- Nach 20 Jahren Pause melden sich die legendären Lemonbabies mit einem Best-of-Album und einer Doku zurück.
- Neben den neuen Songs gibt es auch die anderen Veröffentlichungen der Berliner Band endlich auch digital.
- Mit Diane Weigmann und Katy Matthies sprachen wir über das Comeback, Feminismus damals und heute und den Überlebenskampf der Kultur in Zeiten von Corona.
Sie gehörten zu den 1990er-Jahren wie Viva, Grunge und Frufoo-Quark: die Lemonbabies. Die Berliner Band galt damals als echte Pop-Sensation, denn sie bestand nicht nur aus selbstbewussten jungen Frauen - die vier spielten ihre Instrumente auch noch selbst!
13 Jahre lang bereicherten die Musikerinnen die deutsche Pop-Landschaft; vor allem ihre Live-Auftritte waren echte Highlights. 2001 beschloss die Band eine Pause – die dann doch etwas länger dauerte.
20 Jahre später melden sich die Lemonbabies zurück - mit neuer Musik und einer Doku über die Bandgeschichte. Die Gelegenheit, mit Diane Weigmann und Katy Matthies - natürlich per Zoom - über das digitale Comeback, ihr musikalisches Erbe, Feminismus und den Überlebenskampf der Musikbranche zu reden, haben wir uns nicht entgehen lassen.
Eure Pause war länger als die Lebenszeit so mancher Band. Für die meisten Fans war das ja einfach ein Ende - auch wenn dieses nie offiziell verkündet wurde. Wie war das denn für euch? War immer klar: Da kommt noch was?
Diane Weigmann: Wir standen im ständigen Austausch durch alle Zeiten hindurch – Studium, Kinderkriegen, unterschiedliche Wege, die jede eingeschlagen hat. So hat es sich für uns natürlich mehr wie eine Pause angefühlt. Aber schon klar: Wenn sich jede in ihrem eigenen Beruf etabliert hat, dann gibt man den nicht einfach auf – also war es schon eine Art Ende. Deshalb wollten wir keine offizielle Auflösung bekannt geben.
Katy Matthies: Damals hatte jede von uns bestimmte Ziele. Bei mir war es ein Studium, das ich anfangen wollte, Diane wollte ein deutschsprachiges Album machen, auch Barbara wollte studieren – und einiges hat dann ein wenig länger gedauert. Jede hat einfach spannende eigene Sachen gemacht, und es gab eigentlich nie einen Grund zu sagen: "Wir machen jetzt mit den Lemonbabies weiter."
Also habt ihr in den vergangenen 20 Jahren auch ein bisschen das Leben abseits einer Band nachgeholt?
Weigmann: Genau. Andere hatten diese Phase ungefähr ab 18: "Wir hören mit der Schule auf, und dann machen wir mal ein Auslandsjahr oder ein Praktikum, fangen ein Studium an …" – all das hatten wir nicht. Ich hab die Band mit 15 gegründet und mich seitdem ausschliesslich den Lemonbabies gewidmet. Ich war dann Mitte 20, als wir die Pause beschlossen – und ich hab erst dann angefangen, das zu machen, was alle anderen schon zehn Jahre vorher machen konnten - sich ausprobieren und einfach neue Perspektiven aufzeigen lassen.
Wie kam es denn konkret zu eurem "digitalen Comeback"?
Matthies: Diane hatte die Idee im letzten Frühjahr: "Wir haben wegen Corona ein bisschen den Rücken frei. Lasst uns doch einfach mal ein paar Sachen digital veröffentlichen." Wir kommen ja noch aus der nicht-digitalen Ära – damals hatten wir eine Webseite mit Newsletter, das war schon State of the Art (lacht). Wir haben mit einer Digitalkamera Fotos und kleine Filmchen gemacht. Wer hätte damals gedacht, dass heute keiner mehr CDs kauft und alle ihre Musik auf dem Handy streamen? Leute fragen: "Gibt’s euch auf Deezer oder iTunes?" und wir: "Ähm … nein." Es war natürlich jetzt die beste Gelegenheit, das alles nachzuholen – und die Geschichte ein bisschen mehr aufzuarbeiten.
Lemonbabies - Die Dokumentation
Seht ihr eure Bio und die Doku auch als eine Art Vermächtnis, einen Ratgeber an junge Musikerinnen von heute?
Weigmann: Wir wurden ja schon damals in den 1990ern ständig gefragt, ob wir uns als Vorbild für junge Frauen und Mädchen sehen. Aber eigentlich fühlten wir uns in diese Rolle gedrückt. Wir haben einfach nur eine Band gegründet und das gemacht, worauf wir Lust hatten. Und ich weiss auch nicht, wie unsere Rolle heute ist. Ob ein Video, das sowas wie ein Jahrzehntmitschnitt aus den Neunzigern ist, eine junge Frau, die mit ganz anderen Werten aufgewachsen ist, überhaupt noch beeindruckt?
Die jungen Frauen heute scheinen ja wirklich viel weiter zu sein. Gerade ist zum Beispiel die neue GNTM-Staffel gestartet, und manche der Kandidatinnen sind bereits vorher Internet-Stars. Denen muss man nichts mehr erzählen, dementsprechend selbstbewusst treten sie auf.
