Wenn Steam-Betreiber Valve ein neues, in Eigenregie entwickeltes Spiel veröffentlicht, kann man sich fast immer sicher sein, dass etwas Grosses dabei rauskommt. Schnellschüsse kennt das im Washingtoner Bellevue ansässige Studio nicht: Anstatt am Fliessband zu produzieren, entwickelt und veröffentlicht man nur, wenn die Zeit reif ist - und man sicher ist, einen sogenannten "Game-Changer" in petto zu haben.
Die ersten beiden "Half-Life"-Spiele waren solche "Game-Changer" - auch das 2007 erstmals veröffentlichte und im selben Universum angesiedelte Knobel-Abenteuer "Portal" war einer. Jetzt kehrt Valve zum ersten Mal nach über einem Jahrzehnt in den populären Spielekosmos der Ego-Shooter-Reihe zurück - und liefert gleichzeitig einen triftigen Grund, mit der Anschaffung neuer, leistungsstarker PC-Hardware zu liebäugeln. Denn: "Hal-Life: Alyx" - benannt nach der bereits aus "Half-Life 2" bekannten Rebellin Alyx Vance - ist ein VR-exklusiver Shooter, optimiert für teure Headsets wie Valves eigene "Index"-Brille, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Firma entwickelte HTC Vive, Oculus Rift und einige andere, weniger namhafte Headsets.
Nicht unterstützt werden indes portable Oculus-Modelle wie "Go" oder "Quest", die ohne stationären Rechner auskommen und deren System-eigene Performance für das Effekt-geladene "Half-Life"-Abenteuer zu schwach sind.
Zurück in City 17
Wie erwartet hat es sich Valve zur Aufgabe gemacht, genau die VR-"Killerapplikation" auf die Beine zu stellen, die das Medium schon zum Start gebraucht hätte. In "Alyx" begleitet der Spieler die Titel-Heldin durch die Geschehnisse zwischen Teil 1 und 2 des Kult-Shooters: Vor der ersten Begegnung mit dem heldenhaften Brillenträger Gordon Freeman will die nicht weniger wehrhafte Dame ihren von den Combine-Aliens entführten Vater befreien. Diesem Abenteuer stellt sie sich nicht ganz alleine: Kumpel Russell, vertont vom Schauspieler Rhys Darby, begleitet sie per Funksignal.
Alyx kämpft sich mit viel Feuerkraft und Grips durch die Industrie-Slums der dystopischen "City 17". Die im Stil heruntergekommener Sowjet-Städte gehaltene Sci-Fi-Kulisse ist deprimierend wie eh und je - aber vor allem ist sie mit Combine-treuen System-Handlangern, Rätseln und natürlich den gefürchteten "Kopf-Krabben" gespickt: ekligen, Giger-inspirierten Alien-Parasiten, die es sich auf den Schädeln ihrer Opfer bequem machen, um sie dann in Willenlose zu verwandeln.
Weil die aus "Half-Life 2" bekannte Gravitations-Knarre zum Zeitpunkt des Spielgeschehens noch nicht erfunden ist, verlässt sich Heldin Alyx auf einen etwas schwächeren und experimentellen Vorläufer der Allzweckwaffe: Die Gravity-Gloves oder "Gravitations-Handschuhe" erlauben Jedi-ähnliche Tricks - das heisst, der Spieler kann ein Gros des Level-Interieurs zu sich heranziehen und dann physikalisch halbwegs korrekt wieder wegschleudern. All zu schwer dürfen derart manipulierte Objekte allerdings nicht sein: Knarren, Munition und Kisten gehen Ordnung - tonnenschwere Container nicht. Der Einsatz der Hände ist generell der wichtigste Punkt der Interaktion mit der virtuellen Umwelt: egal, ob man sie hochreisst, um sich Soldaten zu ergeben, sich den Mund in einer giftigen Umgebung zuhält oder nach einem Magazin greift, dieses zum Nachladen in die Pistole steckt und den Spannhebel betätigt.
Für die Inszenierung seiner Shooter-Mechanismen hat sich Valve auf bekannte Genre-Konventionen verlassen: Alyx kämpft sich wie in einem klassischen Shooter durch Korridore, verschwenderisch dekorierte, postapokalyptische Hallen oder enge Tunnels - ausserdem darf sie bei dichtem Kugelhagel in Deckung gehen, um sich keine Bleivergiftung einzufangen.
Wem es bei flottem Shooter-Schritt in VR den Magen verdreht, der darf alternativ den Teleporter-Gang einlegen: Dann läuft Ego-Alyx nicht mehr durch die grösstenteils recht geradlinig angelegten Level, sondern teleportiert sich mehrere Meter weit durchs Terrain. Aber Obacht: Das ist zwar Magen-schonender, erfordert aber gerade im Eifer des Gefechts eine Menge Übung, damit man nicht plötzlich vor einem schwer bewaffneten Gegner auftaucht.
Für dieses Spiel wurde VR gemacht
Natürlich bleibt Alyx nicht so schwach auf der Action-Brust wie zu Spielbeginn: Genetische Neuprogrammierung, um Alyx Kampf-potenter und resistenter zu machen sowie Upgrades für das zwar überschaubare, aber effektive Waffen-Angebot sorgen für Abwechslung und Individualität.
Allerdings sind es weder diese Gameplay-Goodies noch die mit einem interessanten Hinweis auf ein "Half-Life 3" aufwartende Geschichte, die "Alyx" zum Must-Have machen. Es ist die gesamte die Inszenierung, die überzeugt.
Zum ersten Mal liefert ein professionelles Traditionsstudio einen vollwertigen VR-Ego-Shooter auf Blockbuster-Niveau. "Alyx" ist so detailverliebt, so plastisch und so sauber dargestellt, das man sich wirklich vor Ort wähnt. Durch die Luft und im Sonnenlicht wabernde Staubteilchen, hochaufgelöste Gammel-Texturen, das fast rundum greif- sowie verschiebbare Level-Interieur - "Alyx" setzt auf dem VR-Sektor vor allem audiovisuelle Massstäbe. Kurzum: Für dieses Spiel wurde VR gemacht. Ein echter Meilenstein! © 1&1 Mail & Media/teleschau
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