Das Spielen an Computer, Tablet, Spielekonsole oder Smartphone fesselt viele Kinder - oft so stark, dass die Eltern verzweifeln. Wie und wann Computerspielsucht droht und was man dagegen tun kann, erklärt Psychologe Dr. Klaus Wölfling, der die erste Ambulanz für Spielsucht in Deutschland ins Leben rief.
Der Fall einer neunjährigen Grundschülerin aus England, die lieber in die Hose machte, als ihr Computerspiel kurz zu unterbrechen, sorgte jüngst für Kopfschütteln.
Dass es sich bei dem Mädchen um keinen Einzelfall handelt, spiegelt der neue Krankheiten-Katalog der Weltgesundheitsorganisation WHO wider: Exzessives Computer- und Videospielen gilt seit Juni 2018 offiziell als Krankheit.
Dr. Klaus Wölfling, psychologischer Leiter der Spielsucht-Ambulanz an der Klinik für Psychosomatische Medizin der Uni Mainz, hat bereits mehr als 250 Kinder und Jugendliche mit Onlinespielsucht diagnostiziert und behandelt. "Wenn eine manifeste Sucht vorhanden ist, dann ist es nicht ungewöhnlich, dass körperliche Bedürfnisse vernachlässigt werden, da ein Kontrollverlust eintritt", erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion.
So erkennen Sie, ob Ihr Kind schon abhängig ist
Psychologen nutzen einen Katalog mit neun Kriterien, um zu erkennen, ob ein Kind spielsüchtig ist. "Dabei geht es um Dinge wie den Verlust von Hobbys und Kontakten, um häufige Fehlzeiten in der Schule bis hin zur Schulverweigerung sowie nachlassende Leistung, ob und welche Entzugserscheinungen bei Verzicht auftreten, um Lügen über das tatsächliche Ausmass und Streit mit den Eltern", zählt Dr. Wölfling auf.
Süchtige Computerspieler müssten ausserdem ständig an das Computerspiel denken, auch in ganz alltäglichen Situationen, wie beim Essen oder bei Freunden. Treffen fünf oder mehr Faktoren zu, dann sei die Grenze vom Spass zur Sucht überschritten.
Professionelle Hilfe ist dann in Form von Verhaltenstherapie zu empfehlen. In Deutschland gibt es mittlerweile circa 15 Spielsucht-Ambulanzen und etliche Suchtberatungsstellen.
Klare Grenzen setzen und konsequent einhalten
Dass es nicht so weit kommt, liegt nach Ansicht des Mainzer Psychologen in der Hand der Eltern - "Medienkompetenz ist Erziehungsaufgabe".
"Wir raten zu einem zeitlich begrenzten Medienkonsum, bei dem eine gewisse Aufsicht vorhanden ist, damit sich bei Kindern eine Steuerungsfähigkeit über das eigene Verhalten ausbilden kann. Diese ist nämlich bis zum Alter von 15 Jahren nicht da."
Dazu sei es notwendig, klare Grenzen zu setzen und diese auch konsequent einzuhalten. Die gemeinsam ausgemachten Zeiten müssten exakt eingehalten werden, so dass sich ein eigenständiger Umgang mit dem Ende des Spiels etablieren könne.
"Im Extremfall kann das für Eltern auch heissen ein, Shutdown-Programm zu installieren oder via Rooter das Internet zeitweise zu sperren", meint Wölfling, der sich aber ausdrücklich als Gegner von Verboten bezeichnet.
Wie schwierig diese Erziehungsaufgabe für Eltern ist, zeigt eine Studie der DAK-Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen. Von 1.000 befragten Müttern und Vätern gaben 51 Prozent an, keine Regeln dafür zu haben, wie lange ihr Kind das Internet nutzen dürfe. Auch wenn es Regeln gab, wurden diese nur von 42 Prozent der befragten Eltern "voll und ganz" umgesetzt.
So gefährlich sind Rollenspiele
Die Gefahr, in eine Abhängigkeit zu rutschen, besteht nach Erfahrung des Psychologen besonders für ängstliche und introvertierte Kinder, vor allem Jungs, "die nicht so gut Anschluss finden".
In schwierigen Situationen wie Mobbing würden sie häufig Kompensation in Online-Spielen suchen - und auch finden, "denn dort gibt es schnell Bestätigung und Freunde". Erhöhtes Suchtpotential haben Wölfling zufolge nicht Killerspiele, sondern Strategie- und Online-Rollenspiele.
"Sobald es um Kooperationen geht, verstärkt sich der soziale Aspekt. Wird etwas geschafft, gibt es eine Belohnungszufuhr, die die Psyche wiederholen will. Die Anerkennung der anderen Spieler verstärkt dieses Ereignis nochmal."
Besorgte Eltern sollten wissen, dass das kindliche Verhalten im Vergleich zu dem von Erwachsenen relativ schnell geändert werden könne. Und wenn ein Teenager computerspielsüchtig sei, dann heisse das noch lange nicht, dass er für andere Süchte im Erwachsenenleben empfänglich ist.
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