Wie sieht es hinter den Kulissen der Deutschrap-Szene aus und wie können Frauen selbstbestimmt in diesem einst männerdominierten Genre erfolgreich sein? Marina Buzunashvilli ist seit 20 Jahren Teil der Musikbranche und widmet sich diesen und weiteren Fragen in ihrem Buch "Die Bossin".
Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Autorin über ihre Verbundenheit zu Popmusik, über Feminismus in der Musikbranche – und erklärt, warum im Wörterbuch neben dem Begriff 'Selbstbestimmung' ein Foto von
Frau Buzunashvilli, man kommt gewissermassen nicht umhin, Ihren Namen im selben Atemzug mit Deutschrap zu nennen. Hören Sie auch privat ausschliesslich Hip-Hop?
Marina Buzunashvilli: Erst kürzlich habe ich mir ein VPN besorgt, um eine Boygroup-Doku der BBC schauen zu können. Denn ich habe eine grosse Boygroup-Obsession. Ich werde natürlich immer Hip-Hop und Deutschrap hören, aber
Sie arbeiten seit rund 20 Jahren in der Musikbranche. Das ist insofern spannend, als während der Nullerjahre noch deutlich weniger Frauen in dieser Industrie tätig waren als heute. Was hat sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren geändert?
Wer heute in die Musikindustrie kommt, hat viel mehr Allys [Personen, die die LGBTIQ+*-Bewegung unterstützen; Anm. d. Red.] um sich herum, ganz gleich, mit welchem Geschlecht sich diese Person identifiziert. Weibliche Artists haben deutlich mehr Ansprechpartnerinnen, aber auch männliche Künstler haben mehr Ansprechpartnerinnen. Als ich in die Branche kam, war diese sehr männlich dominiert. Glücklicherweise hatte ich einen Chef, der mich und meine Leistung gesehen hat. Nichtsdestotrotz musste ich immer wieder für mich und mein Können einstehen, und ich habe immer wieder Situationen beobachtet, die gezeigt haben, dass Frauen, allen voran attraktive Frauen, häufig nicht ernst genommen wurden. Indem heute deutlich mehr Frauen in den Unternehmen aktiv sind, kann dieses sexistische Verhalten nicht mehr so einfach an den Tag gelegt werden. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass es dieses Verhalten hier und da nicht noch gibt. Dass wir mehr Frauen in der Industrie geworden sind und mehr weibliche Impulse setzen, ist eine starke Entwicklung. Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir während dieser Reise vergessen haben, was Diversität wirklich bedeutet.
Was konkret meinen Sie damit?
Es gibt eine positive Entwicklung, keine Frage. Dennoch beobachte ich, dass Menschen aus sozial schwächeren Schichten oder Frauen mit Migrationshintergrund noch nicht so stattfinden, wie ich es mir wünschen würde. Dazu kommt, dass Frauen, die stark und fordernd auftreten, schnell als emotional, anstrengend oder zickig wahrgenommen werden, während ein Mann für diese Attribute gefeiert wird. In diesem Zusammenhang darf aber nicht vergessen werden, dass es auch Frauen gibt, die sich sexistisch verhalten. Tatsächlich wurde ich in meiner Karriere von mehr Frauen kritisiert als von Männern. Wir sollten den Begriff Diversität also nicht nur als eine Art Checkliste betrachten, sondern ihn wirklich kritisch hinterfragen. Denn meiner Meinung nach sind wir in Sachen Gleichstellung noch längst nicht da, wo wir eigentlich sein sollten.
Über Ihr Leben in der Musikbranche haben Sie ein Buch geschrieben: "Die Bossin". Wie kam es zu diesem Titel?
Lange bevor mein Buch erschienen ist, gab es einen Bericht über mich und Kaete (Ewert-Hessel; Anm. d. Red.) namens "Die Bossinnen". Tatsächlich war es eine absolute Besonderheit, dass Frauen aus dem Deutschrap in einer solchen Form porträtiert wurden, und in diesem Zuge ist die Idee für den Buchtitel entstanden. "Die Bossin" steht für mich für einen Überlebensinstinkt, nicht für eine Figur. Denn die Bossin in mir musste immer dafür sorgen, dass alles funktioniert: Die erste Firma, die ich geleitet habe, war meine Familie. Damals war ich neun Jahre alt. Hier zeigt sich auf der einen Seite der eben angesprochene Überlebensinstinkt und auf der anderen Seite das Bild, das viele Menschen von mir hatten, indem sie mich mir Attributen wie "bossy" oder "krass" belegt haben.
