Lächeln und winken. Den ganzen Tag. Autohäuser eröffnen, mit dem Popo wackeln und sich im Bikini vor irgendeinem Fotografen oder einflussreichen Managern räkeln. So soll es sein, das Leben als Schönheitskönigin, wenn es nach den Vorurteilen der Leute geht. Doch so ist es nicht. Die Mädchen, die gerne Miss werden möchten, haben andere Beweggründe. Die Jury, die sie wählt, auch.
Am 24. Februar 2018 präsentieren sich 22 Grazien einer achtköpfigen Jury und wollen nur eines: die neue Miss Germany werden. Präsentieren, das trifft es gut.
Denn die Damen, die in diesem Jahr zu den schönsten Frauen Deutschlands gewählt wurden, schreiten mal im Abendkleid, mal in Bademoden über einen Laufsteg und versuchen, die Juroren mit langen Beinen und strahlendem Lächeln von sich zu überzeugen.
"Fleischbeschau" ist es, womit man die begehrte Wahl zur Schönheitskönigin deshalb gerne im Volksmund vergleicht. Manch ein Urteil fällt deutlich härter aus: "Das ist die Gewalt in den Köpfen - eine Frau muss ein bestimmtes Aussehen haben, damit sie die Anerkennung von den Menschen bekommt, auf die es ankommt. Und das sind nun mal vor allem Männer", sagt Soziologin Nina Degele von der Uni Freiburg dem "Spiegel".
Das Frauenbild im Wandel
Ihrer Meinung nach machen sich die Bewerberinnen durch ihre Teilnahme an diesem Wettbewerb selbst zum Opfer. Doch als "Opfer" sehen die Veranstalter der Miss-Germany-Wahl ihre Teilnehmerinnen nicht. Die Mädchen nehmen freiwillig lieber an diesen Wahlen teil, anstatt etwa an TV-Formaten wie "Germany's next Topmodel".
Hier käme es mehr auf den Charakter an und auf das, was eine junge Frau in der Welt bewegen möchte, sagt eine Miss im Missencamp auf die Frage, warum sie überhaupt an einer solchen Wahl teilnimmt.
Die Chefetage der Miss Germany Corporation (MGC) ergänzt: "Bei GNTM und jeder Show von Victoria's Secret sieht man mehr nackte Haut als bei uns. Uns geht's um eine gute, stilvolle Modenschau. Das hat nichts mit Fleischbeschau zu tun."
Der Kampf gegen Vorwürfe und Klischees
Dass das Image der Schönheitskönigin etwas angestaubt ist, weiss auch die Miss Germany Corporation, die Dutzende solcher Beauty-Wahlen hierzulande jedes Jahr ausrichtet.
Sie versucht daher derzeit mehr denn je, sich von alt eingefahrenen Strukturen zu lösen und neue, zeitgemässere Wege einzuschlagen.
Weit mehr als 5.000 Frauen haben sich in diesem Jahr wieder für die Vorwahlen beworben, deren Siegerinnen schliesslich am grossen Finale teilnehmen dürfen - Bestätigung genug für die MGC.
Eine Änderung, die in diesem Jahr neu eingeführt wurde, ist, dass erstmals auch Frauen teilnehmen dürfen, die verheiratet sind oder Kinder haben. Bislang waren diese vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen und sind es in vielen anderen Ländern noch immer.
Ausserdem sollen die Veranstaltungen als solche deutlich an Qualität gewinnen - durch die Locations, hochkarätige Juroren und namhafte Sponsoren.
Gebildete Frauen mit Zielen sollen es sein
Vom einstigen Klischee der lächelnden Dummchen, die sich wie Vieh auf dem Markt bewerten und auszeichnen lassen, soll im Jahr 2018 nichts mehr übrig sein. Viel zu überholt ist das Bild der Frau, viel zu präsent das Thema Emanzipation während des Wahl-Prozesses.
Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Charme sind es, die eine Jury davon überzeugen sollen, dass sich ein Mädchen als Repräsentantin des eigenen Landes eignet.
Für die, die täglich mit den Missen arbeiten werden, gehören Disziplin, Aufmerksamkeit, Kommunikation und Teamfähigkeit zu den unabdingbaren Eigenschaften. Keine Kür, sondern Pflicht.
