Job, Urlaub, Wohnort, Partner: Die Generation um die 30 will sich alle Möglichkeiten offen halten und entscheidet sich deshalb oftmals für gar nichts. Und am Ende trifft das Leben die Entscheidungen für uns.
"Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein? Jein!": 1996 feierten Fettes Brot mit dem Song "Jein" einen Riesenerfolg - und nahmen das Dilemma der heutigen Generation zwischen 20 und 35 schon vorweg. Damals ging es nur um die Frage, ob man etwas mit der Freundin seines besten Freundes anfangen sollte oder besser nicht. Heutzutage stehen junge Menschen in vielen Lebensbereichen vor wichtigen Entscheidungen und wissen nicht, was sie tun sollen.
Schon zu Beginn des Studiums oder der Ausbildung hat man alle Chancen offen - und kann sich deshalb für keine Fachrichtung entscheiden. Nach erfolgreicher Ausbildung warten zwei Jobangebote, die auf den ersten Blick beide interessant klingen. Wie trifft man Entscheidungen in solchen Situationen, ohne sie nachher zu bereuen?
"Schwere" und "grosse" Entscheidungen sind nicht das Gleiche
Ein Problem beim Treffen von Entscheidungen ist, dass wir dabei oft Dinge durcheinander bringen. Die US-amerikanische Philosophin Ruth Chang erklärt, dass eine Entscheidung dann als schwierig wahrgenommen wird, wenn keine der Optionen klar besser ist als die andere.
Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Die müssen sich zwischen zwei Stellenangeboten entscheiden. Der eine Job bringt mehr Geld, der Vorgesetzte ist sehr sympathisch. Dafür ist der Job auf dem Land, man muss pendeln und die Karriereaussichten sind begrenzt. Der andere Job ist in der Stadt, bringt aber weniger Geld und ist potenziell stressiger. Dafür sind die Karriereaussichten besser. Diese Entscheidung fällt schwer, weil ein Jobangebot in einigen Aspekten besser ist, das andere aber in anderen Aspekten überzeugt. Keine Alternative ist insgesamt überzeugender.
Aber nicht jede Entscheidung, die uns schwerfällt, ist auch eine "grosse": In vielen Situationen des Alltags treffen wir schwierige Entscheidungen. Schon beim Frühstück kann es zum Konflikt kommen - zwischen dem gesunden Vollkornmüsli und dem leckerer Schoko-Croissant. Solche Entscheidungen treffen wir jeden Tag - und zermartern uns hinterher nicht stundenlang den Kopf darüber.
Die gute Nachricht: Wir sind nicht einfach zu doof
Beim Fällen schwerer Entscheidungen gibt es keine objektiv bessere Option. Wir sind also nicht schlicht zu dumm, um uns für die beste Möglichkeit zu entscheiden. Deshalb wählen wir dann - oftmals aus Angst vor dem Ungewissen - die am wenigsten risikoreiche Möglichkeit. Ruth Chang erzählt zum Beispiel, dass sie sich nicht zwischen Philosophie und Recht als Studienfach entscheiden konnte. Deshalb wählte sie erst einmal den sicheren Weg des Jurastudiums, bevor sie dann doch später zur Philosophie wechselte.
Werteentscheidungen sind anders
Werteentscheidungen zu treffen fällt uns deshalb so schwer, weil es meist keine klar bessere Alternative in vielen Entscheidungssituationen gibt. Es fehlen uns die messbaren Vergleichsgrössen: Ist ein Herd kaputt und der andere nicht, entscheiden wir uns ohne zu zögern für das intakte Gerät. Die bessere Option ist uns klar. Bei der Frage, welchen Job oder welchen Partner wir wählen sollen, gibt es diese klare Einteilung in "gut" und "schlecht" nicht.
Die Alternativen sind "auf gleicher Augenhöhe" – sie bewegen sich, wie Chang es ausdrückt, in einer "gemeinsamen Wertenachbarschaft", beziehungsweise spielen in der gleichen "Werteliga". Bei solch gleichwertigen Alternativen müssen wir uns selbst die Begründungen erschaffen, warum wir uns für eine der Alternativen entscheiden. Nach dem Pro und Kontra zu fragen, also den Gründen dort draussen, bringen uns nicht weiter. Vielmehr sind die inneren Gründe ausschlaggebend: Wer will ich werden? Wie will ich sein?
Den Entscheidungen nicht ausweichen
Bei all dem Hin und Her scheint zumindest eines sicher: Wer sich nicht dazu durchringen kann, selbst Entscheidungen zu treffen, muss sich den Entscheidungen anderer beugen. Pro- und Kontra-Listen helfen einem nicht weiter, wenn Werteentscheidungen getroffen werden müssen, die dazu noch mit Unsicherheit über die Zukunft behaftet sind. Denn erst durch die Art, wie man schwere Entscheidungen trifft, bestimmt man, zu welcher Person man sich entwickelt.
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