Meine grösste Sorge im Zuge der Buchveröffentlichung war, dass der Eindruck entstehen könnte, ich profiliere mich anhand der Künstler und Künstlerinnen, mit denen ich arbeite. Das würde ich nie tun. Aus diesem Grund ist der Buchtitel so wichtig für mich. Denn er polarisiert, und wer das Buch liest, wird verstehen, wer die Bossin wirklich ist.
Pikante Enthüllungsgeschichten rund um namhafte Artists gibt es also nicht …
So ist es. Ich würde das Vertrauen, das meine Künstlerinnen und Künstler in mich haben, niemals mit Füssen treten. Dennoch wurden im Rahmen der Berichterstattung zu meinem Buch immer wieder die Namen bekannter männlicher Künstler verwendet, um mich als Autorin zu erklären. Ein Effekt, der mich traurig gemacht hat und den ich als fragwürdig und nicht feministisch empfinde. Dennoch konnte ich in dem Buch meine Geschichte erzählen und dabei bin ich sehr persönlich geworden. Wenn ich mit dieser Geschichte junge Menschen erreichen und ihnen wertvolle Tipps auf ihren Weg mitgeben kann, habe ich alles erreicht, was ich mir gewünscht habe.
Warum Marina Buzunashvilli "ein sehr stolzes Fangirl" ist
In Ihrem Buch erzählen Sie von Ihrem Problem mit dem Begriff "Fangirl" – und dass es im Gegenzug den Begriff "Fanboy" nicht gibt. Was meinen Sie damit?
Vor allem während der 90er- und Nullerjahre war es in der Branche gewissermassen verpönt, um ein Foto mit einem Künstler oder einer Künstlerin zu bitten. Ebenso wenig sind Sätze wie "Ich bin ein grosser Fan von dir" gefallen. Das war gewissermassen ein ungeschriebenes Gesetz. Aber ich ticke anders. Ich liebe es, Menschen zu sagen, dass ich sie feiere. Denn zu denken wie ein Fan, ist meine Superpower. Vor allem Frauen in der Musikbranche wird oft ihre Professionalität abgesprochen, weil sie ja vermeintlich "nur" ein Fangirl sind. Aber was spricht bitte dagegen, ein gemeinsames Foto mit einem Sänger oder einer Sängerin zu machen? Ich feiere die Artists, mit denen ich arbeite, bin stolz auf diese Zusammenarbeit und auf mich. Ich kenne Männer in der Musikszene, die Künstlern sprichwörtlich in den Allerwertesten gekrochen sind und dennoch nie als Fanboy bezeichnet wurden. Umso stolzer bin ich darauf, als sogenanntes Fangirl im Umgang mit meinen Artists immer ehrlich und auch kritisch gewesen zu sein. Bedeutet: Ich bin ein sehr stolzes Fangirl.
Neben dem Appell, ein stolzes Fangirl zu sein, rufen Sie in Ihrem Buch ausserdem dazu auf, von sich selbst Fan zu sein …
So ist es. Auch ich habe immer wieder mit Selbstzweifeln zu tun, keine Frage. Das hat verschiedene Gründe, unter anderem kämpfe ich mit mentalen Erkrankungen. Dazu kommt ein Aspekt, den ich über die Jahre in der Musikbranche beobachtet habe: Denn das grösste Problem der Musikbranche ist, dass es zu wenig Lob gibt. Dabei sind wir ein Peoples-Business, das mit positiven Emotionen und nicht mit Aktien handelt. Umso wichtiger ist es mir, hier einen anderen Weg zu gehen. Ich lobe sehr viel und pushe die Menschen, mit denen ich arbeite. Auf genau diese Weise ist es mir gelungen, vor allem junge Menschen dazu zu bringen, Fan von sich selbst zu werden.
"Gäbe es im Wörterbuch neben dem Begriff 'Selbstbestimmung' ein Bild, wäre es ein Foto von Katja Krasavice."
Lassen Sie uns über weibliche Artists im Deutschrap sprechen: Wie sichtbar sind die Künstlerinnen heute in dem Genre?
Diese Frage wird mir häufig gestellt und sie bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Denn sie zeigt, dass sich viele Menschen nicht wirklich mit Deutschrap beschäftigen. Fakt ist: Frauen dominieren Deutschrap. Natürlich gibt es aus der Historie mehr Männer im Deutschrap, aber Frauen haben das Genre übernommen. Das ist eine tolle Entwicklung, sofern sie nicht aus einer Quote heraus entsteht.
