Ausgerechnet im "Tatort" anlässlich des Weltfrauentages geht es um Frauen als Objekte. Als vor einem Nachtclub eine Leiche gefunden wird, gerät der einsame Mario unter Verdacht. Undercover besucht Kommissar Borowski ein Seminar, in dem aus Weicheiern Tiger gemacht werden sollen. "Borowski und die Angst der weissen Männer" ist ein starker Fall zu einem schlechten Zeitpunkt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Bald ist Ostern. Vielleicht läuft den Hasen zu Ehren im Fernsehen ja die Verfilmung des Romans "Unten am Fluss", wo es von Killerkaninchen, Tierfallen und sonstigem Unheil, das Menschen über eine Hasenkolonie bringen, nur so wimmelt. Zum Vatertag böte sich "Game of Thrones" oder "Star Wars" an, mit Vätern von epischer Grausamkeit. Aber erst einmal wird am 8. März der Weltfrauentag gefeiert - und der "Tatort" ehrt ihn mit einer Horde Männer, die von "Fotzen", "Schlampen" und Schlimmerem spricht.

Mehr News zum "Tatort"

"Tatort" aus Kiel: Nicht schlecht, aber unpassend

Es ist jedenfalls nicht gerade die beste Idee, die die Unterabteilung Gedenktag innerhalb der Programmredaktion der ARD hatte. Die Abteilung gibt es bestimmt, und bestimmt sitzen in ihr nur Männer. Anders lässt es sich eigentlich nicht erklären, warum der Tag zur Gleichberechtigung der Frau mit "Borowski und die Angst der weissen Männer" gefeiert werden sollte. Kein schlechter "Tatort", nur ein unpassender Anlass.

In dem Fall geht es um die Leiche einer jungen Frau in der Nähe eines Nachtclubs. Sie wurde schwer misshandelt, im Körper finden sich später Spuren von Liquid Ecstasy, auch K.-o.-Tropfen genannt. Die Ermittlungen führen die Kommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) zu Mario Lohse. Der hat an der Bar mit Maike angebandelt, und auf dem Video des Clubs sieht man, wie er ihr etwas in den Drink zu schütten scheint.

Mario ist ein extrem schüchterner und extrem einsamer junger Mann. Er arbeitet im vergitterten Kassenhäuschen einer Tiefgarage und verbringt auch sonst viel Zeit im Dunkeln. Dann versinkt er in den Botschaften des selbst ernannten Erfolgstrainers Hank Massmann, der wahrscheinlich eigentlich Hans-Dieter heisst und noch bei Mutti wohnt. Arnd Klawitter ist ein überzeugender Motivationsteufel – ganz der ruhige, freundliche Profi, der sich auf der Bühne zum Freund und Führer der Entrechteten aufspielt.

Als Hank – natürlich "Hänk" gesprochen – leitet er Workshops und bietet Motivationsreden zum Download an, mit Sprüchen, in denen er Männer zu Tigern "ausbildet", weil es das ist, "was Frauen wirklich wollen": "Du hast keine Angst vor ihnen, sie sind es, die Respekt vor dir haben!" Und "am Ende legt sie dem Raubtier die Kehle hin". Der schüchterne, einsame, aber auch ziemlich kranke Mario saugt den Dreck auf wie ein Waschlappen.

Rebellion des Grössenwahns

Doch das ist noch nicht alles: Am Fundort der Leiche entdeckt Borowski eine in den Erdboden getrampelte "14" – das aus den USA auch nach Europa geschwappte Symbol von Neonazis und Rassisten, mit dem ein 14 Wörter langes Motto abgekürzt wird: "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weissen Kinder sichern." Unter anderem zum Beispiel, indem der weisse Mann Asylbewerber und Feministinnen erledigt und sich weisse Frauen gefügig macht.

