Die Schweiz hat ihr neues "Tatort"-Team vorgestellt. In ihrem ersten Fall stossen die Kommissarinnen auf einen dunklen Fleck in der Geschichte Zürichs. Wir liefern Hintergründe zu den Jugendunruhen von 1980, die die Stadt nachhaltig verändert haben.
Wer spielt die neue Kommissarin Isabelle Grandjean?
Anna Pieri Zuercher kam 1979 in Bern als Tochter einer Italienerin und eines Deutsch-Schweizers auf die Welt, ihre Muttersprache ist wie die von Kommissarin Grandjean Französisch, auch Italienisch spricht sie fliessend. Sie ist ausgebildete Pianistin und Schauspielerin und stand auf zahlreichen internationalen Theaterbühnen. 2019 erhielt sie für ihre Rolle in "Doppelleben" den Schweizer Fernsehfilmpreis für die beste weibliche Hauptrolle.
"Tatort"-Zuschauerin sei sie nie gewesen, erzählte
Wer ist die Darstellerin von Tessa Ott?
Die Profilerin Tessa Ott wird von
Eine Dauerrolle als Kommissarin widerspräche eigentlich ihrem Naturell, hat Schuler in Interviews immer wieder betont: "Ehrlich gesagt, der 'Tatort' gehörte bisher nicht zu meinen Traumrollen", sagte sie 2018 dem Schweizer Newsportal "bluewin.ch", "ich hatte immer das Gefühl, da müsse man ständig das Gleiche spielen, immer die gleichen Fragen stellen. Mittlerweile bringen sie aber auch persönliche Konflikte in den Geschichten unter und das finde ich interessant." Die Figur der rebellischen Tessa Ott dürfte Carol Schuler die Entscheidung nicht nur aus finanziellen Gründen leichter gemacht haben. Auch ihre Nebenbeschäftigung als Sängerin konnte Schuler bereits in der ersten Folge einbringen.
Wer gehört noch zum Team des Zürcher "Tatort"?
Die dritte Ermittlerin ist die ehrgeizige Staatsanwältin Anita Wegenast, gespielt von Rachel Braunschweig. Sie kommt ebenfalls vom Theater und wurde 1968 in Zürich geboren.
Alle drei Frauenfiguren wurden von den Schweizer Autoren Stefan Brunner und Lorenz Langenegger entwickelt, die auch die Bücher für die beiden ersten Fälle des Zürcher Teams schrieben. Die beiden arbeiten seit 2016 gemeinsam für den "Tatort" und verfassten mehrere Drehbücher für die Luzerner Kommissare. Von Brunner stammt ausserdem die Vorlage für die erste österreichische Netflix-Serie "Freud".
Regie führte Viviane Andereggen. Die 1985 geborene Schweizer Filmemacherin studierte unter anderem bei Wim Wenders in Hamburg und arbeitete auch als freie Fotografin und Videokünstlerin am Theater. Für ZDF und Arte drehte sie 2018 den mehrfach preisgekrönten Kriminalfilm "Rufmord".
"Im neuen Zürcher 'Tatort' suchen wir nicht in erster Linie Realismus und Authentizität", sagt Urs Fitze vom SRF, "sondern wollen dem fiktionalen Erzählen viel Platz geben. Eine lustvolle Überhöhung soll den 'Tatort' aus Zürich prägen."
Die ersten beiden Fälle wurden hintereinander, zum Teil parallel gedreht, ein kostensparendes Verfahren, das der SRF beibehalten will. Die zweite Zürcher Episode "Schoggiläbe" ("Schokoladenleben") soll im Frühjahr 2021 ausgestrahlt werden und handelt vom Mord an einem Schokoladenfabrikanten. Dafür muss Tessa Ott zurück in das Edel-Zürich, in dem sie aufgewachsen und aus dem sie geflüchtet ist.
Worauf bezieht sich der Titel der Folge?
Auf den Film "Züri brännt", der 1980 die Jugendunruhen in Zürich festhielt. Ausschnitte sind am Anfang des "Tatort" zu sehen, wenn bewegte Strassenszenen mit den gegenwärtigen Zürcher Schauplätzen gegengeschnitten werden, durch die Kommissarin Ott mit dem Fahrrad fährt.
