- Während das "Cyberpunk 2077"-Debakel in Gamer-Kreisen immer noch nachhallt, bietet sich eine Indie-Alternative an.
- Der PC- und Xbox-Titel, der Cyberpunk-Flair mit "Diablo"-Elementen und Twin-Stick-Shooter-Gameplay vermengt, hinterlässt zum Start jedoch gemischte Gefühle.
- Ein Update brachte Hilfe, aber längst nicht alle Baustellen sind beseitigt, wie der Test zeigt.
"The Ascent" ist ein grell-neon-leuchtendes Beispiel, dass spektakuläre Titel nicht zwingend von grossen Spielestudios kommen müssen. Was den dreckig-futuristischen Titel auszeichnet und warum er zuweilen an den eigenen Ambitionen scheitert, verrät der Test.
Worum geht's in "The Ascent"?
"The Ascent" ist das Erstlingswerk des schwedischen Entwicklers Neon Giant - ein futuristisches Action-Abenteuer, in dem Spieler und Spielerinnen in die Rolle eines Arbeitssklaven schlüpfen, der für den titelgebenden Konzern The Ascent Group schuftet. Dessen Zerfall sorgt allerdings für ein Machtvakuum in einem gewaltigen Megakomplex - und für jede Menge Chaos.
Meist steuert man die individuell erstellte Figur aus einer isometrischen Top-Down-Perspektive alleine oder zusammen mit bis zu drei Freunden durch diese sogenannte Arkologie. Manövriert wird mit dem linken Analogstick, mit dem rechten Analogstick nimmt man allerlei Widersacher aufs Korn.
Twin-Stick-Shooter heisst das Genre, das prominente Vertreter wie "Enter the Gungeon", "Lara Croft: Guardian of Light" oder "Geometry Wars" hervorgebracht hat. Was "The Ascent" jedoch abheben soll, ist die Tatsache, dass es mehrere Genres kreuzt und abseits der Ballereien erlaubt, die eigene Figur über aufgelesene Rüstungen und Waffen sowie über freigeschaltete Talente individuell auszubauen.
Warum sind die Erwartungen an "The Ascent" so gross?
"The Ascent" sorgte vom Moment seiner Ankündigung im Mai 2020 an für Aufsehen. Der Hauptgrund: Die schaurig-schöne Raytracing-Grafik, die sich obendrein mit einem vermeintlich vielseitigen Rollenspielsystem, jeder Menge Loot, einer direkten Twin-Stick-Steuerung und letztlich einem Koop-Modus zu einem potenziellen Kracher zu vermengen schien.
Liebe- und ehrfurchtsvoll wurde das Debüt des schwedischen Indie-Entwicklerteams Neon Gigant im Vorfeld als "Cyberpunk-Diablo" umschrieben. Nicht wenige erwarteten eines der besten Action-Rollenspiele des Jahres, das irgendwie ein Stück weit das "Cyberpunk 2077"-Debakel von CD Projekt Red wieder wettmachen sollte.
Und das Beste: Der Titel wurde von Anfang an als Teil des Xbox Gaming Passes angekündigt - und war somit für PC- und Xbox-Abonnenten kostenlos abrufbar. Für alle anderen kostet er rund 30 Euro.
Werden die Erwartungen erfüllt?
Unstrittig ist die phänomenale Optik. Zumindest auf leistungsstarken PCs und der neuen Xbox-Generation Series X/S - nach einem Microsoft-Update, das über eine Woche auf sich warten liess! Was das kleine Entwicklerteam mithilfe der "Unreal Engine 4" und der Raytracing-Technologie an Licht-, Leucht-, Spiegel- und auch Partikel-Effekten auf den Bildschirm zaubert, ist eine Klasse für sich.
Jeder Schuss, jede Explosion, jeder Einsatz einer Sonderfähigkeit und jeder grelle Casino- oder Kaschemmen-Schriftzug, der von einer Pfütze reflektiert wird, gerät zum kleinen Spektakel. Und unterstreicht das düstere, schmutzige und grelle Cyberpunk-Setting.
Hinzu gesellt sich eine atemberaubende Detailverliebtheit, die selten geworden ist - weil immer mehr Titel auf prozedural erzeugte Welten setzen. "The Ascent" ist jedoch von Hand gebaut. Alles ist in den teils sehr weitläufigen und äusserst belebten Etagen eines futuristischen Megakomplexes genau da, wo es sein soll - die statischen Loot-Kisten inklusive.
Wenig bis nichts wird hier dem Zufall überlassen. Nur so lassen sich eine einzigartige Atmosphäre und beeindruckende Perspektivwechsel erzeugen - etwa, wenn man Treppen und Aufzüge benutzt und einem durch den Panoramablick in die Tiefe die Dimension dieser Arkologie bewusst wird, in der Menschen und Aliens, Arm und Reich, rivalisierende Banden und Konzerne zu Hause sind. Kaum zu glauben, dass das Kernteam von Neon Giant nur aus einem Dutzend Leute besteht.
Woran hakt's (noch) in "The Ascent"?
Letztlich steckt bei "The Ascent" der Teufel im Detail. Die anfänglich spannende Geschichte um einen Lohnsklaven in einem Konzern-Megakomplex, der unverschuldet in einen Machtkampf hineingezogen wird und sich von den Niederungen in die höchsten Etagen kämpfen muss, lässt gegen Ende hin spürbar nach. Vielmehr wird einem Nachfolger der Weg geebnet.
