Wolfgang Beltracchi führte die ganze Kunstwelt hinters Licht: Er ahmte die Werke von 50 Malern nach und verdiente damit Millionen. Wegen einer Kleinigkeit flog er auf und löste den grössten Kunstfälscher-Skandal aller Zeiten aus. Doch wie hat er das geschafft?

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Max Ernst, Fernand Léger, Heinrich Campendonk, Max Pechstein: Kein Maler war vor ihm sicher. Wolfgang Beltracchi fälschte 36 Jahre lang Gemälde von mehr als 50 Künstlern, meist französische und deutsche Expressionisten. Alle fielen darauf rein: Das Auktionshaus Christie's druckte einen Katalog mit einem Beltracchi auf dem Titel, im MoMa in New York und anderen grossen Museen waren seine Werke zu sehen. Fünfstellige Beträge blätterten Sammler für die Bilder hin.

Zwischen 20 und 50 Millionen Euro soll er zusammen mit seiner Frau Helene dabei verdient haben. Doch dann flogen sie auf - wegen eines kleinen Fehlers. Der grösste Kunstfälscher-Skandal aller Zeiten wurde aufgedeckt, zumindest in Teilen. Im Oktober 2011 wurden beide zu verurteilt. Nach 14 Monaten Untersuchungshaft musste Beltracchi wegen gewerbsmässigem Bandenbetruges für sechs Jahre ins Gefängnis, seine Frau für vier. Nach seiner Entlassung zeigt er nun in München erstmals in Deutschland Werke unter seinem eigenen Namen.

Die Geschichte hinter dem Skandal ist extrem vielschichtig. Sie zeigt, wie aus einem selbsternannten Hippie ein Multimillionär wurde, der ein Jetset-Leben führte - und am Ende alles wieder verlor. Sieben Millionen Euro Vermögen besass das Paar bei der Verhaftung, Häuser in ganz Europa, eine Yacht und ein Weingut in Frankreich. Seine beiden Kinder Franziska und Manuel ahnten nicht, was die Eltern taten; Beltracchi malte offenbar nur, wenn sie in der Schule waren.

Beltracchis Geschichte gibt aber auch Einblicke in eine Kunstszene, die die Werke des Malers liebte und bereit war, riesige Summen dafür zu zahlen - natürlich ohne zu wissen, dass es seine waren.

Echt und doch falsch

Beltracchi wurde im Februar 1951 unter dem Namen Wolfgang Fischer geboren und wuchs in Geilenkirchen bei Aachen auf. Sein Vater war Restaurator und Kirchenmaler. Mit 17 flog er vom Gymnasium, weil er in einer Stripbar kellnerte und seinen Klassenkameraden Pornohefte verkaufte. Die Kunstschule verliess er später freiwillig. Lieber reiste er herum, lebte teilweise in Kommunen und auf einem Hausboot in Amsterdam, bemalte Pflaster in Grossstädten, besuchte Festivals und konsumierte Drogen. Mit 21 Jahren wurden drei seiner Bilder unter seinem Namen im Münchner Haus der Kunst ausgestellt und sogar verkauft. Doch schon Anfang der 1970er Jahre begann er seine Fälscherkarriere: Er schuf neue Werke im Stil alter Meister und von Jugendstil-Künstlern.

Seine Frau Helene traf er 1992, heiratete sie und nahm ihren Nachnamen an. Sie wurde seine Komplizin.

Faszinierend ist das Vorgehen der beiden beim Fälschen: Der heute 64-Jährige kopierte die Bilder der klassischen Moderne nämlich nicht. Seine Methode war viel raffinierter. Er fügte dem Werkkatalog der Künstler neue Bilder hinzu. Viele davon galten als verschollen, ihre Titel tauchten zwar in alten Dokumenten oder Katalogen auf, die Bilder waren aber verschwunden. Bis Beltracchi ihnen neues Leben einhauchte. Oder er erfand neue Titel und Motive und lehnte diese an bestimmte Schaffensperioden der Künstler an.

Um die 300 auf diese Art nachempfundene Werke hat Beltracchi nach eigener Aussage so in die Kunstwelt gebracht. Pikant: Die meisten davon wurden noch nicht enthüllt, denn in dem Prozess ging es nur um 53 Bilder. Den mit ihnen verursachten Schaden bezifferte das Gericht auf 20 Millionen Euro. Beltracchi selbst sieht sich nicht als Fälscher - wenn, dann nur bei den Signaturen der Maler. Er sieht die Werke als seine Bilder an, die er mit der Handschrift anderer Künstler gemalt habe. Das sei eben die Kunst: ein Gemälde zu schaffen, das es nicht gibt, aber doch perfekt ins Werk passe.