Ich persönlich liebe die Musik der Rapperinen Liz und Juju. Ausserdem verehre ich Katja Krasavice, weil sie meiner Meinung nach eine Künstlerin ist, die das komplette Entertainment-Paket liefert, auch wenn sie keine klassische Rapmusik mehr macht. Gäbe es im Wörterbuch neben dem Begriff 'Selbstbestimmung' ein Bild, wäre es ein Foto von Katja Krasavice.
Wenn wir über den Rap-Tellerrand hinausblicken: Wie steht es Ihrer Meinung nach um Sichtbarkeit von Künstlerinnen in anderen Genres?
Wenn es um die Sichtbarkeit von Frauen in der Musikindustrie geht, ist es der einfachste Weg, kritisch auf Deutschrap zu blicken. Umso mehr lohnt sich der Blick auf andere Genres. Keine Frage: Es gibt viel mehr erfolgreiche Schlagersängerinnen als noch vor einigen Jahren. Mit Blick auf das grosse Ganze sind es trotzdem zu wenig. Diversität im Schlager gibt es nicht. Umso wichtiger waren für mich immer Sängerinnen wie Vanessa Mai oder Beatrice Egli. Vor allem Beatrice Egli steht für eine Generation junger Frauen ein, die über Äusserlichkeiten definiert und bewertet werden. Diese Herangehensweise feiere ich. Trotzdem wünsche ich mir noch mehr Frauen im Schlager. Und auch im elektronischen Bereich muss noch einiges passieren. Ein Blick auf die Elektro-Line-ups zeigt, wie männlich dominiert diese Szene ist. Doch es ist immer einfacher, den bösen Hip-Hop-Buben auf die Finger zu hauen (lacht). Ich wünsche mir also, dass Rap genauso betrachtet wird wie andere Musikrichtungen.
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Welche Rolle spielt der Sisterhood-Aspekt in diesem Zusammenhang?
Hier muss ich mit einer unpopular opinion, einer unbequemen Wahrheit, antworten: Ich bin seit über 20 Jahren in der Branche und ich kann mich an sehr wenige Situationen erinnern, in denen gemäss dem Motto "Girls support Girls" gehandelt wurde. Ich kann natürlich nur von mir und meinen Erfahrungen sprechen, aber ich habe im beruflichen Kontext viele Frauen erlebt, die das nicht getan und anderen Frauen ein schlechtes Gefühl gegeben haben. Umso stolzer bin ich darauf, dass meine Sisterhood wirklich funktioniert. Weil sie sehr divers ist – ein wichtiger Aspekt, der uns untereinander so supportive [unterstützend; Anm. d. Red.] macht und uns darauf achten lässt, wie wir miteinander umgehen. Für diese tollen Frauen in meinem Leben bin ich wahnsinnig dankbar und ich denke, dass es diesbezüglich noch viel zu tun gibt für uns.
Was würden Sie der Marina vor 20 Jahren, die gerade erste berufliche Schritte geht, mit Ihrem Wissen von heute, raten?
Ich würde ihr drei Dinge sagen. Erstens: Geniess jeden Moment, denn du hast dir diesen beruflichen Weg seit deiner Kindheit gewünscht. Zweitens: Wenn du von zehn Stimmen acht positive und zwei negative hörst, konzentriere dich nicht auf die beiden negativen. Drittens: Arbeite dich niemals kaputt, sondern verbring wertvolle Zeit mit deiner Familie. Heute achte ich sehr stark darauf, dass die Menschen in meinem Umfeld ihre Familienzeit ernst nehmen, denn ich habe keine Familie mehr und kann die Zeit auch nicht mehr zurückdrehen.
Über die Gesprächspartnerin
- Marina Buzunashvilli gilt als eine der einflussreichsten Grössen im deutschen Musikbusiness. Ihr beruflicher Weg begann 2004 in einer Agentur, ehe sie 2012 mit einer Agenturkollegin die Musik- und Filmagentur "Musicism & Cinelove" gründete, aus der 2017 "Die Marina" entstand, eine der einflussreichsten Künstleragenturen im deutschen Hip-Hop. 2019 folgte der Wechsel zu Sony, wo sie vorerst als Head of PR und ab 2020 als Director of PR arbeitete, bevor sie sich 2024 erneut selbständig machte.
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