichert. "Sogar die Buddhisten sagen, dass man seine Eltern umbringen muss", versucht Palladios Ehefrau Sofia zu überzeugen. Vergeblich.
Der "Tatort" handelt vom Aufbegehren der Tochter gegen diese aufgezwungene Familie. Sofia wird zu ihrem schwachen Glied, gerade weil sie so stark ist. Und zur Gefahr für Palladio.
Licht und viel Schatten bei München/Dortmund-Produktion
Da kommt wieder Faber (Jörg Hartmann) ins Spiel. Er reist aus Dortmund an, allein, als ungewohnt zurückhaltender Beobachter. Diesmal ist er es, der mit seinen sarkastischen Bemerkungen zu "Kasper und Seppl" für den dringend benötigten Humor in dieser Düsternis sorgt. Und auch wenn Batic und Leitmayer ihn massregeln – "wir halten uns hier halt an Vorschriften": Wenn die Methoden rauer werden, die Kriminellen skrupelloser, dann ist man für einen weniger beamtenhaften Beamten, dessen unerschrockene Art angesichts des ganzen Elends etwas Hoffnung gibt, ganz dankbar.
Pia Strietmann knüpft an die Kammerspiel-Ästhetik vom ersten Teil an und verleiht ihrer Folge gleichzeitig eine eigene Note. Wieder sind es Licht und viel Schatten, die die Handlung begleiten, aber dieses Mal begleiten sie vor allem Sofia. Florian Emmerichs Kamera weitet den Blick auf ein tristes, hoffnungsloses München, engt dann wieder ein auf die klaustrophobischen Räume, in denen sich Sofia verstecken muss und geht immer wieder ganz nah an Gesichter, an Sofias Gesicht, in denen sich all der Schmerz, all die Verzweiflung abzeichnen, die das Erlebte ihr zugefügt hat, ihr zufügt. Und die entschlossene Härte, mit der sie rebelliert.
So entsteht wieder ein aufwühlendes, hochemotionales Drama, das die Zuschauer unbarmherzig im Griff hält. Jeder Teil von "In der Familie" ist anders, aber beide sind gleich stark. Und zusammen machen sie "In der Familie" zum "Tatort" des Jahres.
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