Barbara Schöneberger stand am Donnerstagabend auf verlorenem Posten. Im völlig missglückten "ONE"-Format "Unser Lied für Rotterdam" musste die Moderatorin die Teilnahme Ben Dolics für Deutschland am "Eurovision Song Contest 2020" als die ultimative Neuigkeit präsentieren. Dass dies bereits ganz Deutschland seit Stunden wusste, war für sie dabei nicht besonders hilfreich.
Was unser ganzes Land bereits am Nachmittag erfuhr, wurde am Donnerstagabend auf dem Sender "ONE" – einem ARD-Zusatzangebot – im Rahmen des Formats "Unser Lied für Rotterdam" einfach ein weiteres Mal verraten. Nämlich: Der aus Slowenien stammende Sänger
Das Problem: Wenn man einen mittelalten Hut der bereits unzählige Male im Internet feilgeboten wurde, vor Millionenpublikum als neue Sensation verkaufen muss, ist das nicht nur dem Spannungsfaktor abträglich, sondern generell nicht einfach. Nicht einmal für eine
"Unser Lied für Rotterdam": Kalauer verstören Publikum, Zuschauer und Twitteranten
"Im letzten Jahr war’s für uns Deutschen beim ESC ja ‚Apocalypse Now', als die Punkte vergeben wurden dann das ‚Schweigen der Länder‘", übte sich die bald 46-jährige Moderatorin gleich zu Beginn im müden Kalauern. "Was soll das alles?", wollte zu diesem Zeitpunkt bereits jemand auf Twitter wissen, während das Publikum in der "Astor Film Lounge" in der Hamburger HafenCity ob der seichten Gags ebenso peinlich berührt schien.
An Schönebergers Seite streckenweise: Sänger Michael Schulte, der 2018 für Deutschland beim ESC 2018 in den Ring stieg und dort den vierten Platz erlangte. Aber auch er ist nicht der Mann für grosse Rettungsaktionen. Es blieb unterirdisch.
Immer dasselbe: Publikum wird für dumm verkauft
Die nächste halbe Stunde im Schnelldurchlauf: Schöneberger erklärte in Form eines kurzen Lieds (ja, sie sang!) das neue Verfahren zur Songauswahl und wie es zum diesjährigen Beitrag kam. Danach erklärte der ARD-Unterhaltungskoordinator und in Deutschland für den ESC verantwortliche Thomas Schreiber die neue Auswahl-Variante erneut, ehe ein als Wissenschaftler verkleideter Sky Du Mont im Labor-Setting dies unerklärlicherweise ein drittes Mal tat.
Besonders erstaunlich: Für all jene, die das neue System immer noch nicht verstanden hatten, legte der "ARD"-Teamchef für den ESC, Christian Blenker, ein letztes Mal das Konzept hinter der Vorauswahl dar. "Bitte nie wieder so eine Show!", war jetzt auf Twitter zu lesen.
"Violent Thing": Zeitgemässer Track für Mainstream-Hörer
"Wir wollen jetzt bekanntgeben, wer für uns nach Rotterdam fährt", so Schöneberger im Anschluss an die redundante Performance der Erklärbären und unter Trommelwirbel zu den noch verbliebenen Zuschauern. Danach wurde zunächst nur das Video zu "Violent Thing", gesungen von Ben Dolic und produziert von Songwriter Boris Milanov, gespielt (das natürlich ebenso bereits Stunden zuvor im Internet viral gegangen war).
Zum Track prinzipiell: Die an "Daft Punk" angelehnte Nummer präsentiert sich zeitgemäss, lädt zum Zappeln auf der Tanzfläche ein und schickt eine funky Gitarre ins Rennen. Der hohe Klang von Ben Dolics Stimmbändern mag zwar kein einzigartiger sein, wird es sich in Kooperation mit Groove und der modernen Komposition im Mainstream-Geschmack aber durchaus gemütlich machen. Die Chancen des Uptempo-Songs für den ESC, der in diesem Jahr reich an Powerballaden sein soll? Mittelprächtig.
Ben Dolic im Interview: Sympathisch, schüchtern, einsilbig
600 Bewerber waren es, aus denen der 1997 Geborene Dolic, der bereits 2018 bei "The Voice of Germany" erfolgreich mitwirkte und Zweiter wurde, im Dezember 2019 von zwei Jurys ausgewählt wurde.
Im Interview nach dem Video brachte der durchaus sympathische, aber noch eher schüchterne sowie sprachlich nicht sattelfeste Sänger nur wenig hervor, was sogar die stets ohne Punkt und Komma plaudernde Barbara Schöneberger vor Herausforderungen stellte. "Kannst du uns beschreiben, wie du dich in dem Moment, als man dir mitgeteilt hat, dass du am ESC teilnehmen wirst, gefühlt hast?". "Es war eine grosse Überraschung!" Sehr schön!
Unser ESC-Protagonist live: "Bitte nicht verkacken!"
Woran nach Einspielen des offiziellen "Violent Thing"-Videos niemand mehr geglaubt hatte, ging dann doch noch über die Bühne. Ben Dolic performte in allerletzter Minute seinen Song live, lediglich von einer Westerngitarre begleitet. "Bitte nicht verkacken!", bat jemand auf Twitter, der an diesem Abend von Peinlichkeiten ebenso schon die Schnauze voll hatte. Tat er nicht. Der junge Mann bekam das richtig gut hin und bescherte einer ausschliesslich aus Lowlights bestehenden Sendung am Ende noch ihr Highlight.
ESC 2020: Benjamin Dolic ist unser Kandidat für Rotterdam
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