Bonn - Vorne drauf prangt der goldene Bundesadler, drinnen befindet sich die "Zeitenwende"-Rede von Olaf Scholz: In einer dunklen Mappe wird das originale Manuskript vom 27. Februar 2022 aufbewahrt. Harald Biermann, Präsident des Hauses der Geschichte, hat es im vergangenen Jahr von Scholz persönlich in Berlin ausgehändigt bekommen. Seitdem gehört es zum Bestand des Bonner Museums, das die Geschichte der Bundesrepublik dokumentiert.

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Es ist das wohl wichtigste Objekt aus der gut dreijährigen Ampel-Regierung, das sich das Haus der Geschichte bisher gesichert hat. "Nur drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war diese Rede mit den angekündigten 100 Milliarden für die Bundeswehr schon eine dramatische Reaktion", fasst Biermann die Bedeutung im Interview der Deutschen Presse-Agentur zusammen. "Die Dringlichkeit der Situation lässt sich schon daran erkennen, dass der Bundestag an einem Sonntag zusammentrat."

Seine Aktentasche gibt der Kanzler nicht her

Ein anderes Objekt hätte Biermann bei seinem Besuch im Bundeskanzleramt am liebsten auch gleich mitgenommen, doch das wollte der Kanzler nicht hergeben: seine Aktentasche. Das schwarze Lederutensil begleitet ihn seit Jahrzehnten überallhin. "Ich hänge sehr an dieser Tasche", schrieb Scholz einmal auf Instagram. "Manche meiner Kollegen oder Mitarbeiterinnen finden, sie sei abgewetzt. Ich nenne es Patina. Die Aktentasche gefällt mir von Jahr zu Jahr besser." Biermann gibt die Tasche noch nicht verloren: "Ich hoffe, dass er sie uns zu einem späteren Zeitpunkt doch noch überlässt."

Was bleibt sonst von drei Jahren Ampel - von der progressiven Regierungsarbeit, die den drei Koalitionspartnern vorschwebte? Vielleicht einer der berühmten 5000 Helme, die die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine kurz vor Kriegsbeginn zugesagt hatte? Das dürfte schwierig werden. "Woran wir aber arbeiten, ist ein Radargerät eines Gepard-Panzers", so Biermann. "Denn die haben sich ja als sehr erfolgreich bei der Abwehr von Drohnen-Angriffen herausgestellt."

Bundestag - Haushaltswoche
Seine abgewetzte schwarze Aktentasche will Olaf Scholz dem Haus der Geschichte bisher noch nicht überlassen (Archivbild). © dpa / Kay Nietfeld/dpa

Die Ampel hat Deutschland durch die ersten drei Jahre des Ukraine-Kriegs gelotst - und damit auf jeden Fall Geschichte geschrieben. Als eine ihrer wichtigsten Leistungen dürfte die Aufrechterhaltung der Energieversorgung im ersten Kriegswinter in Erinnerung bleiben.

Ein Stück Nord Stream 2 fürs Museum

Um die lange Abhängigkeit von russischem Gas deutlich zu machen, hat das Haus der Geschichte ein nicht verlegtes Segment von Nord Stream 2 angeschafft. "Das wird im letzten Teil unserer neuen Dauerausstellung zu sehen sein, die im Dezember dieses Jahres nach grundlegender Umgestaltung öffnen wird", kündigt Biermann an.

"Das ist ein ganz schön dickes Ding: 1,60 Meter hoch, aus Stahl und mit Beton umgeben. Wir zeigen es als Beleg für die Energie-Abhängigkeit, in die wir uns freiwillig begeben haben - nicht als wilde Idee von Angela Merkel, sondern als Ergebnis eines gesellschaftlichen Konsenses. Die wenigen Mahner, die es gab, wurden abgetan."

Und sonst? Das Deutschlandticket hat seinen Weg in die Museumsbestände gefunden, Objekte zum Cannabisgesetz und zum Selbstbestimmungsgesetz werden noch gesucht. "Wir brauchen ja aussagekräftige Dinge, die eine Geschichte erzählen - das ist nicht immer leicht."

Ein herausragendes gesellschaftspolitisches Ereignis zur Zeit der Ampel waren die grossen Demos gegen rechts vor einem Jahr: "Da haben wir Schilder und Transparente", berichtet Biermann. "Das waren ja Kundgebungen, wie es sie in dieser Grösse, Zahl und Breite noch nicht gegeben hat - also auf jeden Fall historisch."

Angela Merkel gab ihr Handy

Der Rest wird sich mit der Zeit erst ergeben müssen. "Für einen Historiker ist es entscheidend, zeitlichen Abstand zu gewinnen", sagt Biermann. "Erst dann kann man wirklich beurteilen, was wichtig gewesen ist und Bestand hat. Man sieht das gut daran, wie sich schon in den letzten drei Jahren die Beurteilung von Angela Merkel verändert hat. Sie wird heute kritischer gesehen als zum Zeitpunkt ihres Rücktritts." Die erste Regierungschefin der Bundesrepublik hatte dem Haus der Geschichte noch zu Amtszeiten ihr Handy überlassen.

Haus der Geschichte sammelt Ampel-Utensilien
Harald Biermann, Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn, zeigt das Originalmanuskript der "Zeitenwende"-Rede von Olaf Scholz. © dpa / Oliver Berg/dpa

Was allerdings schon feststeht: Die Ampel ist unvollendet geblieben, ist vorzeitig auseinanderfallen. "Auffällig ist das insbesondere mit Blick auf den SPD-Kanzler", sinniert Biermann. "Egal ob Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder oder jetzt absehbar Olaf Scholz: Keiner der Vier hat die letzte Legislaturperiode zu Ende gebracht."  © Deutsche Presse-Agentur

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