Statt ein Rollenspiel in "Diablo"-Manier zu erwarten, sollte man sich lieber auf ein Top-Down-Geballere (mit Ausweichrolle und Deckungsmöglichkeit) einstellen, das durch sein gewaltiges Waffenarsenal und eine Vielzahl an kybernetischen Fähigkeiten beziehungsweise Items jede Menge Spielarten und so etwas wie eine Spezialisierung zulässt.
Allerdings lässt frische Beute nur selten jubeln. Zufallswerte, Boni für ein bestimmtes Set aus Ausrüstungsgegenständen oder besondere Eigenschaften, wie sie etwa bei "Diablo" und "Borderlands" für ein gewisses Prickeln sorgen, gibt es nicht.
Auch ein echtes Crafting-System fehlt. Stattdessen lassen sich neue Knarren mit Upgrade-Teilen immer nur stufenweise erhöhen. Weil Neufunde aber immer auf dem niedrigsten Level sind, bleibt man oft bei einer bewährten Waffe. Bei Rüstungen greift man in der Regel zu jener mit dem höchsten Widerstandswert, ohne gross zu vergleichen.
Cool hingegen: Das Aussehen der Spielfigur ändert sich deutlich, sodass sie - ganz Cyberpunk - auch mal mit vier Armen oder mechanischen Beinen unterwegs ist.
Vergleichbar zur Waffen-Upgrade-Problematik gestaltet sich der Ausbau spezieller Talente in Form von Items, die von schnöden Betäubungsgranaten über Energieschilde mit Slow-Mo-Funktion, Robo-Spinnen-Begleiter und einem Rucksack-Raketenwerfer bis hin zu einem überdimensionierten Laserstrahl reichen, der selbst mit Bossgegnern kurzen Prozess macht.
Das Zurücksetzen der bereits gesteigerten Skills ist leider so teuer, dass man sich anfangs auch hier einen Spiel- und Stilwechsel zweimal überlegt. Was schade ist, weil sich wirklich jede Waffen und Fähigkeit fantastisch anfühlt. Na ja, fast jede. Die Fähigkeit, verschlossene Türen oder Kisten zu hacken, klingt cooler, als es letztlich ist. Entsprechend dem eigenen Hacking-Level, das sich durch (leicht zu übersehende) Cyberdeck-Upgrades steigern lässt, reicht ein simpler Knopfdruck. Voilà.
Gleichzeitig wird man immer wieder gezwungen, in bereits abgegraste Bereiche zurückzukehren, wo noch ungeöffnete Schlösser warten. Immerhin: Diese werden auf der Übersichtskarte eingezeichnet. Das "Schnellreise"-System ist allerdings nur bedingt hilfreich: Zu grob gesetzt sind die Startpunkte von Zügen und Taxis, zu lang die Fussmärsche und Ladepausen.
Eine nicht immer smart agierende Künstliche Intelligenz, die trotz NPC-Massen geringe Interaktion mit der Umwelt und zahlreiche kleinere wie grössere Bugs stossen ebenfalls sauer auf. Ein erstes Update brachte bereits weniger Crashs und Ruckler, mehr Performance-Stabilität und geringere Ladezeiten. Fixes am Gameplay, an nicht absolvierbaren Nebenmissionen sowie an der nur teilweise integrierten deutschen Übersetzung werden ebenfalls im Changelog des Patches genannt.
Der grösste Aufreger von "The Ascent"
Zum Launch von "The Ascent" war der Koop-Modus für bis zu vier Spieler das grösste Sorgenkind. Der klappt - theoretisch - sowohl lokal als auch online, litt in der Testphase aber unter massiven Bugs, die mitunter einen Neustart des Spiels nötig machten - oder im Nachgang für noch mehr Ärger sorgten, weil nach einer Koop-Session plötzlich die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände gelöscht wurden.
Hinzu kamen diverse Balance-Probleme: Wenn Helden mit unterschiedlichen Stufen gemeinsam unterwegs sind, endet das für die unerfahreneren meist tödlich. Weitere Komfortprobleme: Der Spielefortschritt galt nur für den Host einer Partie, wer danach alleine weiterspielen möchte, wurde deutlich im Spielgeschehen zurückgesetzt. Gesammeltes Loot wurde zudem nur an "aktive" Nutzer verteilt. Wer kurz zuvor im Boss-Gefecht k.o. ging, schaute in die Röhre.
Vor allem gegen Ende hat "The Ascent" ein weiteres Problem. Es scheint fast so, als hätte man Gegneraufkommen und Schwierigkeitsgrad auf mehrere Spieler ausgelegt, Solisten werden hier echte Probleme bekommen.
Warum ist "The Ascent" dennoch mehr als nur einen Blick wert?
Das Gunplay von "The Ascent" ist schlicht eine Wucht! Hier fliegen in den Gefechten - buchstäblich - die Fetzen. Die unterschiedlichen Waffen und Fähigkeiten laden zu mehreren Durchgängen ein - und machen so manche Ungereimtheit wieder wett. Es macht trotz aller technisch bedingten Widrigkeiten einfach Spass, sich durch riesige Cyberpunk-Welt zu kämpfen.
Wie urteilt die Fachpresse über "The Ascent"?
Selten sind sich Fachjournalisten so uneins über einen Titel gewesen: Vom Verriss bis zur Traumnote ist im internationalen Wertungsspiegel alles dabei. Manchen bietet das Rollenspielsystem zu wenig Tiefgang, für andere ist es genau richtig. Einig sind sich indes alle in diesem Punkt: "The Ascent" sieht - trotz kleiner Ruckler auf allen System - schlicht atemberaubend aus. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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