Die vielen Geheimnisse einer Leiche: Was verschweigt Rechtsmediziner Vogt den Kommissaren im Stuttgarter "Tatort: Vergebung"?
Für Rechtsmediziner Daniel Vogt erzählt jede Leiche eine Geschichte. Meistens kann der Körper ihm erzählen, wann der Mensch gestorben ist und woran. Manchmal erzählt die Leiche noch mehr. Ob sie zu Lebzeiten getrunken hat, krank war, in ihrer Jugend vielleicht einen Sportunfall hatte. Über den Menschen, dessen Körper dieses Mal auf seinem Tisch liegt, weiss Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) noch viel mehr. Matthias Döbele war ein Freund.
Ihn, Matthias und den Schulkameraden Julius verband eine Freundschaft, wie sie eigentlich nur in jungen Jahren entstehen und strahlen kann: Eine Freundschaft, die den eigenen, verwirrenden, intensiven Gefühlen und Gedanken einen Spiegel und ein Ventil gibt. Eine Freundschaft, die bedeutet, alles zu teilen und dabei immer reicher zu werden. Die einen Weg, einen Platz und eine Heimat gibt, ohne zu beengen.
Rückblenden zeigen Daniel Vogts Erinnerungen an heisse Sommertage: drei schlaksige Jungs am Fluss, geteilte Musik über den Walkman, offenbarte Geheimnisse beim Flaschendrehen. Nur wenige Szenen genügen, um das Bild einer ganz besonderen Freundschaft zu malen. "Verderben" erzählt von dieser Freundschaft – und wie es zu ihrem Ende kam. Das war lange, bevor Matthias Döbele tot aus dem Neckar geborgen wurde.
Sandra spielte in jenem Sommer eine tragische Rolle
Während die Kommissare Sebastian Bootz (
Erst als Döbeles Witwe in die Rechtsmedizin kommt, um ihren Mann zu identifizieren, muss der Mediziner den Kommissaren Rede und Antwort stehen. Sandra Döbele (Ulrike C. Tscharre) begrüsst Daniel Vogt als einen alten Bekannten. Beide sind sichtlich verkrampft. Schnell ist klar, dass auch Sandra in jenem tragischen Sommer eine tragende Rolle spielte.
"Vergebung" erzählt eine spannende Geschichte, die das Ende der Jugend mit dem Ende eines Lebens zu einem berührenden Kriminalfall verknüpft. Erinnerungsarbeit und polizeiliche Ermittlungen sind Spurensuchen, die parallel inszeniert sind und sich allmählich wie ein Zopf verknüpfen.
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Der Schlüssel zur Aufklärung des Falles liegt in Vogts Vergangenheit
Es ist so überraschend wie konsequent, dass das durchdachte Drehbuch von Katharina Adler und Co-Autor und Regisseur Rudi Gaul die falschen Fährten fürs Publikum durch Vogts Erinnerungen legt. Als seien diese die eigentliche Ermittlungsarbeit und nicht die Spuren, die Bootz und Lannert verfolgen. Und in gewisser Weise sind sie das tatsächlich: Der Schlüssel zur Aufklärung des Falles liegt in Daniel Vogts Vergangenheit.
Jürgen Hartmann, auf dessen Idee das Drehbuch beruht, liefert eine überzeugende Leistung als tief getroffener Mann, für den die Leiche dieses Mal nicht nur Teil seines Berufes ist, sondern seiner Identität. "Warum sucht der Vogt die Wahrheit im Leichenkeller?" habe er sich gefragt, so Hartmann gegenüber dem Nachrichtenportal osthessen-news.de, und sich eine Geschichte ausgedacht, die darauf eine Antwort zu geben versucht.
"Vergebung" ist nicht der spannendste Tatort aus Stuttgart
Der Rechtsmediziner ist kein heilender Arzt, aber zu Beginn von "Vergebung" erklärt Daniel Vogt einem kleinen Jungen, wie sein Beruf den Menschen diene: Die Ursache des Todes zu kennen, helfe den Überlebenden. Davon erzählt "Vergebung", aber auch davon, wie schwer man daran tragen kann, wenn man die Ursachen kennt. Und welche Konsequenzen das mitunter hat.
Durch Stefan Sommers Kamera darf – oder muss - das Publikum miterleben, wie nahe Vogt diese Leiche und ihre Untersuchung geht: das Skalpell dicht über der Haut, die Säge erbarmungslos am Schädel. Genauso unmittelbar und so poetisch, wie es auch die lebensfrohen Szenen des vergangenen Sommers waren. Oder die Aufnahmen unter Wasser, vom Versinken des Körpers: ein Untergehen, fast wie ein Tanz.
"Vergebung" ist vielleicht nicht der spannendste "Tatort" aus Stuttgart, aber was ihm an Tempo und Dramatik abgeht, machen diese Bilder, machen seine Kunstfertigkeit und emotionale Tiefe allemal wett.
Verwendete Quellen:
- osthessen-news.de: Festspiel-Schauspieler Jürgen Hartmann: Der wandelbare Mime
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