Die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten, "Squid Game", ist nach drei Jahren zurück. Spieler 456 will endlich den grausamen Wettkampf beenden. Das Ergebnis ist noch blutiger und grimmiger als die erste Staffel.
In den ersten Folgen der zweiten Staffel von "Squid Game" gibt es eine Szene, die klarmacht, dass sich am grimmigen Ton der Serie wenig geändert hat. Der Recruiter, der die Kandidaten auswählt, hat zwei Männer gefesselt und geknebelt. Sie sitzen sich auf Stühlen gegenüber und spielen "Schnick, Schnack, Schnuck". In ihren Mündern stecken Knebel, die Arme sind an den Körper gefesselt, sie können nur die Hände bewegen. Nach jeder Runde hält der Recruiter dem Verlierer eine Schusswaffe an den Kopf und drückt ab - eine besonders grausame Variante von Russisch Roulette. Je weiter das Spiel voranschreitet, desto mehr schwitzen die beiden Männer, sie zittern, heulen und schreien. Als Zuschauer sitzt man da und fühlt sich immer unwohler. Bis das Spiel vorbei ist. Endgültig.
Keine andere Serie von Netflix dürfte mit so grosser Spannung erwartet worden sein, wie die neue Staffel von "Squid Game". 2021 war die koreanische Produktion ein absoluter Überraschungserfolg: 142 Millionen Abrufe in den ersten vier Wochen, das bis heute meistgestreamte Format auf Netflix. Die Serie erhielt zahlreiche Preise, darunter sechs Emmys, Lee Jung-jae wurde als erster Asiate mit dem Preis als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet.
Eine Dystopie für die Corona-Zeit
"Squid Game" kam zum perfekten Zeitpunkt. Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie fing die Serie die dystopische Grundstimmung ein, die auf der ganzen Welt herrschte, verband Kapitalismuskritik und Klassenkampf mit Horror, Thriller und den Abgründen der menschlichen Psyche. Auf einer geheimen Insel lässt eine unbekannte Gruppe wohlhabender VIPs verschuldete und hoffnungslose Frauen und Männer in tödlichen Kinderspielen gegeneinander antreten. Wer scheitert, stirbt. Der perverse Nebeneffekt: Jeder Tote erhöht das Preisgeld für den Rest. Am Ende von Staffel eins überlebte nur einer: Spieler 456 (Lee Jung-jae).
Der Hype danach war gross. Menschen verkleideten sich an Halloween als Spieler und Wachen aus "Squid Game", sie zogen die markanten Trainingsanzüge und pinken Overalls über, erschreckten Leute auf der ganzen Welt. Es gab sogar eine umstrittene und kurzlebige Adaption der Serie als Reality-TV-Format. Natürlich ohne tödliches Ende. Regisseur und Drehbuchautor Hwang Dong-hyuk, der die Serie im Alleingang gedreht und geschrieben hatte und sich dabei am Survival-Genre wie in "Tribute von Panem” und "Battle Royale” orientierte, erhielt einen hoch dotierten Vertrag von Netflix.
"Squid Game 2": Hoffnung gibt es schon lange nicht mehr
Zum Start der zweiten Staffel am 26. Dezember startet Netflix nun ein Dauerfeuerwerk an Marketing und Marken-Kooperationen mit Trainingsanzügen, Sneakern, Streetwear, Hautpflege, Whisky und sogar einer "Emergency Pizza". Schon eigenartig für eine Serie, die das Klassensystem in Südkorea und den Kapitalismus an sich kritisiert. Der Qualität von "Squid Game 2" tut das glücklicherweise keinen Abbruch.
Drei Jahre später ist Spieler 456 oder Seong Gi-hun, wie er in seinem sonstigen Leben heisst, unendlich reich, doch er kann das, was er auf der Insel erlebt hat, nicht vergessen. Aus dem freundlichen und hilfsbereiten Charakter der ersten Staffel ist ein verbissener Mann geworden, Gefühlsregungen zeigt er kaum noch, eigentlich nur, wenn er seine Tochter anruft, um kein Wort am Telefon herauszubekommen.
Obsessiv versucht er herauszufinden, wo die nächsten Spiele stattfinden, um sie zu stoppen. Dafür setzt er all sein Geld ein, hat Handlanger angestellt, die ihn unterstützen. Das führt dazu, dass "Squid Game 2" noch düsterer geraten ist, als die erste Staffel. Hoffnung gibt es schon lange keine mehr. Zusammen mit dem Polizisten Hwang Jun-ho (Wi Ha-joon), der am Ende der ersten Staffel von einer Klippe stürzte, schart Gi-hun eine Gruppe um sich, um auf die Insel zu gelangen. Doch das gelingt nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Plötzlich ist Kandidat 456 wieder mittendrin.
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Ja nicht zu viele Spoiler
Viel mehr darf nicht gespoilert werden, Netflix hat die Serie bis zum Start am 26. Dezember mit einer detaillierten Verbots-Liste belegt, die sogar die Titel der neuen Episoden beinhaltet. Was sich über die zweite Staffel sagen lässt, ist, dass es Regisseur Hwang Dong-hyuk wieder gelungen ist, einen Sog zu schaffen, dem sich die Zuschauer nicht entziehen können. Es gibt neue Spiele, neue Charaktere und ein paar Verweise auf das, was in den letzten Jahren die Welt bewegt hat. Eine Kandidatin ist eine trans Frau, eine andere hochschwanger, weitere Teilnehmer fielen auf einen Krypto-Influencer herein. Auch erfahren wir zum ersten Mal mehr über einen der maskierten Wächter und ihre Beweggründe.
Die wichtigen Fragen der ersten Staffel bleiben aber weiterhin offen: Wer steht hinter der Organisation? Wer sind die VIPs? Finden die Spiele auch in anderen Ländern statt? Was ist ihr Ursprung? Und gibt es weitere Gewinner?
Das dürfte daran liegen, dass die dritte und letzte Staffel der Serie bereits für nächstes Jahr bestätigt ist. So fühlt sich "Squid Game 2" mehr wie die erste Hälfte einer zusammenhängenden Season an. Handlungsstränge, die zu Beginn wichtig sind, geraten in Vergessenheit, Hintergründe, warum das alles passiert, spielen keine Rolle.
Ansonsten bleibt "Squid Game 2" dem ursprünglichen Konzept der Serie treu: Es zeigt Menschen, die in einer extremen Situation aufeinandertreffen und unter stetig wachsendem Druck Dinge tun, die sie selbst nie für möglich gehalten hätten. Einige zeigen Stärke und Mitgefühl, andere entdecken tiefe Abgründe. Manche beides.
In seiner Konsequenz ist das düsterer, noch blutiger, hoffnungsloser als die erste Staffel von "Squid Game". Und wahrscheinlich genau das richtige, um am 26. Dezember alle aus der Weihnachtslethargie zu reissen.
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