Weigmann: Ich glaube, da ist aber sehr viel Selbstschutz dabei. Die wissen ja genau: "Ich darf mich da nicht als Mauerblümchen zeigen." Das wird ihnen ja von der ersten Folge an, die sie vielleicht schon als kleine Kinder geschaut haben, so eingetrichtert. Aber nicht nur bei dieser Sendung ist das ja so. Zum Beispiel bei Instagram: Wenn die komplette Jugend unter dem Auge des Internets, unter dem Auge von Algorithmen stattfindet, wenn eine junge Frau ihren Wert darüber bemisst, wie viele Follower sie hat und Likes sie bekommt, dann frage ich mich schon, wo das hinführt.
Viele in unserem Alter sind sicher froh, dass es in unserer Jugend Instagram & Co. nicht gab.
Weigmann: Klar! Als wir zum Beispiel angefangen haben, Material zusammenzusuchen, dachte ich oft: "Gut, dass das nicht im Internet gelandet ist!" Weil wir in dem Moment einfach nur albern waren, mal einen unkorrekten Witz gemacht haben oder einfach unsere verletzliche Seite zu sehen war. Kleine Dinge, von denen man aber als Erwachsene weiss, dass diese Sachen nicht in die Öffentlichkeit gehören.
Feminismus? Keine Lust auf "lila Latzhosen und 'Schwanz ab!'-Rufe"
Für das Generieren von Aufmerksamkeit waren Albumtitel wie "Porno." und vor allem das dazugehörige Plakat auch nicht gerade schlecht. Würdet ihr das aus heutiger Sicht wieder so machen?
Matthies: Das war ein Versuch, der Rolle, die uns sowieso immer von aussen angetragen wurde, eine starke Antwort entgegenzusetzen. Es war natürlich wichtig, dass es nicht so ein schmuddeliges Plakat, sondern sehr kunstvoll geworden ist, sehr sinnlich und ästhetisch. Das ist natürlich auch dem Auge Joerg Grosse Geldermanns, dem Fotografen, zu verdanken. Grundsätzlich finde ich alle Dinge, für die wir uns bewusst entschieden haben, auch heute super. Rückblickend würde ich aber sagen, dass ich mir gewünscht hätte, dass sich unser Umfeld anders verhalten hätte.
Inwiefern?
Matthies: Es wurde schon sexistischer Rotz an uns herangetragen. Auch und gerade von Journalisten. Da erschienen dann Artikel, bei denen wir dachten: "Oh mein Gott - das schreibst du jetzt, was Besseres fällt dir echt nicht ein?" Stichwort "Pop mit Po". Wir hätten öfter auch mal den Mut haben sollen, Interviews einfach abzubrechen und hätten uns da gewünscht, dass unser Umfeld uns bestätigt hätte.
Habt ihr euch als Feministinnen verstanden?
Matthies: Feminismus bedeutete damals vor allem Alice Schwarzer und war irgendwie unsexy. Mit den lila Latzhosen und den "Schwanz ab!"-Rufen konnten wir uns nicht identifizieren. Feministinnen waren wir aber trotzdem – weil wir uns genommen haben, was wir wollten.
Musikbranche in der Corona-Krise: "Was fehlt, sind Perspektiven"
Heutzutage Musiker zu sein, muss schwieriger sein denn je. Die im Zuge der Corona-Pandemie beschlossenen Massnahmen treffen den Kulturbereich mit voller Härte. Eine Tour hattet ihr nicht geplant, seid ihr trotzdem betroffen?
Matthies: Es ist absolut deprimierend, zu sehen, dass Kultur als nicht lebenswichtig eingestuft wird und dort am ehesten gespart wird. Es ist absolut tragisch, da in dieser Branche ja wirklich sehr viele Menschen arbeiten und sie trotzdem keine Lobby hat. Und auch Aktionen wie "Alarmstufe Rot" reichen einfach nicht. Es ist dramatisch.
Weigmann: Ich habe das Glück, dass ich im Moment viel im Kinder- und Jugendbereich produziere - da sind die Aufträge sogar mehr geworden. Aber der Konzert- und Livebetrieb fällt komplett weg. Die Leute dort haben eine Ausbildung gemacht und gutes Geld verdient, jetzt müssen sie sich im Jobcenter anstellen. Und es sollte ja nicht darum gehen, einen neuen Job zu finden, sondern die Zeit zu überbrücken, bis sie in ihrem Beruf wieder arbeiten können.
Matthies: Ja, genau! Du hast ja nicht nur die Musiker vorne, du hast die Techniker, die Veranstalter im Hintergrund. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wenn es wieder losgeht, wer ist denn eigentlich noch da? Kleine Clubs werden sich sicher neu erfinden. Aber der ganze technische Bereich, das sind hochspezialisierte Leute mit Ausbildungsberufen. Wenn die sich zwischendurch anders orientieren mussten, ist fraglich, ob die alle wieder zurückkommen.
Weigmann: Was fehlt, sind natürlich auch Perspektiven und klare Ansagen. Alle jonglieren so ein bisschen rum und halten die Bälle in der Luft - aber wie es dann wirklich weitergeht und wann, weiss keiner.
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Warum gibt es keine starke Lobby?
Matthies: Das Problem ist auch, dass die Kulturbranche nicht eins ist. Du hast auf der einen Seite die Museen und die Messen, es gibt die U-Musik, dann gibt es Hochkultur wie Theater, und diese Bereiche sind unterschiedlich finanziert. Die einen werden subventioniert und die anderen eben nicht. Die Industrie zum Beispiel organisiert sich einfach ganz anders. Vielleicht wird es einfach Zeit, dass sich die Kreativwirtschaft zusammentun muss, und vielleicht ist das eine der Konsequenzen aus dem Ganzen.
Vielen Dank für das Gespräch und dass ihr euch die Zeit genommen habt!
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