Ob ein Mädchen Pferde mag, gern kocht oder sich in seiner Freizeit am liebsten mit Freunden trifft, spielt dabei erstmal keine Rolle.
Der Wunsch nach Weltfrieden reicht nicht mehr
Ein hübsches Doofchen als Miss Germany ist die Ausnahme. Lena Bröder, ihrerseits Miss Germany 2016, hat katholische Theologie studiert und aus ihrer Berufung einen Beruf gemacht: Sie ist Religionslehrerin, die als erste Siegerin der Wahl ein grosses Augenmerk auf den Glauben gerichtet hat. Sie traf während ihres Amtsjahres Papst Franziskus für eine Audienz und veröffentlichte ihr erstes Buch "Das Schöne in mir: Mit Glaube zum Erfolg". Selbstgeschrieben.
Ja, lesen und schreiben können die Mädchen, die von Aussenstehenden nur zu gern auf ihre Haarfarbe, ihr Dekolleté und den Drang nach Weltfrieden reduziert werden.
Wie viel Zeit junge Frauen zum Lesen und Schreiben haben, die in Einzelgesprächen gern erwähnen, dass sie eigentlich ihre gesamte Freizeit im Fitnessstudio verbringen, sei dahingestellt. Doch die Kompetenz bringen sie grundsätzlich mit.
Das weiss auch jeder, der sich über Namen und Bundeslandzugehörigkeit hinaus mit den Teilnehmerinnen einer solchen Wahl beschäftigt. Manche gehen noch zur Schule, studieren oder üben bereits einen bodenständigen Beruf aus.
Während eine Miss Berlin 2018 etwa ein eigenes Modegeschäft besitzt, ist Miss Hessen 2018 Unternehmensberaterin bei einem der führenden Beratungsunternehmen Deutschlands. Raum für Naivität und Einfältigkeit bleibt da kaum, entgegen aller Vorurteile.
Mädchen leiden mehr unter Vorurteilen als den Wahlen selbst
Doch eben diese Vorurteile halten sich vehement in den Köpfen der Menschen. Miss Germany 2017, Soraya Kohlmann, weiss um das Image ihrer Zunft und gibt im Interview mit der "Bild"-Zeitung zu: "Ich entspreche leider sehr vielen der gängigen Klischees: Ich bin blond, ich mag gerne rosa, ich liebe Glitzer, ich gehe wahnsinnig gerne shoppen und kann nicht einparken."
Trotzdem hat sie während ihrer Amtszeit das Abitur gemacht und wird nun im Herbst mit dem BWL-Studium beginnen. Miss Germany 1992, Ines Klemmer, bringt es im Interview mit unserer Redaktion auf den Punkt: "Die Mädchen denken: Du hängst dir die Schärpe um, glänzt, alle applaudieren und dann gehen die Kameras an. Die Realität sieht aber anders aus."
Disziplin toppt dralles Dekolleté
Miss Germany sein, das ist ein Knochenjob, sagt Klemmer. Einer, bei dem man natürlich gut aussehen muss, stets frisch und strahlend, stets gut gelaunt, stets höflich. Ohne eine gute Allgemeinbildung, Etikette und Engagement geht es aber nicht.
Auch Skandale sind ausdrücklich nicht erwünscht: Nackedei-Auftritte und der Einsatz für krebskranke Kinder passen für die MGC beim besten Willen nicht zusammen.
Deshalb wurde Micaela Schäfer - heute erfolgreiches Erotikmodel, damals Miss Ostdeutschland - im Jahr 2004 disqualifiziert. Und sie ist nicht die Einzige, für die der Traum vom grossen Titel vorzeitig platzte, weil sie sich der Ernsthaftigkeit und den Anforderungen an eine Miss Germany nicht bewusst genug war.
Wie hoch diese Anforderungen sind, darüber entscheiden nun Prominente wie Politiker Wolfgang Bosbach und Dschungelcamp-Teilnehmerin Giuliana Farfalla, aber eben auch die "Playboy"-erfahrene Monica Ivancan und Schönheitschirurg Dr. Werner Mang. Der Kampf gegen die gängigen Klischees ist also noch lange nicht zu Ende.
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