- Beim diesjährigen ESC erreichte Malik Harris für Deutschland nur den letzten Platz.
- Seinen Optimismus hat der 24-Jährige jedoch nicht verloren.
- Im Interview erzählt er, warum er seine Ziele dennoch erreicht hat und warum er die Solidaritätsbekundung mit der Ukraine als seine Pflicht angesehen hat.
Malik Harris, willkommen zurück in Deutschland! Wie geht es Ihnen?
"Ich will mein Bestes geben und ich will es geniessen" – mit diesen beiden Zielen sind Sie nach Turin zum ESC-Finale gefahren. Konnten Sie diese beiden Ziele für sich erreichen?
Definitiv, zu 100 Prozent! Darum bin ich auch sehr froh. Zum einen kann ich sagen, dass ich wirklich mein Bestes gegeben habe. Ich habe alles in diesen Auftritt und auch in die Vorbereitungszeit gelegt und habe durchgepowert ohne Ende. Zum anderen war das Erste, an das ich dachte, als ich die Bühne verlassen habe: "Boah, war das geil!" Ich hatte auf der Bühne wirklich ein paar Momente, in denen ich nicht aufhören konnte zu grinsen, weil ich all das so sehr genossen habe. Ich war total in diesem Moment und konnte alles sehr intensiv geniessen. Insofern konnte ich diese beiden Ziele definitiv erreichen.
Nichtsdestotrotz brachte der Abend auch eine grosse Enttäuschung mit sich …
Absolut, das kann ich natürlich nicht leugnen. Man ist natürlich enttäuscht, wenn man den letzten Platz macht und nur wenige Punkte erhält. Das ist schade. Aber ich habe es immer ernst gemeint, wenn ich gesagt habe, dass mir der Wettbewerbsgedanke nicht so wichtig ist beim ESC. Ich finde einfach, dass man in der Musik nicht in Gut oder Schlecht aufteilen kann. All das ist Geschmackssache und dementsprechend beziehe ich diese Platzierung überhaupt nicht auf mich oder den Song. Selbstverständlich ist eine gewisse Enttäuschung da, aber sie ist nichts, was mich aus der Bahn wirft.
Stellt man sich dennoch im Anschluss Fragen nach dem möglichen Warum und sucht nach Ursachen für die Bewertung?
Tatsächlich habe ich das nicht gemacht. Ich war und bin mit allem und wie es gelaufen ist, super happy. Das Wichtigste war mir, auf dieser Bühne ganz authentisch zu sein und komplett Ich zu sein. Das ist mir auf jeden Fall gelungen. Und auch die Inszenierung des Bühnenbildes war genau so, wie ich sie mir erhofft hatte. Ich habe mich auf der Bühne total wohl gefühlt und auch viel positives Feedback von verschiedenen Menschen bekommen, die mir gesagt haben, wie toll sie den Auftritt fanden. Das gibt mir wahnsinnig viel Kraft.
Dennoch wurden im Vorfeld Stimmen laut, die deutsche "Schmach" der vergangenen ESC-Jahre müsste getilgt werden. Der Druck auf Sie war also entsprechend gross. Was macht das mit einem?
Ich bin tatsächlich mit all dem relativ entspannt umgegangen. Ich habe den Druck eigentlich selber nie so wirklich gespürt. Vielleicht auch, weil ich mir dachte, dass doch viel mehr Druck auf mir liegen würde, wenn Deutschland in den letzten Jahren immer Erster geworden wäre. Insofern habe ich mir den meisten Druck vermutlich selbst gemacht, all das möglichst zu geniessen und dennoch mein Bestes zu geben. Ich glaube, hier hat mir die Art, wie ich ticke, aber auch sehr geholfen.
Für die Künstlerinnen und Künstler, die in den nächsten Jahren für Deutschland beim ESC antreten werden, wünsche ich mir, dass auch sie sich so gut wie möglich von dem Druck, der auf ihnen lasten wird, freischütteln können. Ausserdem hoffe ich natürlich auch, dass es in Zukunft etwas weniger Druck von aussen geben wird. Meiner Meinung nach sollte man den Wettbewerbscharakter dieser Show nicht zu gross machen.
