In der kleinen Waadtländer Stadt Romainmôtier befindet sich eines der schönsten romanischen Bauwerke der Schweiz. Dessen Klosterkirche gehört zu den Schätzen der "Art de Cluny". Der kleine Ort mit rund 550 Bewohnern liegt an der Kreuzung dreier Kulturrouten des Europarats.

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Wir sind auf einer Strasse unterwegs, die sich zu den ersten Ausläufern des Schweizer Juras emporschlängelt. Am Ausgang einer Kurve taucht ein Städtchen im Blickfeld auf, das fast ein bisschen verloren scheint inmitten der Felder und Wälder. Es macht einen ruhigen, fast zeitlosen Eindruck.

Aber trotz seiner Abgeschiedenheit habe der Ort alles, um Liebhaber des kulturellen Erbes anzuziehen, sagt Christian Schulé, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Association européenne de la Via Francigena.

Juwel der romanischen Kunst

Die unumgängliche Sehenswürdigkeit von Romainmôtier ist die mit den typischen gelben Steinen aus der Region gebaute Abtei. Sie gehört zusammen mit der Klosterkirche von Payerne, die ebenfalls Teil der "Art de Cluny" ist, zu den beiden bedeutendsten romanischen Kulturdenkmälern der Schweiz.

Die Abtei von Cluny befand sich im Burgund. Die im Jahr 909 gegründete benediktinische Abtei hatte während des ganzen Mittelalters eine spirituelle, intellektuelle und architektonische Ausstrahlung. Sie diente als Modell für zahlreiche Klöster in Westeuropa. Vor der Errichtung des Petersdoms (Basilica di San Pietro) in Rom war sie das grösste religiöse Gebäude des Abendlands. Während der französischen Revolution wurde sie fast vollständig zerstört.

Die Abteikirche in Romainmôtier wurde zwischen 990 und 1030 auf den Ruinen eines Klosters aus dem 5. Jahrhundert gebaut. Zwei Rekorde also: Das älteste romanische Bauwerk des Landes wurde auf den Ruinen des ältesten Klosters gebaut.

Nach einer jahrhundertalten Geschichte mit Höhen und Tiefen läuteten die Annexion des Waadtlands durch Bern im Jahr 1536 und die Reformation das Ende des Klosters von Romainmôtier ein. Die Berner Besetzung hatte auch direkte Konsequenzen für den Ort: Verlust des Altars, Schändung der Statuen, Zerstörung des Kreuzgangs.

Trotz der Beschädigungen ist das Bauwerk – heute im Besitz des Kantons Waadt – ein schönes Beispiel für den Glanz von Clunys Kunst.

Kein Disneyland

In Romainmôtier befindet man sich auf der Kreuzung dreier Kulturrouten des Europarats. Die lokalen Behörden haben vor, diesen besonderen Standort touristisch besser zu nutzen. "Die Gemeinde will die Kulturrouten aufwerten", sagt Stadtpräsident Fabrice De Icco. "Ich bin selber Mitglied des europäischen Komitees der Via Francigena und Kassier der 'Fédération des sites clunisiens'. Wir möchten konkret teilnehmen und nicht nur ein Mitglied sein, das sich damit begnügt, einen Beitrag zu bezahlen."

Der Vorteil der Kulturrouten besteht darin, Besucher anziehen zu können, die sich für das kulturelle Erbe interessieren und einen sanften Tourismus – zu Fuss oder per Velo – vorziehen. "Wir setzen nicht auf Massentourismus", sagt der Stadtpräsident. Ziel sei vielmehr, eine bestimmte Besucherzahl aufrechtzuerhalten, damit die lokale Wirtschaft funktioniert. "Wir wollen nicht zu einem Ort mit zahllosen Durchreisenden werden, der ein Stück seiner Seele verliert. Wir wollen weder Disneyland noch ein neuer 'Mont Saint-Michel' sein."

Für einen Massentourismus wäre der Ort ohnehin nicht geeignet. "Wir wären bald überlastet von Reisecars", sagt De Icco. "Die Strassen sind eng und der Parkplatz ist für ein Maximum von 150 Fahrzeugen ausgerichtet."

Spirituelles Leben erhalten

Als ehemaliges klösterliches Zentrum und Durchgangsort auf einem Pilgerweg will Romainmôtier mehr sein als ein Touristenort. "Die Gemeinde hat immer darauf bestanden, dass Romainmôtier kein Ort sei, den man nur als touristische Attraktion betrachtet, sondern auch ein Ort des spirituellen Lebens. Diese Berufung wollen wir erhalten", sagt De Icco.

Heute ermöglicht die protestantische Pfarrei die Durchführung ökumenischer Gottesdienste in der Abteikirche, an denen Protestanten und Katholiken teilnehmen. "Das beschränkt sich nicht nur auf Sonntage. Auch unter der Woche können Pilger, täglich einen Gottesdienst besuchen, so wie es zum Beispiel auf dem Pilgerweg nach Compostela der Fall ist."

"Wir möchten, dass Romainmôtier ein Ort der Selbstbesinnung im weiten Sinn ist, nicht ausschliesslich für protestantische und katholische Gläubige", sagt er. "Wir wollen das Angebot für Leute weiterentwickeln, die hier Besinnung suchen oder an einem Seminar teilnehmen. Es muss mehrere Möglichkeiten geben, die Idee der spirituellen Reisen zu fördern."

Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler

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