Die ARD-Doku-Reihe "YouTube changed my life" versetzt frühe deutsche Internet-Stars wie Y-Titty und Dagi Bee zurück in ihre Kinderzimmer, aus denen sie einst sendeten. Und zeigt, wie aus dem grossen Spass ein hartes Geschäft wurde.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Für die YouTube-Stars der ersten Generation wird es gleich zu Beginn der dreiteiligen ARD-Dokumentation sentimental. Das Team des NDR hat die Kinderzimmer von Y-Titty, Ischtar Isik, Coldmirror, den Aussenseitern, Liont und Dagi Bee bis ins Detail nachgebaut. Hier erzählen die Stars, wie vor 20 Jahren alles begann, als sie sich zwischen Bravo-Postern und Kuscheltieren vor eine Kamera setzten, Sketche einstudierten oder einfach ihr Leben abfilmten. Die Bilder dazu sind grobkörnig, dilettantisch – oder wie es heute bei Influencern immer heisst: authentisch. Den Begriff gibt es damals noch nicht, sie sind "YouTuber" in einer Zeit, in der Algorithmen und Aufmerksamkeitsökonomie noch keine Bedeutung haben. Mit Videos im Internet ist noch kein Geld zu verdienen.

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"Youtube changed my life" (in der ARD Mediathek) ist vor allem eine Zeitreise für all jene, die heute Ende 20 oder Anfang 30 sind. Sie sind die Generation, die mit den Anfängen des Internets als Massenmedium aufgewachsen ist. 2006 etwa, als die YouTuber Y-Titty starteten. Die Dokumentation beleuchtet diese Zeit anhand persönlicher Rückblicke: "Da gab es noch Langeweile", sagt Phil Laude von dem Comedy-Trio im ersten Teil der Doku-Reihe. Dazu sieht man ihn als Teenager mit Justin-Bieber-Frisur, der mit seinen Freunden "Jackass"-Stunts nachspielt und sich dabei filmt. Ischtar Isik hingegen setzt sich einfach vor ihre Kamera und erzählt, was ihr so durch den Kopf geht.

Von Teenagern zu Stars

Die Dokumentation fängt diesen ersten Pioniergeist gut ein, als vor allem Aussenseiter sich das Internet zunutze machten. Diese eint, dass sie auf der Videoplattform Bestätigung und Gemeinschaft finden, was ihnen im realen Leben schwerer fällt. Dazu gibt es viel Archivmaterial, das die YouTuber als Teenager zeigt, die sich über die ersten Follower freuen, bis die Zahlen immer grösser werden. Dass sie selbst Stars sind, fällt Y-Titty und Dagi Bee erst spät auf, als der Ruhm seinen Weg ins reale Leben findet. Auf der Gamescom 2010 treffen die YouTuber in einem kleinen Raum auf Fans – ohne Security, ohne wirkliche Organisation. Während Phil Laude von Y-Titty den Ruhm geniesst, flüchtet Kathrin Fricke, im Internet bekannt als "Coldmirror", durch eine Hintertür aufs Dach. Ein anderer Ausschnitt zeigt Dagmar Nicole Kazakov (Dagi Bee), wie sie in einer Fussgängerzone panisch versucht, einen Massenauflauf von Teenagern auf Abstand zu halten.

Mit der Bekanntheit und den immer grösseren Fan-Scharen wittern Unternehmer das grosse Geld. Einer von ihnen ist Christoph Krachten, der schon 2008 einen YouTube-Kanal startet, in dem er die ersten deutschen Influencer interviewt. 2010 gründet er eine Agentur für sie, Mediakraft, um die Branche zu professionalisieren, die Followerzahl zu erhöhen und die Kanäle zu monetarisieren. In der Doku-Reihe gibt er sich etwas zu selbstgefällig als Innovator, Geburtshelfer und Pionier der ersten deutschen YouTube-Generation. Wortkarg wird er nur, als ihm Dimitri Koslowski ("Die Aussenseiter") vorwirft, er sei bei ihnen mit einer Flasche Wodka aufgelaufen, habe sie betrunken gemacht und dann einen Vertrag ausgepackt. Krachtens Kommentar: "Ich habe das anders in Erinnerung."

Geld oder Freundschaft

Für die Youtuber bedeutet das Geld auch, dass aus Spass ein Beruf wird, aus Freunden werden Geschäftspartner. Darüber zerbricht bei Y-Titty die Freundschaft von Phil Laude und Matthias Roll. Dagi Bee und Liont, die ihre Romanze vor der Kamera zelebriert haben, trennen sich und müssen mit dem Hass ihrer Fans umgehen, die ihnen vorwerfen, alles nur inszeniert zu haben. Es folgen Abstürze und psychische Erkrankungen, die Blase des perfekten YouTube-Bildes platzt.

Auch wenn das alles sehr dramatisch klingt, überwiegen in der Doku-Reihe die positiven Aspekte. Die meisten dieser ersten YouTube-Generation sind noch immer dabei, die, die sich dagegen entschieden haben, wirken zufrieden mit ihrem Leben. Insgesamt wirft die ARD-Produktion einen zu engen Blick auf diese Zeit. Die Zahl der zu Wort kommenden Stimmen jenseits der Protagonisten ist begrenzt. Weder Fans noch Zeitgenossen oder Kritiker von Social Media kommen umfassend zu Wort. Stattdessen scheint die Podcasterin Gizem Çelik vom jungen Netzwerk "funk" die verschiedenen externen Perspektiven allein abdecken zu müssen.

"Youtube changed my life" ist mehr ein kurzweiliger Abstecher in eine Zeit, die noch gar nicht so lange her ist. Heute ist YouTube komplett durchkommerzialisiert, Content Creator produzieren zusammen mit Agenturen Inhalte am Fliessband – hochprofessionell, egal, ob es sich um Comedy oder Mental-Health-Themen handelt. Hauptsache perfekt. Am Ende der ARD-Doku sitzen Y-Titty Arm in Arm auf einer Bank vor einem zugefrorenen See. Da ist sie wieder, die heile YouTube-Welt. Diesmal im Fernsehen.

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