Warum denken Sie das?
Es geht doch viel mehr um das Zusammensein, die Musik, das gemeinsame Feiern mit allen teilnehmenden Nationen und Kulturen. Ich finde, dass genau das den ESC ausmacht – es wäre schön, wenn genau darauf ein grösserer Fokus liegen würde, besonders aus deutscher Sicht. Ich habe das bei anderen Ländern beobachtet. Viele Künstlerinnen und Künstler werden im Vorfeld in ihrer Heimat total gefeiert, das ist eine richtig schöne Sache. Ich glaube, dass genau dieser Support vielen anderen Acts total helfen würde.
Ihre positive Art zählt zu einer ihrer Charaktereigenschaften. Wie gelingt es Ihnen, trotz des eben beschriebenen Drucks und dem Wettbewerbsgedanken sich diese bejahende Sichtweise beizubehalten?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, bei mir entsteht vieles dadurch, dass ich weiss, was für ein Privileg das ist, was ich machen darf. Ich mache das, was ich liebe und niemand kann mir die Musik kaputt machen. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man die Dinge tut, die man liebt und sie geniesst und versucht, im Moment zu sein. Wenn das gelingt, hat man automatisch eine positivere Einstellung zum Leben – auch, wenn es mal Rückschläge gibt.
Aber auch das Wissen um all das, was noch kommt, spielt eine Rolle. Meine Tour steht in den Startlöchern und da draussen gibt es wahnsinnig viele Menschen, die sich mit meiner Musik identifizieren können – das ist für mich als Musiker das schönste Gefühl. Ich versuche, mich auf die Dinge zu fokussieren, die mich erfüllen – und glücklicherweise gibt es davon sehr viele.
Apropos Gefühl, wie würden Sie das Gefühl beschreiben, das Sie in den vergangenen Wochen durch die "ESC-Bubble" getragen hat?
Um das zu beschreiben, müsste man fast ein neues Wort erfinden (lacht). Was ich in den letzten Wochen erleben durfte, war definitiv eine der tollsten Erfahrungen meines Lebens. Ich habe Länder bereist, in denen ich vorher noch nie war und durfte dort meine Musik spielen. Zusammen mit all den anderen Künstlerinnen und Künstlern war man ein enger Haufen und wir haben uns untereinander super verstanden. Ausserdem habe ich viele neue und enge Freundschaften schliessen dürfen. Insgesamt ist dieses Gefühl, das ich während dieser Zeit hatte, nur schwer in Worte zu fassen. Es war eine grossartige Erfahrung und allein deswegen bin ich unendlich dankbar, dass ich an dieser Show teilnehmen durfte.
Geht man also auch ein wenig wehmütig aus dieser Zeit heraus?
Absolut! Als ich meinen Song performt habe, hatte ich natürlich auch das Wissen im Hinterkopf, dass ich nun zum letzten Mal auf dieser besonderen Bühne stehen werde. Da wird man natürlich etwas wehmütig, weil die vergangenen Wochen einfach so riesigen Spass gemacht haben.
Wie schon zuvor beim Vorentscheid haben Sie es sich auch im ESC-Finale nicht nehmen lassen, nach Ihrem Auftritt Ihre Solidarität mit der Ukraine zu bekunden. Eigentlich sind politische Statements im Rahmen des ESC ja nicht erlaubt …
Weil ich ja bereits beim Vorentscheid das Zeichen gesetzt hatte, wurde ich vor dem Finale darauf hingewiesen, dass politische Statements nicht erlaubt sind. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass mir das vollkommen egal war. Für mich ist eine Solidaritätsbekundung einfach etwas, das getan werden muss, wenn man so eine Plattform hat und weiss, dass Millionen von Menschen zuschauen werden. Ich habe es gewissermassen fast als meine Pflicht gesehen, ganz klar Stellung zu beziehen und ein Zeichen zu setzen – eben weil es der ESC ist, der ja für eben diesen Zusammenhalt steht.
