Wenn eine Nation Eurovision Song Contest kann, dann ist es Schweden. Die Skandinavier richten den ESC zum siebten Mal aus. Aus der Vorgabe, dass der ESC eine "unpolitische Veranstaltung" sein soll, wird wohl auch in diesem Jahr nichts.
Der Eurovision Song Contest hat als grösste Musikparty der Welt sehr viele Regeln. Manche davon sind ziemlich lustig, etwa "Tiere sind nicht erlaubt". Manche davon sind ziemlich kompliziert, etwa die zur Auszählung. Eine Regel scheint inzwischen jedoch auch ziemlich weltfremd: "Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung."
Die Briten, die 2023 vorbildliche Gastgeber waren, tauchten Liverpool in ein Meer von Blau-Gelb und bauten Sirenen und Ruinen in die offizielle Bühnenshow ein. Richteten sie doch den ESC anstelle der von Russland angegriffenen Ukraine aus. Und auch der ESC 2024 im schwedischen Malmö droht in den Strudel der Politik zu geraten.
Zwei ESC-Teilnehmerländer im Krieg
Denn seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel Anfang Oktober befindet sich nach der Ukraine jetzt mit dem Vorjahresdritten Israel noch ein zweites ESC-Teilnehmerland im Krieg. Das lässt auch die Eurovision-Welt nicht unberührt: Erste Vorwürfe richteten sich bereits gegen den britischen Act Olly Alexander, dem die israelische Botschaft in London vorwarf, einen propalästinensischen Brief eines queeren Bündnisses unterzeichnet zu haben. Dort werden die Ereignisse in Gaza als "Eskalation des Apartheid-Regimes Israels" bezeichnet.
"Vor allem in diesen Zeiten ist die Entscheidung der BBC, einen Teilnehmer zum ESC zu schicken, der solch parteiische Ansichten zu Israel unterstützt und eine derart entmenschlichende Sprache für Israelis verbreitet, ein grosser Grund zur Sorge", erklärte Botschaftssprecherin Orly Goldschmidt. Kritik ähnlichen Tenors kam auch von der Organisation Campaign Against Antisemitism.
Gleichzeitig forderten Hunderte Menschen in Finnland jüngst vom Rundfunksender Yle, den ESC zu boykottieren, sollte Israel trotz seines Vorgehens in Gaza teilnehmen dürfen. Ähnliche Boykottaufrufe gab es wegen des Gaza-Kriegs auch in Island und weiteren Ländern.
Schweden will eigentlich grosses Musikfest feiern
Damit wirft die aktuelle Weltlage bereits vier Monate vor der Veranstaltung erneut einen dunklen Schatten auf die ansonsten so knallbunte und glitzernde ESC-Welt. Dabei will die Popnation Schweden im Mai in der Malmö Arena eigentlich nur ein grosses Musikfest feiern, mehr nicht. Und wenn eine Nation ESC kann, dann ist es eigentlich Schweden: Sieben Mal hat das skandinavische Land den Musikwettbewerb bereits gewonnen - nur Irland schaffte das bislang genauso häufig.
Noch dazu fällt der ESC diesmal mit einem besonderen Jubiläum zusammen: Vor 50 Jahren gewann die Popgruppe Abba den Musikwettbewerb mit "Waterloo" im englischen Brighton - der wohl berühmteste Auftritt der ESC-Historie. Ob Agnetha Fältskog, Benny Andersson, Björn Ulvaeus und Anni-Frid "Frida" Lyngstad in Malmö dabei sind? Noch offen.
Seit dem Abba-Sieg 1974 hat Schweden den Wettbewerb bislang sechsmal ausgerichtet, zweimal davon 1992 und 2013 in Malmö. Die Stadt an der Öresundbrücke Richtung Dänemark hat dabei bewiesen, dass sie für Veranstaltungen dieser Art ein geeigneter Ort ist. Besonders machen soll den ESC 2024 nun unter anderem eine Bühne mit ausgefeilter Licht- und Videotechnologie, die mitten in der Zuschauermenge platziert ist.
Der Sender SVT und die Designer liessen durchblicken, dass man an einer aussergewöhnlichen Show arbeite, die den ESC auf die nächste Ebene heben soll. "Für mich ist Schweden immer ein Garant für gute Musik und Unterhaltung", sagte der in München geborene federführende Produktionsdesigner Florian Wieder kürzlich über die kreuzförmige Bühne.
Veranstalter halten an Motto "United by Music" fest
Während die Bühnenkonstruktion ein Novum für die Eurovision darstellen soll, halten die Veranstalter am ESC-Motto des Vorjahres fest: "United by Music" heisst es in Malmö wieder - vereint durch Musik. Angesichts von Ukraine- und Gaza-Krieg kann dieser Slogan auch als Gegenentwurf zu den herrschenden Kriegszeiten verstanden werden.
Wie dem auch sei: Einen früheren ESC-Gewinner wird Schweden definitiv nicht ins Rennen schicken, auch Vorjahressiegerin
Und dann wäre da noch Deutschland. Für die Deutschen geht es um ein ganz anderes Triple. Eins, das am besten vermieden werden sollte: Malik Harris ("Rockstars") und Lord of the Lost ("Blood & Glitter") landeten in den vergangenen beiden Jahren je auf dem letzten Platz. Ohnehin geht Deutschland seit Jahren durch ein nie da gewesenes Tal: Bei acht Contests kam der deutsche Beitrag siebenmal auf den letzten oder vorletzten Platz. Der einzige Lichtblick: Michael Schulte 2018 mit "You Let Me Walk Alone" auf einem hervorragenden Platz vier.
Schweden kein gutes Pflaster für deutsche Beiträge
Schweden ist in ESC-Hinsicht nicht unbedingt ein gutes Pflaster für Deutschland: Bei der letzten schwedischen Auflage in Stockholm 2016 wurde Jamie-Lee mit "Ghost" Letzte, das letzte Mal in Malmö 2013 reichte es für Cascada mit "Glorious" immerhin für Platz 21 von 25. In Schweden erlebte die Republik aber auch zwei Lichtblicke: 2000 fragte Stefan Raab in Stockholm "Wadde hadde dudde da?" und wurde Fünfter. 1985 kam die Gruppe Wind in Göteborg mit "Für alle" sogar auf Platz zwei.
Deutschlands ESC-Fluch dürfte im Vergleich zur Weltlage aber ein verschwindendes Problem sein. Mit der Party ohne Politik wird es also auch in Malmö nichts werden. Der Nahostkonflikt hat bereits in der Vergangenheit das Image der "unpolitischen Veranstaltung" gesprengt: Beim ESC 2019 in Tel Aviv - dem bislang letzten in Israel - zeigte die Band Hatari aus Island palästinensische Flaggen, woraufhin der isländische Rundfunk zu einer Geldstrafe verdonnert wurde.
Weltstar Madonna liess bei ihrem Auftritt in Tel Aviv einen Tänzer mit israelischer und eine Tänzerin mit palästinensischer Flagge Arm in Arm die Treppe hinaufsteigen. Das sei eine "Botschaft von Frieden und Einheit" gewesen, sagte die US-Sängerin dazu später. Die Europäische Rundfunkunion EBU, die den ESC international organisiert, war weniger froh. "Der ESC ist unpolitisch", betonte sie damals einmal mehr. (Steffen Trumpf und Christof Bock/dpa/vit)
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