Aber seine Kunstfertigkeit beschränkte sich nicht nur auf das Malen der Bilder. Beltracchi ersann auch Geschichten rund um ihre Entstehung und ihren Verbleib, um sie glaubwürdig zu machen. So erfand er die Sammlung Jäger, aus der viele seiner Bilder stammen sollten. Werner Jäger war ein Unternehmer und der Grossvater von Helene Beltracchi. Er soll in den 1920er-Jahren viele Bilder bei Händlern wie Alfred Flechtheim gekauft haben. Als die Beltracchis gefragt wurden, ob es nicht alte Familienfotos mit den Gemälden gebe, fälschten sie diese kurzerhand auch: Sie besorgten sich eine alte Kamera mit passenden Filmrollen. Helene Beltracchi verkleidete sich als ihre eigene Grossmutter, im Hintergrund waren Fotokopien der Fälschungen zu sehen.

Ein weiterer Trick: Der Krefelder Schneidermeister Knops soll eine umfangreiche Bildersammlung zusammengetragen und später vor den Nazis versteckt haben. Die vererbte er angeblich seinem Enkel Otto Schulte-Kellinghaus - natürlich ein weiterer Komplize von Beltracchi.

Titanweiss war Beltracchis Verderben

Aufgeflogen ist das System Beltracchi 2010 durch ein angebliches Campendonk-Werk, "Rotes Bild mit Pferd". Campendonk gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zur Künstlergruppe "Blauer Reiter". Der Titel des Bildes taucht tatsächlich in seinem Werkverzeichnis auf, das Gemälde selbst allerdings war nicht bekannt. Bis Beltracchi es malte und 2006 an das Kunsthaus Lempertz lieferte. Kurz danach wurde es für 2,88 Millionen Euro an eine Firma aus Malta versteigert. Die neuen Besitzer liessen es untersuchen. Dabei kam heraus: Unter den Farben fanden sich Spuren von Titanweiss, einem Pigment, das es zu Campendonks Zeiten noch gar nicht gab. Die Anwältin der Firma erstattete Anzeige, im August 2010 wurden die Beltracchis in Freiburg verhaftet.

Der Maler sagte später, er habe normalerweise immer ein anderes Weiss verwendet und dieses selbst gemischt. Ausnahmsweise benutzte er eine fertige Tube Zinkweiss, in der Spuren von Titanweiss enthalten waren, was aber nicht darauf gestanden habe. Noch heute findet der Künstler, es habe sich um den besten Campendonk gehandelt, den es gab - nur dass es eben gar keiner war.

An Selbstbewusstsein mangelt es dem genialen Fälscher ohnehin nicht. In diversen Interviews sagte er: "Ich kann alle" - und meint, dass er den Stil jedes Künstlers nachahmen kann. In einer BBC-Dokumentation schnaubt er nur, als der Reporter nach Picasso fragt: "Ach, Picasso!" Dank seiner Arbeiten explodierten die Preise für die Werke mancher Künstler auf dem Kunstmarkt, etwa für die von Heinrich Campendonk oder Max Ernst. Dessen Witwe soll gesagt haben, dass ein Beltracchi-Bild, das angeblich von ihrem Mann stammte, der schönste Max Ernst sei, den sie je gesehen habe.

Beltracchi-Ausstellung entsetzt die Kunstwelt

Jetzt, nach der Verbüssung seiner Haftstrafe, ist Beltracchi wieder da: Erstmals stellt er in Deutschland Bilder unter seinem eigenen Namen aus, unter dem schlichten Titel "Freiheit". Dass eine Münchner Galerie seine Werke zeigt (und verkauft), entsetzt die etablierte Kunstszene. Der Bundesverband deutscher Galeristen drohte, alle auszuschliessen, die Beltracchi-Austellungen veranstalten. Der "art room 9" in Schwabing liess sich davon nicht abschrecken. Schon vor Beltracchis Haftentlassung im Januar waren seine Bilder in der Schweiz zu sehen. Beltracchi muss viel verkaufen: Sein Schuldenberg durch Schadenersatz-Ansprüche ist hoch. Nach einer Privatinsolvenz hat sich das Ehepaar verpflichtet, bis 2017 den grössten Teil seiner Einnahmen an Gläubiger abzuliefern.

Beltracchi hat zwar alles verloren, bleibt aber dabei nach eigener Aussage immer noch eine "Frohnatur". Vor Gericht hatte er gesagt, dass ihn Geld nie interessiert habe, er wollte immer nur malen. Auf die Frage eines BBC-Reporters, was er heute anders machen würde, sagt er grinsend: "Natürlich kein Titanweiss benutzen."

Die Beltracchi-Ausstellung "Freiheit" eröffnet am Freitag, 8. Mai, im "art room9" in München und dauert bis 23. Oktober.
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