Ich musste die Aktion aber heimlich planen. Bei der letzten Probe am Finaltag war die Gitarre noch nicht mit der Solidaritätsbekundung präpariert. Nach der Probe bin ich dann direkt in den Backstage-Bereich und habe den Zettel mit der Botschaft auf die Rückseite der Gitarre geklebt. Die Gitarre wurde dann bis zum Auftritt nicht mehr aus dem Koffer geholt (lacht). Ich bin total happy, dieses Zeichen gesetzt zu haben – und noch happier bin ich, dass die Ukraine den Wettbewerb gewonnen hat.
Die Musiker von Kalush Orchestra hatten für die Teilnahme am ESC eine Ausnahmegenehmigung erhalten und durften nach Turin reisen. Nun müssen sie zurück in die Ukraine – und damit zurück in den Krieg. Was löst dieser Gedanke in Ihnen aus?
Was in mir vorgeht, kann ich nicht beschreiben. All das wirkt unfassbar surreal. Krieg ist und bleibt etwas, das ich nicht greifen, nicht nachvollziehen kann. Wir leben in einem so privilegierten Land und Krieg ist für uns so weit weg. Deswegen kann ich einfach nicht realisieren, dass die Jungs nun für ihre Heimat kämpfen. Erst vor wenigen Tagen haben wir zusammengesessen, Musik gemacht, geredet und zu wissen, dass diese grossartigen Menschen nun ihr geliebtes Land verteidigen, kann ich nur schwer fassen. Ich hoffe einfach nur, dass dieser verdammte Krieg bald endlich vorbei ist.
Welche Stimmung haben die Musiker von Kalush Orchestra trotz all der schrecklichen Bilder aus ihrer Heimat in das ESC-Universum getragen?
Natürlich lag über all dem ein gewisser Schatten. Immerhin ist der Krieg das omnipräsente Thema und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es für die Musiker sein muss, in so einer Situation zu sein und zu wissen, dass ihre Freunde gerade ihr Land verteidigen. Trotzdem war die Stimmung untereinander sehr positiv, allein schon aus dem Grund, dass alle Kandidatinnen und Kandidaten unendlich froh waren, dass die Ukraine teilgenommen hat. Diese Freude war immer total stark spürbar.
Ich erinner mich ausserdem an einen besonders intensiven Moment vor dem Finale, als Kalush Orchestra in ihrem Backstage-Bereich den Song eingesungen haben. Man muss dazu sagen, dass der Backstage-Bereich recht hellhörig ist. Und genau das hat dann dazu geführt, dass alle Künstlerinnen, Künstler und Delegationen, die sich in diesem Moment in der Halle aufgehalten haben, den Song mitgesungen haben. Das war ein unbeschreiblich schöner Moment und während ich gerade darüber rede, bekomme ich schon wieder Gänsehaut …
Wie waren nach dem ESC die Reaktionen der Menschen auf Sie und Ihren Auftritt?
Total positiv. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich hatte nach der Punktevergabe erst etwas Angst, online zu gehen, weil man eben nicht wusste, wie die Reaktionen ausfallen. Aber als ich es dann gemacht habe, war ich total froh, es gemacht zu haben, weil fast nur nettes Feedback kommt von Menschen aus der ganzen Welt. Die Rückmeldungen der Menschen ist gigantisch – ich komme selber kaum hinterher, all die Nachrichten zu verfolgen, die ich bekomme.
Wie geht es nun weiter für Sie? Worauf dürfen sich die Menschen freuen?
Meine Tour startet in Hamburg, ich freue mich riesig, live spielen und in den nächsten Wochen auf vielen Bühnen stehen zu dürfen. Für mich gibt es nichts Grösseres auf der Welt, als auf der Bühne zu stehen – insofern war die Zeit der Pandemie wirklich hart. Umso mehr will ich unbedingt alles mitnehmen, was in Zukunft auf mich wartet und auf Konzerten und Festivals spielen. Demnächst wird es auch einen neuen Song von mir geben, auf den ich mich sehr freue. Ich darf also jeden Tag genau das machen, was ich liebe und dafür bin ich super dankbar.
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