Mit "Minecraft Dungeons" wagen sich Mojang und Microsoft in seichte "Diablo"-Gefilde. Anstelle von Kreativität und Schaffensdrang regiert in dem kantigen Scharmützel das Pixelschwert.

Eine Kritik
von Robert Bannert

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Als der schwedische Game-Designer Markus "Notch" Persson vor mehr als zehn Jahren mit seinem Indie-Game "Minecraft" durchstartete, hatten die spartanische Bauklotz-Optik und der kreative Mitmach-Faktor vor allem einen Grund: Umsetzbarkeit. Das frühe, mit Java programmierte "Minecraft" wurde von einer einzigen Person entwickelt - und das ist einfach nicht genug Manpower, um ein umfangreiches Open-World-Game zu entwickeln. Die Lösung: Die Spieler sollen die Arbeit selber machen - und zwar mithilfe eines einfachen technischen Grundgerüsts.

Der Rest ist Gaming-Geschichte: Im Jahr 2020 gehört Mojang zum Microsoft-Konzern, "Minecraft" hat wie kaum ein anderes Spiel die gesamte Branche geprägt und "Notch" hat sich in einer luxuriösen Milliardärs-Villa verschanzt, von wo aus er die Welt nicht mehr mit Spielen, sondern mit teils kruden Tweets versorgt.

Inzwischen hat die einst von ihm ins Leben gerufene Kreativ-Community gigantische Prachtbauten erschaffen, die journalistische NGO "Reporter ohne Grenzen" benutzen den digitalen Baukasten sogar für die Errichtung einer virtuellen Bibliothek für Artikel, die in bestimmten Ländern der Zensur zum Opfer gefallen sind.

Allerdings scheint ausgerechnet der Konzern, dem das Klotz-Konstrukt jetzt seit mehr als fünf Jahren gehört, dessen DNA dramatisch anders zu verstehen als seine ursprünglichen Konstrukteure: Microsoft ist wohl der Meinung, dass die Identität der Marke nicht an deren kreative Komponente, sondern vor allem an die Klötzchen-Optik gekoppelt ist. Die ist immerhin so beliebt, dass sie jede Menge Merchandise hervorgebracht und sogar in eine Produkt-Linie aus Lego-Sets verwandelt wurde.

"Minecraft Dungeons": Ab in den Klotz-Kerker!

Nachdem Adventure-Spezialist Telltale bereits mehrere simple Abenteuerspielchen im beliebten Klötzchen-Kosmos der Schweden angesiedelt und Netflix ihm eine interaktive Animations-Serie gewidmet hat, wird jetzt ein Action-Rollenspiel draus: "Minecraft Dungeons" macht aus dem Do-it-yourself-Hit eine Beute- und Punktejagd im Stile von "Diablo".

Allerdings ist der Klopp- und Klick-Exkurs inmitten klobiger Fantasy-Wälder und kantiger Wüstenlandschaften wesentlich simpler und direkter als das Vorbild von Blizzard: Wer in der "Minecraft"-Welt per Controller-Kommando oder Mausklick Skelette, Riesenspinnen, Creeper, Ravager und Illager verkloppt, der darf seine Waffen aufmotzen und zwischen einer überschaubaren Skill-Palette wählen.

Ein Held ohne Eigenschaften

Wild wuchernde Fertigkeiten-Bäume gibt es in "Dungeons" dagegen ebenso wenig wie Charakter-Klassen oder andere, für Action-Rollenspiele sonst typische Möglichkeiten zum Hochleveln des eigenen Avatars. Auch Spielwelt und Missions-Aufbau geben sich vergleichsweise schlicht: Nachdem sich der Held in seinem Camp für eine von zahlreichen Missionen entschieden hat, keilt und schiesst er sich durch ein meist geradliniges Terrain, während ihm die Feinde bei Blickkontakt sofort so dicht auf die Pelle rücken, als wäre sein Avatar magnetisch geladen.

Anfangs gibt sich "Minecraft Dungeons" noch überraschend zahm, aber nach einigen Missionen werden die Gegner-Trauben so gross und hartnäckig, dass man sich schon etwas genauer überlegen muss, welche Waffe man zückt und mit was für einem zusätzlichen Kampf-Effekt man sie belegt.

Etwas besser funktioniert das übrigens, wenn man sich mit bis zu drei Multiplayer-Kumpels online, lokal sowie im lokalen Netzwerk (nicht mischbar) ins Getümmel wirft: Das "Minecraft"-Rollenspiel lässt sich zwar auch alleine bestreiten, aber die Spielbalance scheint eher aufs Miteinander als aufs Einzelspiel ausgelegt.

Hübsch unkreativ

Die beim tatsächlichen "Minecraft" entliehene und aus verschieden texturierten Kisten konstruierte Spiel-Ästhetik wurde so geschickt mit zeitgemässen Effekten veredelt, dass "Dungeons" trotz reduziertem Grafikstil ein erstaunlich hübsches Scharmützel abgibt.

Dennoch: Wer schon dem kargen Retro-Stil des Originals nichts abgewinnen konnte, der wird auch auf diesem Nebenschauplatz der "Minecraft"-Marke nicht glücklich - selbst dann nicht, wenn er "Diablo" mag. Ausgesprochene "Minecraft"-Fans dagegen wundern sich darüber, dass Microsoft das eigentliche Herzstück von "Minecraft" - nämlich die Kreativität seiner Spieler - konsequent ignoriert.

Wer darauf hoffte, dass Schlachten hier mit der Möglichkeit gepaart werden, eigene Siedlungen oder Trutzburgen aufzuschichten, der wird enttäuscht. Am Ende ist "Minecraft Dungeons" nicht mehr als eine Art "Diablo Superlight", mit dem vor allem Nachwuchs-Gamer glücklich werden, die mit der "Minecraft"-Ästhetik aufgewachsen sind.

Für gerade mal 20 Euro ist "Minecraft Dungeons" aber trotz seiner Schwächen ein solider Deal - zumal es den Ausflug nach Klotzkopf-Hausen nicht nur für PC und Xbox, sondern auch für PS4 und Nintendo Switch gibt.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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