Twitch-User aus aller Welt sind irritiert: Die Streaming-Plattform informierte sie per E-Mail, dass Videos aus ihren Kanälen ohne Vorwarnung gelöscht wurden. Eine Hiobsbotschaft für alle, die viel Zeit und Energie in ihren Content stecken.
Doch an einem Detail des Contents lag auch der Grund für die radikale Massnahme: Twitch erklärte, in den Clips der Streamer waren Songs zu hören, die urheberrechtlich geschützt seien. Bemessungsgrundlage war das US-amerikanische Pendant zur deutschen GEMA. Über das US-Urheberrechtsgesetz wacht der DMCA (Digital Millennium Copyright Act). Die Gaming-Webseite "Kotaku" geht davon aus, dass der Schritt von Twitch eine Folge dessen ist, dass das Amazon-Tochterunternehmen von mehreren Plattenfirmen abgemahnt wurde. Es sollen Hunderte von Urheberrechtsbeschwerden eingegangen sein.
Die Kritik der Streamer: Zum einen bezweifeln viele, ob ein Verstoss gegen das Urheberrechtsgesetz tatsächlich vorlag. Zum anderen fühlen sie sich übergangen, weil sie angeblich völlig überrumpelt wurden und erst im Nachhinein von der Aktion erfuhren. Das ist so aber nicht ganz korrekt. Bereits im Juni wurden Streamer darüber informiert, dass Twitch sich mit vielen Beschwerden über die unerlaubte Verwendung von Musikstücken konfrontiert sehen würde. Erste Sperrungen von Kanälen waren die Folge. Insofern ist das Löschen von einzelnen Videos eigentlich der weniger radikale Schritt, denn der Channel selbst bleibt für die Zuschauer sichtbar.
Twitch selbst stellt den Vorgang nicht als Affront dar. Vielmehr wirkt es zwischen den Zeilen so, als sollten die User eher froh sein, dass sie keine juristischen Folgen befürchten müssen. Man sei sich "bewusst, dass die Streamer in diesen Fällen keine Chance auf eine Gegendarstellung haben", formulierte eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage von "Der Spiegel". "Deswegen betrachten wir das als einmalige Warnung."
Ein digitales Blutbad?
Die Reaktionen der Streamer reichen dennoch von Resignation bis zu blankem Entsetzen. Manche fürchten um ihr digitales "Lebenswerk". Besonders martialisch formuliert es eSports-Experte Rod Breslau, der in einem Tweet schreibt: "Das Twitch/DMCA-Blutbad hat begonnen." Twitch-User würden nun den gleichen "altmodischen Wahnsinn der Musikindustrie-Plattenfirmen" erleben, mit dem sich YouTuber bereits seit Jahren herumschlagen müssten. Allerdings würde Twitch "einen noch schlechteren Job für die Streamer machen als YouTube". Er argumentiert, viele Musiker seien selbst Streamer und YouTuber und würden sich mit den Erschaffern von kreativem Content stärker identifizieren als mit "den Anzügen" - womit Anwälte und Vertreter der Musikindustrie gemeint sind.
Die Streamerin Cahlaween beklagt, dass Twitch die Betroffenen nicht darüber informiert habe, was genau gelöscht wurde und somit verhindere, für die Zukunft daraus zu lernen und Fehler dieser Art zu vermeiden. Der Streamer TimTheTatman zeigt sich ratlos und denkt laut darüber nach, alle seine Inhalte zu löschen.
Twitch empfiehlt Auseinandersetzung mit Thema Urheberrecht
In Deutschland macht unter anderem das Let's Play-Team PietSmiet seinem Ärger Luft. Mit den Worten "Das ist kacke" kritisieren sie, dass sie keine Möglichkeit einer Gegendarstellung bekamen. Twitch selbst empfiehlt Streamern, sich stärker mit dem Thema Urheberrecht auseinander zu setzen und für die musikalische Untermalung ihrer Clips das Twitch-eigene Soundtrack-Tool zu verwenden. Mit diesem sei sicher, dass man weder vorsätzlich noch unabsichtlich einen Urheberrechtsverstoss begehen könne.
Bis zum 23. Oktober sollen die Kanal-Betreiber entsprechende Inhalte aktiv selbst löschen, so der Appell von Twitch. Anderenfalls drohe nach drei DMCA-Strikes wie im Sommer die komplette Sperrung des betroffenen Kanals. (tsch) © 1&1 Mail & Media/teleschau
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