• Ulrich Tukur glänzt im neuen "Tatort: Die Ferien des Monsieur Murot" in einer Doppelrolle.
  • Der Wiesbadener Kommissar Felix Murot untersucht den Mord an seinem Doppelgänger und verguckt sich in dessen Ehefrau.
  • Um herauszufinden, wer seinen Doppelgänger ermordet hat, schlüpft Murot komplett in dessen Leben.
Eine Kritik

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Der Kommissar macht Urlaub und lässt beim Postkartenschreiben die Gedanken schweifen. Das ist an sich ja schon eine nostalgische Ferienbeschäftigung, trotzdem würde der gewöhnliche Urlauber vielleicht von Wetter und Würstchen erzählen – Felix Murot aber wird philosophisch: "Hier entstehen sie, die neuen Gedanken. Und es wächst der Mut, das Gewohnte abzulegen und sich gänzlich neu zu entdecken."

Dazu wird der Mann mehr Gelegenheit haben, als ihm lieb ist. Denn man beachte, dass es sich bei der Ferienlektüre des Herrn Murot, die neben den Postkarten auf dem Tisch liegt, um Edgar Allan Poes Erzählung "William Wilson" handelt – eine Doppelgängergeschichte mit eher unglücklichem Ausgang.

Aber das Doppelgängerleben, das sich dem Kommissar in den folgenden 90 Minuten "Tatort" anbietet, scheint ihm sehr lieb zu sein. Geradezu unprofessionell lieb. Was mit der Ehefrau seines Doppelgängers zusammenhängt.

"Tatort" aus Wiesbaden: Murot trifft auf seinen Doppelgänger

Kurz nach dem Kartenschreiben lernt der Kommissar auf der Terrasse seines Urlaubshotels im Taunus nämlich den Autohausbesitzer Walter Boenfeld kennen. Und der sieht, schon weil er ebenfalls von Ulrich Tukur gespielt wird, genau so aus wie Murot. Allerdings ist sofort klar, dass damit die Ähnlichkeiten aufhören: "Was zum Henker ...?", legt der Autohändler los, "sind Sie der Teufel?", witzelt er, "das gibt's doch gar nicht!"

Der ortsansässige Geschäftsmann ist das redselige Gegenteil vom gedankenvollen Touristen und freut sich über die Begegnung wie ein Kind über ein besonders vielversprechendes Fahrvergnügen auf dem Jahrmarkt. Murot reagiert erstaunt, aber zurückhaltend.

Boenfelds Enthusiasmus reicht allerdings für zwei, und natürlich ist Murot neugierig und fasziniert genug, um sich mitreissen zu lassen.

Tukur glänzt im schauspielerischen Doppel

Die beiden verbringen einen sehr feuchten, sehr fröhlichen Abend, der in eine weinselig-melancholische Nacht übergeht. Und für den Zuschauer die besten Minuten dieses "Tatorts" bereithält: Tukurs Doppelspiel ist grandios, ohne Manierismen, ohne Übertreibung - ausser der, die die Rolle des überschwänglichen Erfolgsmannes Boenfeld erfordert - skizziert er mit gelassenen Gesten, genau kalkulierten Blicken zwei völlig gegensätzliche Männer, die man als Zuschauer unterscheiden kann wie eine liebende Mutter ihre eineiigen Zwillinge.

Und man wünscht sich, die Geschichte würde so weitergehen, wie Boenfeld vorschlägt: Man solle doch die Rollen tauschen, "Tapetenwechsel", nur vorübergehend, "Urlaub vom Leben!" Ja, Tukur als Murot, und Tukur als Boenfeld, mehr davon, bitte.

Murot taucht in ein neues Leben ein

Stattdessen endet die Nacht allerdings mit Boenfelds Tod: Während Murot in dessen Garten eingeschlafen ist, schleicht sich der Autohändler in der Kleidung seines Gastes davon. Und wird auf der Landstrasse überfahren. Absichtlich.

Und so erfüllt Murot dem toten Mann gewissermassen seinen letzten Wunsch, den vom vertauschten Leben. Aus ermittlungstaktischen Gründen, sagt er sich und später auch seiner entsetzten Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp).

Auch Ehepflichten werden übernommen

Er habe Angst vor seiner Frau, hatte Boenfeld dem Kommissar noch erzählt, er glaube, sie wolle ihn vergiften: "Ich esse nur noch auswärts."

Während der Tote für Kommissar Murot aus Wiesbaden gehalten wird, kann der lebende Murot sich erst ins Haus und dann ins Ehebett der schönen Monika Boenfeld (Anne Ratte-Polle) schleichen.

Er lernt das befreundete und befremdliche Nachbars-Ehepaar Lessing kennen und Boenfelds sauertöpfischen Assistenten Robert. Und er muss erkennen, dass er als Autoverkäufer wenig taugt, aber grosses Talent zum romantischen Ehemann besitzt. Und so wird Murot als Boenfeld immer lebendiger.

Unterhaltsame Tragikomödie

"Die Ferien des Monsieur Murot" ist natürlich kein ernstzunehmender Kriminalfall. Auch mit der französischen Komödie "Die Ferien des Monsieur Hulot" hat er wenig Ähnlichkeit. Cineastische Anspielungen gehören inzwischen ja zum guten Ton der Murot-"Tatorte".

Hier trägt Murot wie Hulot einen hellen Ferienanzug mit Hut. Und der Aufschlag, den er beim Tennis mit den Lessings verwendet, ist eine direkte Anspielung auf Monsieurs Hulots albernes Tennisspiel im Film von 1953. Das war's.

Bedeutsamer ist die verspielte Urlaubsatmosphäre, die in Jacques Tatis Filmklassiker herrscht, sind die Ausnahmesituationen, in denen sich sein Held verheddert. Aber der erste "Tatort" von Regisseur Grzegorz Muskala, der zusammen mit Ben Braeunlich auch das Drehbuch schrieb, ist eher Tragikomödie als Slapstickfest.

Die Ferien des Kommissar Murot werden tatsächlich "Urlaub vom Leben", wenn auch nicht ganz so, wie Boenfeld sich das vorgestellt hatte.

Murot auf der Suche nach sich selbst

Sie sind ein weiterer Selbstversuch, dem sich Felix Murot aussetzt, dieser Mann, der immer ganz er selbst zu sein scheint, aber anscheinend nie er selbst sein will. In der Hinsicht ist der Film eher eine Variante des "talentierten Mister Ripley": Der Titelheld in Patricia Highsmiths ebenfalls verfilmtem Krimi schlüpft, nachdem er in einem italienischen Urlaubsort einen nichtsnutzigen Millionärssohn ermordet hat, in dessen Leben - nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem, weil er lieber ein anderer sein will.

Auch Murot ist ein Melancholiker. Ein Mann, den einst ein Tumor prägte und der so gerne mit dem Tode spielt, der Erfahrungen mit Halluzinationen und Inkognito-Ermittlungen hat, und den so offensichtlich die Einsamkeit beschäftigt und die Sehnsucht treibt, dass der Titel eines früheren Falles die Frage aller Fälle sein könnte: Wer bin ich? "Die Ferien des Monsieur Murot" gibt darauf eine Antwort. Aber nur eine von vielen.

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