Die gewaltsamen Proteste entbrannten, als der Zürcher Stadtrat im Mai 1980 mehr als 60 Millionen Franken für die Renovierung des Opernhauses genehmigte, die Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum (AJZ) aber ablehnte. Den Slogan kennen alle Schweizer, bis heute wird er zitiert, wann immer es um Aufbegehren gegen das Establishment geht: "Die Zürcher Bewegung sagte sich los von den Zwängen des zwinglianischen Zürichs und forderte Leben, Raum, Geld, Alles und subito! Die Bewegung setzte ein beträchtliches kreatives Potential frei und hat Zürich tiefgreifend verändert. In der heutigen multikulturellen und event-orientierten Stadt kann man sich dies fast nicht mehr vorstellen", so die "Neue Zürcher Zeitung" in einem Artikel 2017.
Der Film ist ein Gemeinschaftswerk von Videoladen, einer Produktionsgesellschaft, die 1976 als Genossenschaft von politisch aktiven Filmemachern gegründet wurde. Es ging den Machern nicht um eine neutrale Dokumentation der Ereignisse, sondern sympathisierende Parteinahme, was den Film selbst zu einem Meilenstein der politischen Videofilme der siebziger und achtziger Jahre machte.
Gibt es die Punksängerin Barbara Dietschi wirklich?
Nein, Barbara Dietschi ist fiktiv und wird von der Schweizer Theaterschauspielerin Karin Pfammatter gespielt. Aber es gab tatsächlich eine Punksängerin, die für die Zürcher Proteste eine wichtige Bedeutung hatte: "Züri brännt" war 1979 die erste Single der Punkband TNT, gesungen von der damals erst 14-jährigen Sara Schär. Das Lied wurde zum Slogan der Bewegung und gab auch dem Videofilm seinen Namen. "Züri brännt" gehört bis heute zu den bekanntesten Schweizer Punksongs. Andere Bands hätten sich aber viel stärker für das geforderte Jugendzentrum engagiert, sagte Sara Schär kürzlich in einem Radiointerview zum 40-jährigen Jubiläum der Proteste. Der Song sei eher zufällig zur Hymne geworden: "Er hat eine Kraft, aber als Musikstück finde ich ihn jetzt nicht so wahnsinnig."
Barbara Dietschis Konzert im "Tatort" findet übrigens in der Roten Fabrik statt. Das inzwischen denkmalgeschützte Bürogebäude einer Seidenweberei wurde als Reaktion auf die Jugendproteste im Oktober 1980 in ein Kulturzentrum umgewandelt.
Von wem stammt die Musik im "Tatort"?
Zum ausgesprochenen Schweizer Charakter, den der neue "Tatort" pflegt, gehört auch die Musikauswahl, die zwei auf Schweizerdeutsch gesungene Chansons des Liedermachers Manni Matter im Mittelpunkt hat. Der 1936 geborene Matter war im Hauptberuf ein erfolgreicher Jurist, zu seinen Förderern als Musiker gehörte der berühmte Schweizer Kabarettist Emil Steinberger. Gerade als Matter begonnen hatte, auch Solokonzerte zu geben, kam er 1971 auf dem Weg zu einem Auftritt bei einem Autounfall ums Leben.
Viele seiner Lieder sind Schweizer Volksgut geworden und vielfach interpretiert worden – der "Tatort" vermittelt davon einen Eindruck: Barbara Dietschi verwandelt "Dene wos guet geit" in einen wütenden Punksong. Als Kommissarin Ott am Ende der Folge eines von Matters bekanntesten Liedern singt, klingt es zwar nach wie vor wie ein Kinderlied, seine Subversivität wird aber im Kontext von "Züri brännt" ganz deutlich.
Darstellerin Carol Schuler ist ein Fan von Manni Matter: "Für mich ist er der grösste Liedermacher der Schweiz!", erzählte sie dem "Tagblatt", "'I han es Zündhölzli azündt' zu singen, war ein spontaner Einfall von mir, der nicht im Drehbuch stand. Ich sagte zur Regisseurin Viviane Andereggen: Gib mir fünf Minuten, dann hab ich’s auswendig. Ich freue mich deshalb umso mehr, dass es die Szene in den Film geschafft hat. Ein schönes Statement, auch an unsere deutschen Fernsehzuschauer. Der Song wird ja nicht synchronisiert."
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