Rückwärtsgewandtes, frauenverachtendes Gedankengut wie Massmanns Gefasel ist ein beliebtes Rekrutierungsmittel der rechtsradikalen Szene. Der Frauenhass und die Kränkung sogenannter Incels, "involuntary celibates", also unfreiwillig zölibatär lebende Männer, lässt sich gut schüren und für terroristische Zwecke nutzen – wie leicht das gehen kann, wie fliessend die Übergänge zwischen Rechtsradikalen und radikalen Antifeministen sein können, davon erzählt "Borowski und die Angst der weissen Männer" quasi im Zeitraffer.

"Schlampen und Asylanten" würden "unser Land zwischen sich aufteilen", warnt Massmann und fordert seine Anhänger dazu auf, sich "ihre Würde zurückzuholen". Während Borowski einen Massmann-Workshop besucht, kümmert sich Kollegin Mila Sahin um die Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel), die sich für Minderheiten und Gleichberechtigung engagiert und auf einer Todesliste steht, die im Darknet aufgetaucht ist.

Und irgendwo dazwischen bewegt sich Mario Lohse, der sein Leben nach dem Skript des starken weissen Mannes Massmann lebt. Dank Joseph Bundschuhs nuancierten Spiels ruft der labile Aussenseiter selbst dann noch Mitleid hervor, als sich Marios Minderwertigkeitskomplex mit dem erlernten Grössenwahn zu einer explosiven Mischung hochkocht. Zumal er ausgerechnet auch von denen, mit denen er sich verbunden fühlt, abgelehnt wird: Das Incel-Forum hat nur Spott für ihn übrig.

Eine peinliche Geste alter weisser Männer

Aus dem Buch von Peter Probst und Daniel Nocke entsteht mit den kompetenten Darstellern unter der Regie von Nicole Weegmann ein komplexer "Tatort", der mit den Incels einen wenig bekannten Aspekt der Geschlechterdebatte ins Licht rückt und dadurch auch aus den Krimi-Dauerthemen Darknet und Rechtsradikalismus einen fesselnden, relevanten Gesellschaftskommentar macht.

Da hätte es die Weltfrauentag-Widmung gar nicht gebraucht. Zumal Kiel nicht nur mit einer ganz selbstverständlich selbstbewussten Kommissarin, sondern in Sachen Feminismus mit einem wahren Traummann aufwarten kann: Als Mann, der mit seiner Männlichkeit ebenso wenig hadert wie mit der Tatsache, dass seine Kollegin eine junge, starke Frau ist, ist Borowski ein vorbildlicher Feminist.

Und der Kieler "Tatort" erweist sich auch dadurch auf der Höhe der Zeit, dass Borowskis Gelassenheit und die Unaufgeregtheit des Teams Borowski/Sahin in den einzelnen Episoden nicht gefeiert, kaum thematisiert wird. So ist Borowski in "Die Angst der weissen Männer" als Undercover-Agent in Massmanns Kreisen nichts als der nüchtern ermittelnde Kommissar: Weder muss er sich angesichts des Unsinns, der da verzapft wird, betont entsetzt geben, noch seine Solidarität mit Kollegin Sahin kundtun, als mit einem Verfassungsschützer ein ziemlich widerlicher alter Widersacher Sahins aus Berlin angereist kommt.

Dass der Mann die Kommissarin gönnerhaft "Liebste" nennt, ist die einzige Plattheit (und überflüssige Nebenfigur), die sich dieser "Tatort" leistet. Ja, wir haben verstanden: Frauenfeindlichkeit gibt es überall und in den unterschiedlichsten Schattierungen. Aber dass ausgerechnet Sahin darauf nur mit unterdrückter Wut anstatt mit professionellem Widerwort reagiert, ist ziemlich unglaubwürdig.

Dabei ist doch eigentlich jeder "Tatort" mit Borowski und Sahin ein Beitrag zum Weltfrauentag. Nur wenn man ihn zu einem solchen erklärt, gerät das zur peinlichen Geste weisser alter Männer.

Mehr Infos zum "Tatort" finden Sie hier

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.